Thursday, May 01, 2025

Mehrwert für Manager

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Fachkräftemangel, Burnout, innere Kündigung: Die Arbeitswelt steht unter Druck. Doch das eigentliche Problem liegt tiefer. Denn viele Unternehmen suchen verzweifelt auf dem Markt nach neuen Mitarbeitenden – und übersehen dabei das größte ungenutzte Potenzial: die Menschen, die bereits da sind.

Bild: iStock

Gerade einmal neun Prozent der Mitarbeitenden in Deutschland fühlen sich emotional stark an ihr Unternehmen gebunden, zeigt der "Gallup Engagement Index 2024". Der Rest macht Dienst nach Vorschrift oder arbeitet sogar gegen das eigene Unternehmen. Gleichzeitig befinden sich rund 30 % der Erwerbstätigen laut Studien in psychologischer Betreuung oder stehen kurz vor dem Burnout. Die Folge: Produktivitätsverluste, hohe Fluktuation, steigende Krankenstände, höhere Kosten – und enorme wirtschaftliche Schäden. Ein Rechenbeispiel: Bei einem durchschnittlichen Jahresgehalt von 56.000 Euro bedeuten 30 % weniger Engagement 16.800 Euro weniger Produktivität pro Person und Jahr. In einem Betrieb mit 200 Mitarbeitenden summiert sich das auf rund drei Millionen Euro pro Jahr – ein unsichtbarer Verlust, der nie auf der Bilanz erscheint.

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Quelle: Gallup Engagement Index 2024 www.gallup.com 

Hochgerechnet auf die österreichische Volkswirtschaft ergibt sich ein dramatisches Bild: Bei rund 3,8 Millionen unselbstständig Erwerbstätigen würde ein durchschnittlicher Produktivitätsverlust von 30 % einem jährlichen Wertschöpfungsverlust von über 64 Milliarden Euro entsprechen – ein theoretischer Wert, der die wirtschaftliche Bedeutung von Motivation unterstreicht. Es ist eine Summe, die nicht auf Steuerbescheiden oder Wirtschaftsberichten auftaucht – aber reale Folgen für Wachstum, Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit hat. Dennoch reagieren viele Unternehmen mit den immer gleichen Mustern: mehr Härte, mehr Druck, mehr Kontrolle, mehr Arbeitszeit. Der Druck wirkt: Statt 15 % begeisterter Mitarbeitenden 2023 waren es 2024 nur noch 9 %. Es ging also wieder Produktivität verloren.

Digitalisierung spielt dabei eine doppelte Rolle: Sie kann entlasten und Potenziale freisetzen – oder Überforderung und Kontrolle verschärfen. Wenn Mitarbeitende etwa am Wochenende Mails vom Chef bekommen oder im Homeoffice per Monitoring oder gar Webcam dauerhaft überwacht werden, wird Technik zum Stressfaktor. Digitalisierung ist nicht der Grund für Demotivation. Aber sie bringt die Bruchstellen in der Kultur ans Licht.

Wer heute über Fachkräftemangel spricht, sollte also zuerst nach innen schauen: Wie viel Motivation, wie viel Energie, wie viel Kreativität bleibt ungenutzt? Wie viel Potenzial wäre aktivierbar, wenn Menschen den Sinn ihrer Arbeit erkennen und echte Gestaltungsmöglichkeiten erleben?

Basierend auf meiner wissenschaftlichen Studie zum Zusammenhang von Motivation und Führung und den Erfahrungen in der digitalen Transformation zeigen sich vier entscheidende Hebel:

• Das Erkennen des Sinns der eigenen Arbeit
• Eigenverantwortung im Team
• Qualität der internen Kommunikation und Konfliktbehandlung
• Einbindung und Möglichkeit der Mitgestaltung

Die Auswirkung dieser Faktoren sind messbar. Und sie lassen sich gestalten. Motivation entsteht dort, wo Menschen erleben: Ich bin nicht nur ein Roboter, ich bin Mitgestalter. Besonders deutlich wurde in meiner Studie: Die Motivation der Mitarbeitenden hängt stark mit der persönlichen Einstellung und Haltung der Führungskräfte zusammen – mit der Art, wie sie führen, kommunizieren und Sinn stiften. Mein persönlicher Buchtipp hier: „Haltung entscheidet“ von Martin Permantier.

