Thursday, May 01, 2025

Mehrwert für Manager

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Einfach abschalten? Deadlines, Zielanforderungen und wirtschaftlicher Druck führen zu Stress und belasten Körper und Seele. Wie Führungskräfte in instabilen Zeiten Sicherheit geben und gestärkt durch Krisen kommen.

Bild: iStock


Der Stresslevel in Unternehmen ist so hoch wie nie zuvor – kein Wunder angesichts der laufenden Krisen, denen wir seit der Finanzkrise 2008 ausgesetzt sind. Begleitet wurden die ökonomischen und geopolitischen Verwerfungen von Herausforderungen wie Digitalisierung, Arbeitskräftemangel und Dekarbonisierung. Business as usual gab es in all den Jahren kaum.

Während der Coronapandemie erreichte der Stresslevel weltweit Rekordstände. Laut der Gallup-Studie »State of the Global Workplace«, die regelmäßig in 145 Ländern durchgeführt wird, fühlten sich 2022 rund 44 Prozent der Befragten sehr gestresst. Die Lage hat sich seither aber keineswegs entspannt. Wie der »Arbeitsklima Index« der Arbeiterkammer Oberösterreich belegt, fühlen sich sechs von zehn Beschäftigten in Österreich durch Zeitstress belastet – einer Kombination aus Zeitdruck, ständigem Arbeitsdruck, hoher Konzentration, Unterbrechung der Freizeit und klassischem Stress. Gesundheitliche Probleme wie Kreislaufbeschwerden, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Verdauungsbeschwerden sind häufig die Folge. Auch das Risiko für Herzprobleme steigt signifikant.

Dabei kann Stress als kurzfristige Emotion zunächst einen produktiven Zustand bewirken. Die Hormone Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet, das Gehirn arbeitet auf Hochtouren, alle Sinne sind geschärft. Manche Menschen brauchen sogar den Druck einer Deadline, um sich optimal fokussieren zu können. »Stress wird aber zu einem Problem, wenn die Ausnahme zum Normalzustand wird. Denn dann fühlen wir uns je nach Veranlagung müde, deprimiert, ausgebrannt oder werden sogar krank«, erklärt Pa Sinyan, Managing Partner bei Gallup Europe. Er beschreibt noch ein weiteres Ventil für Stress – wenn nämlich Frustration und Hilflosigkeit in Wut umschlagen. Im Arbeitsalltag äußert sich die Unzufriedenheit meist leise und oftmals unbemerkt, aber für das Unternehmen sind die Folgen ebenso fatal, etwa in passiv-aggressivem Verhalten oder innerer Kündigung.

Schlaflose Nächte
Gute Führungsqualität und ein wertschätzendes Arbeitsumfeld senken nachweislich den Stresslevel. Gerade in Krisenzeiten, die trotz vieler Unwägbarkeiten weitreichende Entscheidungen abverlangen, stehen aber auch Führungskräfte selbst stark unter Druck. »Die Verantwortung, die man an der Spitze eines Unternehmens innehat, ist enorm, und zwar sowohl juristisch als auch finanziell und persönlich«, gesteht Peter Lenz, Managing Director T-Systems Austria, offen ein. »Nimmt man seine Führungsrolle ernst, kann dies zu einigen schlaflosen Nächten führen. Man kann in herausfordernden Zeiten sehr einsam sein.«

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Bild: Peter Lenz, Managing Director T-Systems Austria.

Wenn hohe Erwartungen und Arbeitsdruck den Stresslevel erhöhen, ist geistige und körperliche Resilienz von entscheidender Bedeutung. Diese Fähigkeit hilft uns, nicht aufzugeben und größte Umwälzungen zu bewältigen. Viele Menschen sind jedoch in schwierigen Situationen wie gelähmt und nicht fähig, klare Gedanken zu fassen. Resiliente Führungskräfte schauen hingegen optimistisch in die Zukunft. Durch analytische Reflexion gelingt es ihnen, Ausmaß und Tragweite einer Krise realistisch einzuschätzen und einen möglichen Ausweg zu finden. Angesichts der Vielzahl an Volatilitäten und der Unmöglichkeit, weitere Entwicklungen vorherzusehen, gibt es oftmals nicht die eine richtige Lösung. Führungskräfte sollten sich deshalb von allzu perfektionistischen Ansprüchen verabschieden.

