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Länger gesund

Länger gesund

Österreich ist ein Land der Spitäler – unser Gesundheitssystem ist eines der teuersten Europas. Neben der Versorgung wird nun Vorsorge in den Mittelpunkt gerückt. Gesundheitskompetenz und Prävention sollen in allen Unternehmen selbstverständlich werden.

Seit dem Vorjahr haben rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Pfizer ein neues Hobby. Nach der Arbeit geht es nicht heim aufs Sofa, sondern auf einen Acker in Firmennähe, wo gemeinsam umgegraben, gepflanzt und gegossen wird. Der Lohn, neben knackigem Bio-Gemüse: mehr Wohlbefinden. »Die Rückmeldungen der Mitarbeiter sind durchwegs positiv. Es kamen auch schon Bitten, dass es toll wäre, wenn wir dieses Projekt beibehielten«, sagt Stefanie Schmidt, HR-Managerin bei Pfizer Deutschland. Hinter dem Pilotprojekt steht die Krankenkasse Barmer GEK, die das Konzept mit dem Start-up Ackerhelden umsetzt. Was sich in mehreren deutschen Städten seit 2013 bewährt, ist seit kurzem auch in Österreich möglich. Als erster Standort steht die Stadtflucht Bergmühle nördlich von Wien für Hobbygärtner zur Verfügung – vorerst für Privatpersonen.

Das Angebot wird im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung nun auf Unternehmen ausgeweitet. Je nach Lage können auch ein Feldstück in der Nähe des Betriebes angemietet oder Hochbeete auf dem Dach des Firmengebäudes angelegt werden. Martin Rohla, Bio-Bauer und Inves­tor in Wien, brachte die Idee nach Öster­reich und will den Fokus auch auf Ernährungsberatung richten: »Eine gesunde Ernährung wirkt sich positiv auf das Wohlbefinden der Mitarbeiter aus und fördert deren Leistungskraft.« Rezeptideen, speziell für die Mittagspause am Arbeitsplatz, sollen das Bewusstsein dafür schaffen. Die Ackerheldinnen und -helden wirken dabei als MultiplikatorInnen, denn die Begeisterung steckt an. Im Betrieb drehen sich die Gespräche immer öfter um frisches Obst und Gemüse und deren Zubereitung. Ganz nebenbei hat das Projekt einen teambildenden Effekt: »Entsteht aus der Saat eine Jungpflanze und fällt die Ernte gut aus, so ist das ein Erfolgserlebnis und hebt die Stimmung der Mitarbeiter«, erklärt Rohla.

10.000 Schritte um die Welt

Bio-Bauer Martin Rohla stellt »Ackerhelden« im Sonderbereich »Corporate Health« auf der Personal Austria 2017 – am 8. und 9. November in der Messe Wien – vor. Gesponsert wird dieser Schwerpunkt von Virgin Pulse, Veranstalter der »Global Challenge«, einem weiteren innovativen Präventionsprogramm. Bis zu 45.000 Personen aus unterschiedlichsten Unternehmen treten jeweils in 7er-Teams weltweit gegeneinander an. Alle TeilnehmerInnen erhalten einen Aktivitätstracker, mit dem in einem Zeitraum von 100 Tagen täglich 10.000 Schritte aufgezeichnet werden sollten. Diese real gegangenen Schritte werden auf eine virtuelle Weltreise umgelegt. Die vom Milliardär und Abenteurer Richard Branson initiierte Mission soll zu mehr Bewegung, gesunder Ernährung, ausreichend Schlaf und Stressbewältigung anregen. Spezielle Apps und Belohnungen fördern die Motivation und den Zusammenhalt innerhalb der Belegschaft.

Bild oben: Martin Gleitsmann, WKO: »Finanzielle Unterstützung würde BGF-Maßnahmen attraktiver machen.«

Die Vielzahl an neuen Projekten und Ideen überrascht angesichts der vorliegenden Gesundheitsstatistiken nicht wirklich. Pro Werktag verbringen wir durchschnittlich 7,5 Stunden sitzend. Laut Statis­tik Austria sind rund 3,4 Millionen Österreicherinnen und Österreicher übergewichtig oder adipös. Chronische Krankheiten wie Asthma und die Lungenerkrankung COPD, Herzinsuffizienz sowie Diabetes steigen an. Besonders betroffen sind Menschen im letzten Lebensabschnitt. Während 65-Jährige in Schweden, Norwegen und Malta noch rund 15 gesunde Jahre vor sich haben, sind es in Österreich nur knapp acht Jahre.

Krankes Österreich

Dabei ist Österreichs Gesundheitssys­tem eines der modernsten Europas, gleichzeitig aber auch eines der teuersten. Pro tausend Einwohner gibt es hierzulande um 60 % mehr Spitalsbetten als im Durchschnitt der OECD-Staaten. Diese Betten werden auch genutzt, wie die Daten über die Dauer von Krankenhausaufenthalten zeigen. Mit 266 Spitalsentlassungen pro 1.000 Einwohner liegt Österreich 70 % über dem OECD-Schnitt von 155 Entlassungen. Viele dieser stationären Aufenthalte ließen sich durch einen Ausbau der ambulanten Versorgung vermeiden – und wohl auch durch ein verbessertes Präventionsprogramm.

Bild oben: Frau und Herr Österreicher treiben über Jahre Raubbau an ihrem Körper, um sich dann ins Spital zu legen.