Veränderung erzeugt Reibung – das ist normal. Doch wer Konflikte unterdrückt, blockiert Entwicklung. Wie Patrick Lencioni, US-amerikanischer Autor und Berater, in seinem Buch „The Five Dysfunctions of a Team“ betont, ist Konfliktfähigkeit eine Voraussetzung für Vertrauen und echte Zusammenarbeit. Teams, die offen diskutieren und respektvoll streiten können, kommen schneller und besser voran.

Was es dafür braucht? Keine Esoterik, sondern Mut, Führung neu zu denken. Vertrauen zuzulassen. Und Kultur nicht als Beiwerk, sondern als strategischen Hebel zu begreifen.
Es geht nicht darum, ein Kuschelklima zu schaffen – das Gegenteil ist der Fall. Menschen wollen ehrliches Feedback. Menschen wollen gefordert werden, aber sie wollen auch selbst entscheiden, wie sie ihre Arbeit bestmöglich erledigen, und sie wollen, dass ihnen Vertrauen entgegengebracht wird. Eine Führungskraft weiß auch ohne ständige Kontrolle, ob Mitarbeitende einen guten Job machen. Und spätestens wenn sich Kolleginnen und Kollegen beschweren, wird es offensichtlich, dass im Team jemand anderen „hängen“ lässt. Dazu braucht eine Führungskraft keine Überwachung. Menschen, die aber ein Ziel vor Augen haben, für das es sich lohnt zu kämpfen, leisten auch Außerordentliches. Das ist das ganze Geheimnis und Schlüssel des Erfolges.

Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Und wer Menschen nicht begeistert, wird sie verlieren – ob mit oder ohne Fachkräftemangel. Nur Unternehmen mit begeisterten Mitarbeitenden schaffen es, auch Kundinnen und Kunden zu begeistern. Studien zeigen, dass diese Unternehmen nicht nur produktiver, sondern auch im Vertrieb erfolgreicher sind – sie überzeugen nicht durch Druck, sondern durch Leidenschaft, Haltung und Kundenorientierung.

Motivierte Mitarbeitende schlagen jedes Rekrutierungsbudget – sie sind da, sie können mehr, und sie wollen nur eines: gesehen und gebraucht werden. Wenn eine Führungskraft nur 30 % der brachliegenden Potenziale in ihrem Unternehmen hebt, entsteht ein Leistungsvorsprung, den andere kaum einholen können. Während Mitbewerber noch Recruiting-Kampagnen fahren, haben diese Unternehmen längst die Energie aktiviert, die bereits im Haus ist. Der Unterschied? Sie sind wach – die anderen haben den Wandel verschlafen.
Die Erhöhung der Arbeitszeit, die manche fordern, hat einen zu vernachlässigenden Effekt gegenüber möglicher Produktivitätssteigerung, die durch motivierte Mitarbeitende zu erzielen ist.

Die erste Frage, um Teammitglieder zu begeistern, ist: Sind Sie als Führungskraft selbst begeistert? Denn wer selbst nicht brennt, kann kein Feuer entfachen. Beginnen Sie mit sich – und dann mit Ihrem Team. Wecken Sie Begeisterung. Zuerst bei sich selbst. Und dann bei ihren Mitarbeitenden. Wenn Sie das schaffen, lassen Sie Ihre Mitbewerber hinter sich – dauerhaft.

Und wenn Sie nicht CEO sind? Dann beginnen Sie trotzdem. Holen Sie sich Ihre eigene Begeisterung zurück – und teilen Sie sie. Sprechen Sie mit Ihrer Geschäftsführung. Sagen Sie, was Sie brauchen. Zeigen Sie, was möglich wäre. Trauen Sie sich. Veränderung beginnt selten an der Spitze – aber sie braucht Menschen, die den Mut haben, sie dort hinzubringen.
Ein Tipp an alle CEOs: Wenn Sie eine Führungskraft haben, die etwas bewegen will – halten Sie sie nicht auf. Unterstützen Sie sie. Wenn sie Erfolg hat, ist das auch Ihr Erfolg. Was kann schon schiefgehen?

Für alle Mitarbeitenden, die sich nicht gesehen und gehört fühlen: Es gibt Unternehmen, die auf begeisterte Menschen nur warten. Sehen Sie sich um.


Über den Autor

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Werner Illsinger ist Wirtschaftspsychologe, Lektor an der FH Kärnten (School of Management) und Experte für Führung und Unternehmenskultur im digitalen Wandel.
Er war Geschäftsführer der Raiffeisen Informatik Consulting GmbH und zuvor über 18 Jahre in verschiedenen Führungspositionen bei Microsoft tätig. www.4future.business 

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