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Beweglich bleiben

Für Lisa Tomaschek (l.) ist Resilienz kein Talent, sondern kann trainiert werden und Judith Kölblinger plädiert für eine "offene Herangehensweise". Für Lisa Tomaschek (l.) ist Resilienz kein Talent, sondern kann trainiert werden und Judith Kölblinger plädiert für eine "offene Herangehensweise".

Resiliente Unternehmen ruhen sich nicht auf ihren Erfolgen aus, meint Judith Kölblinger (r.), Beraterin bei Heitger Consulting.

(+) Plus: Warum bewältigen manche Unternehmen Herausforderungen besser als andere?
Judith Kölblinger: Manche Unternehmen sind sehr geschlossen. Sie setzen spät auf neue Technologien, beziehen ihre Kunden wenig in die Produkt- und Dienstleistungsentwicklung ein und sind kaum darüber informiert, was am Markt passiert. Das sind aber die Kanäle, die ein Unternehmen anpassungsfähig machen. Je volatiler die Branche ist, umso offener müssen Unternehmen nach außen hin sein. Wenn es ihnen gelingt, sich so einzurichten, sind sie resilienter als andere. Ein wichtiger Faktor ist auch die Unternehmenskultur. Ob zum Beispiel Menschen, die sich kritisch äußern, auch gehört werden. Oft liefern sie gute Informationen und diese werden nicht verwertet.

(+) Plus: Warum werden Veränderungen oft als bedrohlich empfunden?
Kölblinger: Veränderungen werden dann als bedrohlich empfunden, wenn der Sinn nicht verstanden wird. Kommunikation und Beteiligungsarbeit sind hier wichtige Leistungen des Unternehmens gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich hatte vor kurzem mit einer Organisation zu tun, bei der zwei Jahre lang im stillen Kämmerlein mit einigen wenigen tiefgreifende strukturelle Veränderungen bis ins Detail durchgeplant wurden. Jetzt wundert man sich, warum die übrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kritisch darauf reagieren und andere Ideen dazu einbringen möchten.

(+) Plus: Sind resiliente Unternehmen flexibler?
Kölblinger: Wie flexibel Unternehmen sein müssen, kommt auf die Branche und den Markt an. Je mehr sie von externen Bewegungen abhängig sind, umso flexibler müssen sie agieren. Hier besteht eine deutliche Parallele zwischen der persönlichen Resilienz und der Unternehmensresilienz – sie lautet »Akzeptiere, was ist«. Das ist nicht passiv gemeint, sondern eine realitätsoffene Herangehensweise, die jeweilige Situation als Ausgangsbasis für neue Lösungen zu sehen. Es hilft nichts, ein Problem zu verleugnen oder der Vergangenheit nachzutrauern.

(+) Plus: Kann man Resilienz messen und trainieren?
Kölblinger: Wir haben einen Fragebogen für ein schnelles Selbst-Assessment entwickelt. Im Sinne dieser Selbsteinschätzung lässt sich sehr wohl sagen, wie resilient Strategie, Organisation und Führung sind. Wenn auf Island ein Vulkan ausbricht, können wir dann schnell woanders produzieren? Gibt es mehrfach verwendbare Bauteile? Sind wir von einem Lieferanten abhängig? Das sind Szenarien, die das Risikomanagement in der Regel entwirft, aber nicht immer finden diese Eingang in die Strategie. Trainieren lässt sich Resilienz sowohl auf der organisationaler als individueller Ebene, indem man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit diesen Szenarien vertraut macht und Ausnahmesituationen übt.

(+) Plus: Wie können Führungskräfte und MitarbeiterInnen ihre Widerstandskräfte stärken?
Kölblinger: In vielen Organisationen hat das betriebliche Gesundheitswesen dieses Thema aufgegriffen. Das finde ich einerseits gut, weil es für Resilienzentwicklung einen eigenen Ort gibt. Auf der anderen Seite greift das viel zu kurz. Der Begriff bleibt in der Ecke. Nur an den Personen anzusetzen, damit sie noch mehr aushalten, verändert nicht die Organisation und auch nicht die Rahmenbedingungen. Resilienz muss in die Führungskräfteentwicklung und in die Unternehmensstrategie integriert werden. Auch die Organisation kann resilienter gemacht werden. Wurde im Unternehmenskern so viel eingespart, dass überhaupt nichts mehr passieren darf, weil es keine Alternativen und keine Reserven gibt, ist das gesamte Gebilde einsturzgefährdet. Meditationsprogramme und sonstige Angebote, damit es den Mitarbeitern besser geht und die Burnout-Raten reduziert werden, sind wichtig, aber nicht ausreichend. Resilienz ist ein Arbeitsprinzip – ähnlich wie Nachhaltigkeit oder Diversity & Inclusion.