Hohe Standards können zwar zu herausragenden Ergebnissen führen, in übertriebener Form überwiegen aber manchmal die negativen Auswirkungen: »Die Folgen sind überschrittene Deadlines, das Gefühl, nie fertig zu sein und ein ständig hohes Stressniveau«, weiß Gerald Käfer-Schmid, Geschäftsführer der Österreichischen Vereinigung für Supervision und Coaching (ÖVS). »Menschen, die das Gefühl haben, ständig zu scheitern, sind nur unter großer Anstrengung in der Lage, selbstbewusst und produktiv zu arbeiten.« Er rät zu einer »gesunden Fehlerkultur« im Unternehmen – auf allen Ebenen.

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Bild: Gerald Käfer-Schmid, Geschäftsführer der Österreichischen Vereinigung für Supervision & Coaching (ÖVS).

Unsicherheit als Katalysator
»Krisen sind die ultimativen Stressmomente für Führungskräfte und Teams«, bestätigt Ragnhild Struss, Gründerin und Partnerin der Berufs- und Karriereberatung Struss & Claussen Personal Development. »Sie legen Unsicherheiten offen, schüren Ängste und stellen die Führung vor eine zentrale Frage: Wie navigieren wir durch stürmische Zeiten, ohne die Menschlichkeit und strategische Klarheit aus dem Blick zu verlieren?«

Viele Menschen reagieren unter Anspannung reflexartig. Statt durch Besonnenheit psychologische Sicherheit zu geben, verstärken impulsive Äußerungen und unüberlegte Handlungen das Gefühl von Chaos. Für Unternehmen ist fehlende Resistenz der Führungskräfte riskant: Ein dysfunktionales Stressverhalten kann die Stabilität der gesamten Organisation gefährden, denn häufig sind Konflikt, Fehl­entscheidungen und sinkende Produktivität die Folge.

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Bild: Ragnhild Struss, Partnerin der Struss & Claussen Personal Development.

Ein zentraler Faktor ist Unsicherheit, wie Beraterin Struss erklärt: »Sie wirkt wie ein Katalysator: Während manche Menschen darin eine Gelegenheit zur Anpassung und Flexibilität sehen, fühlen sich andere in ihrer Handlungsfähigkeit blockiert.« So kann beispielsweise die Implementierung von KI-Technologien als Chance wahrgenommen werden, gleichzeitig aber Fragen und Ängste auslösen: Sind Jobs gefährdet? Wie verändern sich Prozesse?

Führungskräfte spielen dabei eine Schlüsselrolle. Indem sie empathisch und klar kommunizieren, schaffen sie ein konstruktives Umfeld, das Vorbehalte nicht ignoriert. Der Führungsansatz Thoughful Leadership setzt hier an. Er verbindet die drei Prinzipien Selbstreflexion, Empathie und ethische Klarheit, um Führungskräfte zu befähigen, auch in schwierigen Zeiten Ruhe, Struktur und Orientierung auszustrahlen. 

Wie alle Menschen sind jedoch auch Führungskräfte nicht vor Ängsten gefeit. Insbesondere in Krisensituationen fühlen sie sich gar verpflichtet, Entschlossenheit und Stärke zu repräsentieren. Glaubenssätze á la »Ich darf keine Schwäche zeigen« oder »Alles hängt von mir ab« belasten zusätzlich, wenn sie unreflektiert bleiben. Leistungsorientierte Führungskräfte neigen zudem dazu, unter Stress noch mehr zu kontrollieren und Aufgaben selbst zu übernehmen, statt sie an Mitarbeiter*innen zu delegieren. Werden diese jedoch in Entscheidungen eingebunden, tragen sie das Vorhaben mit, was letztlich unverzichtbar für das Gelingen jeder Strategie ist. Bewusste Führung bedeute nicht, »alle Antworten zu kennen«, so Ragnhild Struss: »Es geht darum, mit Mut und Reflexion Räume zwischen Anforderung und Handlung zu schaffen, in denen Menschen wachsen können – auch und gerade in Krisen.« 

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