Statt verantwortungsvoll mit der eigenen Gesundheit umzugehen, treiben Herr und Frau Österreicher über Jahre Raubbau an ihrem Körper, um sich dann ins Spital zu legen. Oft zu spät, wenn trotz kostspieliger Behandlungen keine Heilung, nur Linderung der Symptome möglich ist. Auch die große Zahl an Menschen, die Notdienste in Anspruch nehmen, sind ein Indiz dafür.

Der Wissensstand über Gesundheitsthemen, aber auch bestehende Vorsorgeangebote ist erschreckend gering. Nur etwa 10 % der Bevölkerung wissen über Impfprogramme, Screenings und andere präventive Untersuchungen Bescheid. Insbesondere Ältere, Menschen mit geringer Bildung, niedrigem Sozialstatus oder Migrationshintergrund sind von der Fülle an Informationen überfordert. Sie haben Schwierigkeiten, ihren Arzt bzw. ihre Ärztin zu verstehen, Behandlungsmöglichkeiten zu beurteilen oder wissen gar nicht, wer für ihre Gesundheitsprobleme der richtige Ansprechpartner ist. Von »mündigen« Patienten kann keine Rede sein.

In den Niederlanden, einem der Musterländer mit der höchsten Gesundheitskompetenz, verfügt jeder Vierte über ein exzellentes Verständnis, lediglich 28,7 % mangelt es diesbezüglich. Hier ist das Thema Gesundheit bereits im Kindergarten, aber auch in der Erwachsenenbildung, etwa in Sprachkursen für Zuwanderer, präsent. Mediziner sind verpflichtet, Behandlungen verständlich zu erklären, und müssen sich vergewissern, ob sie richtig verstanden wurden. Patientenfreundliche Kommunikation ist Teil der ärztlichen Ausbildung. Ein eigenes Trainingsprogramm für ApothekerInnen soll helfen, ihren Blick für Menschen mit geringer Gesundheitskompetenz zu schärfen, um die sichere Anwendung von Medikamenten zu fördern.

Finanzielle Anreize

Die SVA, Versicherungsanstalt für selbstständig Erwerbstätige, versucht indessen, ihren Versicherten mit finanziellen Anreizen einen gesünderen Lebensstil schmackhaft zu machen. Nach einer Vorsorgeuntersuchung werden gemeinsam Gesundheitsziele zu den fünf Parametern – Blutdruck, Gewicht, Bewegung, Tabak- und Alkoholkonsum – vereinbart. Werden diese Ziele erreicht, verringert sich der Selbstbehalt in den folgenden zwei Jahren um die Hälfte. Rund 110.000 Menschen nahmen bereits an dem Programm »Selbstständig gesund« teil. Die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen stieg bei der SVA um 38 %.

Grafik: Anreize zur gesunden Lebensführung fehlen in den meisten Unternehmen.

Die Generali Versicherung startete am 2. Oktober mit »Generali Vitality«, einem neuen Angebot für gesündere Lebensweise. Die Mitglieder ermitteln dafür ihr aktuelles Gesundheits- und Fitnessniveau und legen ihre persönlichen Ziele fest, die sie mithilfe des Programms erreichen wollen. Online über das Mitgliederportal oder via App am Smartphone können durch gesundheitsfördernde Aktivitäten Punkte gesammelt werden, zum Beispiel durch Vorsorgeuntersuchungen, Teilnahme an Tests oder sportliche Betätigung. TeilnehmerInnen des Graz-Marathons – also ohnehin bereits sehr sportliche und gesundheitsaffine Menschen – konnten so auf einen Schlag gleich 1.200 Punkte generieren.

Als Belohnung winken spezielle Angebote von Partnerunternehmen, etwa Adidas, Garmin oder Amazon. Für das Programm sind pro Monat knapp zehn Euro zu bezahlen, Vergünstigungen können unabhängig vom Punkte-Level von Beginn an in Anspruch genommen werden. Generali-CEO Alfred Leu will mittelfristig jeden Zehnten der 1,6 Millionen Kunden für das Vitality-Programm gewinnen.

Bild oben: Alfred Leu, Generali: »Generali Vitality motiviert Menschen, gesünder und bewusster zu leben.«

Drei Viertel der österreichischen Unternehmen setzen bereits gesundheitsfördernde Maßnahmen um, wie eine aktuelle Umfrage der Wirtschaftskammer Österreich mit dem Netzwerk Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) ergab. Ganz oben auf der Hitliste steht die ergonomische Gestaltung der Arbeitsplätze (70 %); immerhin die Hälfte der befragten Betriebe änderte Arbeitsabläufe, setzte Bewegungsangebote oder Teambuilding-Aktivitäten. Nur 10 % zeigten »kein Interesse« – fehlende personelle Ressourcen und hoher zeitlicher Aufwand sind häufig Barrieren, sich auf die Thematik einzulassen.

Auch ums Geld dreht es sich, weiß Martin Gleitsmann, Leiter der Abteilung für Sozialpolitik und Gesundheit in der WKO: »Fast zwei Drittel der Unternehmen geben an, dass finanzielle Unterstützung die Umsetzung von BGF-Maßnahmen attraktiver machen würde.« Dabei liegen die Vorteile eigentlich auf der Hand: Motivation und Arbeitszufriedenheit steigen, Krankenstände und Fluktuation werden reduziert – die Investitionen machen sich somit auf jeden Fall bezahlt.

⇒ Mehr zum Thema: Interview mit Armin Fidler

Last modified onMontag, 30 Oktober 2017 13:34
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