(+) Plus: Hat die Wirtschaftskrise zu mehr Resilienz beigetragen?
Kölblinger: Jede Krisensituation, die bewältigt wird, trägt zur Stärkung bei. Die Finanzkrise hat unsere Wirtschaft sehr wohl resilienter gemacht. Es ist auch kein Geheimnis, dass etliche Unternehmen die Krise genutzt haben, sich von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu trennen, die ohne die Sparzwänge noch dort wären. Und auf diese Weise haben sich betriebswirtschaftliche Ergebnisse verbessert. Gleichzeitig ist dadurch jedoch die individuelle Belastung deutlich gestiegen, weil nun mehr Aufgaben von weniger Personen erledigt werden müssen. Stress schwächt die Resilienz.

(+) Plus: Krise als Chance zu begreifen, ist leicht gesagt. Wie kann das tatsächlich gelingen?
Kölblinger: Nicht so stark an der Vergangenheit festhalten. Das ist eine mentale Herausforderung, denn wir werden ja für vergangene Erfolge belohnt und freuen uns darüber. Aber der Erfolg von gestern ist sicher nicht der Erfolg von morgen. Einige Unternehmen sorgen bewusst dafür, beweglich zu bleiben: 3M hat die Vorgabe, einen bestimmten Anteil des Jahresumsatzes mit neuen Produkten zu erzielen. Der Schokoladenhersteller Zotter zieht jedes Jahr gute Produkte vom Markt, um etwas Neues zu schaffen und konsequent an Innovationen zu arbeiten. Er setzt damit den Stachel ins eigene Fleisch.


Fahren auf Sicht

Ganz ohne Strategie geht es dennoch nicht, obgleich weitreichende Planungshorizonte in kaum einer Branche noch realistisch sind. Wechselnde Kundenpräferenzen, technologische Umbrüche oder Konjunkturschwankungen werden zu Variablen, die langfristige Zielvorgaben für nichtig erklären. Unter solch turbulenten Rahmenbedingungen rät Unternehmensberaterin Barbara Heitger zum »Fahren auf Sicht«: »Was ist der stabile Kern der Strategie, was ist unsere strategische Orientierung und was ist beweglich zu halten? Für die beweglichen Teile wird eine ›Landkarte‹ erstellt: eine Analyse des momentanen Potenzials der Situation.« Auf dieser Basis wird eine Play-to-win-Strategie (Ziel: Marktführerschaft) oder Play-not-to-lose-Strategie (Ziel: auf dem Markt wettbewerbsfähig zu bleiben) gewählt. Entscheidet man sich für die PNTLStrategie, heißt es weiterzumachen und die Situation im Auge zu behalten, bis sie sich ändert – denn das wird zwangsläufig passieren. Wird eine PTW-Strategie verfolgt, verpflichtet das zu radikalen, strategischen Innovationen. »Evolutionäre Entwicklung greift hier zu kurz«, ist Heitger überzeugt. Es geht mitunter »um eine radikale Kulturänderung «, meint Wirtschaftsmediator Franz Kokoth: »Folgen die MitarbeiterInnen rein standardisierten Prozessen oder werden sie auf das Improvisieren von Lösungen vorbereitet? Manche Improvisierung kann das Überleben eines Unternehmens bedeuten.« Hierarchische Strukturen sind nicht unbedingt ein Hindernis, wichtiger ist die Lernbereitschaft einer Organisation. »Eine Feuerwehr ist auch streng hierarchisch organisiert und das macht Sinn. Bei einem Einsatz muss klar sein, wer wofür verantwortlich ist und wer das Sagen hat«, sagt Beraterin Judith Kölblinger. »Dennoch ist es auch für die Feuerwehr wichtig, nachher auszuwerten, was gut gelaufen ist oder weniger gut. An dieser Stelle macht sie die Organisation offen für Reflexionen und Meinungen anderer.«


Glossar: Resilient führen

Soziale Aspekte
- Einfühlungsvermögen: ermöglicht Perspektivenwechsel
- Hohe situative Anpassungsfähigkeit
- Stabiles soziales Netzwerk für Unterstützung, Anregungen, Feedback Emotionale Aspekte
- Realistisches Einschätzen der eigenen Umwelt
- Akzeptanz von nicht-veränderlichen Rahmenbedingungen
- Niederlagen und Rückschläge als Teil des Lebens sehen
- Ausgeglichenheit im Durchleben von Turbulenzen
- Zuversicht in eine bessere/ andere Zukunft
- Glaube an den Sinn des eigenen Tuns
- Fähigkeit, Dinge mit Humor zu nehmen Sachbezogene Aspekte
- Analysestärke: logisches Denken, genaues Beobachten, Identifizieren von Ursachen und Folgen
- Entwickeln von Zukunftsszenarien und Vorbereiten auf mögliche Ereignisse
- Vielfalt an Perspektiven und Handlungsoptionen
- Lösungsorientierung: klarer Blick auf die eigenen Möglichkeiten
- Effizienter Einsatz der eigenen Energie
- Nutzen von Ressourcen im eigenen Gestaltungsspielraum
- Aktivität statt passiver Opferrolle
- Bereits erfahrene Handlungskontrolle erleichtert das Übernehmen von Verantwortung

Quelle: Heitger Consulting

Last modified onDonnerstag, 29 Januar 2015 10:20
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