Samstag, April 27, 2024

Am 10. und 11. Oktober trafen sich Architekten, Ingenieure, Wissenschaftler und Vertreter der Bauindustrie im Rahmen der Advanced Building Skin in Bern, um sich über die Senkung des Energieverbrauchs von Gebäuden auszutauschen – mit überraschenden Ansätzen und Ergebnissen.

Von Gertrud Purdeller, Bern

Zwei Tage lang teilten 200 Referenten auf der ebenso internationalen wie interdisziplinären Konferenz Forschungsergebnisse und -ansätze, Erfahrungen und neue Ideen. Klar wurde dabei einmal mehr, dass aufgrund der immens gestiegenen Anforderungen an die Fassade auch deren Komplexität rapide zugenommen hat. Als integrativer Bestandteil sowohl von Bauten als auch von Städten wird sie immer weniger als passives Element gesehen, sondern als aktiver Organismus, der Wasser, Wind und Sonne aus seiner Umwelt absorbiert und in Energie umwandelt oder zur Kühlung einsetzt. Die Gebäudehülle gilt dabei längst nicht mehr als etwas Statisches.

Warum sollen sich nicht schuppenartige PV-Module nach dem jeweiligen Sonnenstand ausrichten oder Verschattungselemente auf das aktuelle Wolkenbild reagieren? Bei all den trägen und energieverschwenderischen Bestandsgebäuden, die wir bisher baue(t)n, sollte das Null­energiehaus in Zukunft jedenfalls selbstverständlich sein; noch besser wäre es, Gebäude würden einen aktiven Beitrag leisten. Energie in die Netze speisen etwa, statt sie ihnen zu entziehen, oder zumindest durch eine grüne Fassade der sommerlichen Überhitzung von Städten entgegenwirken.

Präsentiert wurden im Rahmen der Advanced Building Skin Konferenz sowohl visionäre Ansätze im Low-Tech-Bereich als auch hochtechnoide Highend-Lösungen. Dass beide Wege zum Ziel führen können, zeigte unter anderem eine Gegenüberstellung der Umweltauswirkungen von Gebäuden mit unterschiedlichem Technisierungsgrad durch das Schweizer Team von treeze – fair Life Cycle thinking: Sowohl das technisch bis auf die Zähne gerüstete ARE Gebäude in Ittigen als auch die Lowtech-Ikone 2226 in Lustenau schnitten dabei sehr positiv ab.

Adaptive Fassaden

Dass ein intensives Eigenleben der Fassade auch durchaus Nachteile haben kann, fand hingegen eine Forschungsgruppe der University of Navarra in Pamplona heraus, welche die Nutzerzufriedenheit eines in Betrieb befindlichen Bürogebäudes mit adaptiver Fassade untersuchte – mit ernüchterndem Ergebnis. Wenn sich auch nicht alle Mängel auf die adaptive Fassade zurückführen ließen, so wurde dennoch eine deutliche Unzufriedenheit sowohl mit der Beleuchtung als auch mit den thermischen Bedingungen festgestellt. Der Verlust an Kontrolle schien dabei eine entscheidende Rolle zu spielen. Adaptive, meist mit beweglichen Verschattungselementen ausgestattete Fassaden haben sich in den letzten Jahren besonders in Ländern mit extremen klimatischen Bedingungen stark entwickelt, da ihr Verhalten dazu beiträgt, die Energieeffizienz von Gebäuden und das Wohlbefinden der Bewohner zu optimieren.

Auch zur Nachrüs­tung von blind dem International Style nachempfundenen Glasburgen werden sie aktuell vermehrt eingesetzt, um die dort herrschenden katastrophalen Innenraumbedingungen nachträglich zu verbessern. In gemäßigten Klimaregionen ist der unmittelbare Nutzen von adaptiven Verschattungssystemen weniger offensichtlich, weshalb auch die Akzeptanz unter den Nutzern geringer ist. Dennoch erhofft man sich von ihnen einen Beitrag, um die für 2020 und 2050 gesetzten Umweltziele zu erreichen, was jedoch nur gelingen kann, wenn die Gebäudenutzer die innovative Technologie annehmen und lernen, richtig mit ihr umzugehen. Es gibt hier im Bereich der Nutzerfreundlichkeit also noch einiges an Forschungsbedarf.

Utopien am Rande des Machbaren

Aufgrund der Schwierigkeit bei der Skalierung auf bauteilrelevante Dimensionen noch relativ utopisch, aber dennoch vielversprechend muten die Versuche einiger junger Teams mit dem 3D-Drucker an. Angeregt durch Zapfen von Nadelbaumarten, die durch ihre hygroskopische Eigenschaft atmosphärische Bedingungen nutzen, um beträchtliche Formänderungen auszulösen, wurde am Institute for Computational Design in Stuttgart ein digital gefertigtes isotropes Material entwickelt, dessen Form durch hygroskopisch wirksame Komponenten nunmehr numerisch gesteuert beziehungsweise programmiert werden kann.

Noch nicht allzu bald in der Bauindustrie Fuß fassen werden auch die gedruckten Gewebe von Alireza Borhani vom Department of Architecture der A&M University of Texas, welche Flexibilität und Steifigkeit in sich vereinen und durch Überlappungen der einzelnen Glieder leicht in eine feste Form gebracht werden können.

Eine besonders visionäre Fassadenkonstruktion, die auf der Expo 2020 in Dubai hingegen tatsächlich in die Realität umgesetzt werden soll, wurde im Rahmen der Advanced Building Skin von UNStudio gezeigt. Das Researchteam des Amsterdamer Architekturbüros entwickelte für den Pavillon mit dem passenden Namen »The Cloud« eine Gebäudehülle, die es vermag, durch eine Art künstlich erzeugten Schwitzvorgang Wasser aus der Luft zu gewinnen, welches anschließend gesammelt und einer Nutzung zugeführt werden kann.

Innovative gebaute Realität

Bereits umgesetzte Beispiele gibt es von einem weiteren innovativen Produkt. Extrem dünne Betonsandwichelementen mit nicht-korrodierender Glasfaserbewehrung eröffnen nicht nur neue Gestaltungsmöglichkeiten, sondern sorgen durch ihre Schlankheit auch für wirtschaftliche Vorzüge und eine erhebliche Reduktion grauer Energie. Derzeit wird von Fischer Architekten, wo man bereits Erfahrung mit dem neuen Produkt gesammelt hat, im Gewerbegebiet Eastsite Mannheim das weltweit zweite Gebäude umgesetzt, dessen Fassade vollständig als Textilbetonsandwichkonstruktion ausgeführt wird. Dabei wird nicht nur die Außenschale, sondern auch die gesamte Verankerung mit tragenden Glasfasertextilen ausgeführt. Neue Maßstäbe im Bereich der gebäudeintegrierten Photovoltaik setzt hingegen der in Bau befindliche Großpeter Tower in Basel, dessen opake Bauteile zur Gänze aus PV-Modulen bestehen.

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