Mittwoch, April 24, 2024
Alternativen plötzlich dringend gesucht

Kann die Abhängigkeit von russischem Gas und auch generell von Fossilen in der Wärmeerzeugung und chemischen Industrie reduziert werden? Die Antworten gibt es auf dem Papier, die Umsetzung wird viele Jahre benötigen.

Titelbild: Michael Mock, Geschäftsführer ÖVGW, und Stefan Malaschofsky, geschäftsführender Gesellschafter der EVM Energieversorgung Margarethen am Moos: Die Biogasanlage wurde von Landwirten ursprünglich als bäuerliche Genossenschaft gegründet und 2007 mit einer Biomethan-Hoftankstelle ausgestattet. Seit 2015 wird auch in einer nahegelegenen Paradeiser-Plantage das bei der Biogas-Herstellung anfallende CO2 als Pflanzendünger und die Anlagenabwärme fürs Klima im Glashaus genützt.

Es war ein Wendepunkt auf vielen Ebenen: Am 24. Februar 2022 marschiert die russische Armee in der Ukraine ein. In den folgenden Wochen dieses Krieges, des heftigen Widerstands, der Drohgebärden und wachsenden Sanktionen wird der europäischen Zivilgesellschaft klar – mit Gasheizungen, Warmwasseraufbereitung und den Verbrennungsmotoren auf der Straße wird auch ein Krieg finanziert.

Von Fossilen stark abhängige Importländer wie Deutschland und Österreich sehen keine Möglichkeit, russisches Gas zu boykottieren. »So schmerzhaft das sein mag: wir sind überdurchschnittlich von russischem Gas abhängig – über 80 Prozent unseres Gases kommen aus der Russischen Föderation. Das ist kurz- und mittelfristig nicht zu ersetzen«, ist auch für Christian Pochtler, Präsident der Industriellenvereinigung, klar.

»Ein abrupter Stopp der Gasversorgung hätte katastrophale Auswirkungen auf die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern«, warnt Hubert Culik, Obmann der chemischen Industrie. Da Chemie am Anfang fast aller Produktionsprozesse stehe, würden in der Konsequenz auch viele nachgelagerte Liefer- und Produktionsketten in Österreich zusammenbrechen.  

Lösungen gesucht

Ist ein Ausstieg aus der Abhängigkeit bei Öl und Gas überhaupt möglich? Langfristig ja, kurzfristig nein – die Lösung liegt in der Mitte, sind sich Energieexpert*innen einig. Erdgas wird seit Jahren als Brückentechnologie der Energiewende auch im Strombereich gesehen. Insbesondere in den Wintermonaten, in denen die Leistung der Laufkraftwerke reduziert ist, kommen Gaskraftwerke auch zur Stromerzeugung zum Einsatz – zumindest so lange, bis die Erneuerbaren, allen voran Windkraft und Photovoltaik, künftig größere Lasten über längere Zeiträume in Österreich verlässlich stemmen werden.

Machbar. Obwohl die Klimaziele der EU bis 2030 eine Reduktion der Gasimporte um etwa 65 % vorsehen, ist es laut einer Studie von Agora Energiewende möglich, schon bis 2027 eine Senkung von 85 % zu bewirken. 

»Auch wir in der Energiewirtschaft hatten in den vergangenen Jahren eine Wunschrealität angenommen«, gibt Michael Haselauer, Geschäftsführer Netz Oberösterreich, zu. Gas war über Jahrzehnte günstig und in den Gasbezugsverträgen mit der damaligen UdSSR, später der Russischen Föderation, hatte man es stets mit verlässlichen Geschäftspartnern zu tun. 900.000 Gasheizungen, 600.000 Ölheizungen und eine vom Erdgas stark abhängige Industrie in Österreich sind das Ergebnis heute. Und Österreich steht damit nicht alleine da.

Geschätzt 4000 Milliarden m³ jährlich beträgt die weltweite Produktion von Erdgas. Rund ein Zehntel davon wird als LNG – verflüssigtes Erdgas- und Methangas – transportiert. Als Alternative für den Import von Pipelinegas aus oft menschenrechtlichen Problemländern gehandelt, steht auch bei LNG der Markt vor großen Herausforderungen. Die nötige Zahl an Umschlagplätzen und teilweise auch Infrastruktur fehlt in Europa. Der Bau weiterer Terminals, um größere Importmengen etwa aus den USA aufzunehmen, wird Jahre dauern.

Zudem ist LNG selbst ein Energiefresser: Gas wird auf ein Sechshundertstel seines ursprünglichen Volumens komprimiert. Die Verflüssigung ist energieintensiv und verschlingt 10 bis 15 Prozent des Energieträgers, was sich wiederum dauerhaft auf den Produktpreis auswirken wird.  

Bunter Mix

Welche Sektoren benötigen in Österreich Erdgas? Rund 400 TWh beträgt der Gesamtenergiebedarf im Alpenland, 90 TWh davon nimmt der Verbrauch von Erdgas ein. Die Industrie ist mit 42 % Volumen der größte Abnehmer von Erdgas, gefolgt von einem Anteil von 31 % bei Kraft- und Heizwerken – die auch für Wertschöpfung etwa in der Lebensmittelindustrie sorgen – sowie 17 % Raumwärme bei den Haushalten.

Insgesamt geht in Europa die Förderung mit eigenen Gasfeldern zurück: 320 Milliarden m³ Inlandsproduktion wurden noch im Jahr 2018 gezählt. Seitdem sind es gut 100 Milliarden m³ weniger. Fakt ist, dass in Staaten wie Norwegen die Produktion wieder gesteigert werden kann, wie bereits auch angekündigt worden ist – allerdings nicht in dem Maß, das einen Ausfall russischen Gases ersetzen könnte.

Weitere Alternative

Eine langfristige Lösung für nicht nur eine drohende Gasknappheit sondern auch die unvermeidbare Klimakrise wird in der völligen Abkehr von herkömmlichen Erdgas gesehen. »Wir werden oft als Gaslobby bezeichnet, das sind wir aber nicht«, betont Haselauer den Willen der heimischen Gaswirtschaft zu alternativen Stoffströmen auf Methanbasis oder synthetisch erzeugtem Wasserstoff.

Gäbe es eines Tages eine genügend große und stabile Wasserstoffversorgung, könnte es in eine Direktnutzung für die Industrie gehen. Bis dahin würde Wasserstoff in die Erdgasleitungen gemixt – im Fachjargon »Blending« genannt. »Wir sprechen hier von einem Stufen- und Phasenplan und nicht von einem Entweder-oder«, erklärt der Energieexperte.

Michael Haselauer, Netz Oberösterreich: »Wir sprechen von einem Stufen- und Phasenplan und nicht von einem Entweder-oder.«

Ob die Verwertung von Reststoffen, Holz oder ein »Bioswitch« bei Fahrzeugen – der Umstieg von Fossilen auf Erneuerbare bedeutet keine Qualitätsschwankungen aber eine enorme Reduktion der CO2-Emissionen. Methan ist gut speicherbar und damit möglicherweise das Missing Link in der Energiewende, um den saisonalen Unterschieden in der Wärme- und Stromerzeugung gegenzusteuern. Auch Kundenanlagen brauchen dazu nicht getauscht werden – bis hin zu Hochtemperaturanwendungen und  der Erzeugung von Dünger. Der Österreichischen Vereinigung für das Gas- und Wasserfach (ÖVGW) zufolge haben die heimischen Gasspeicher mit 93,2 TWh das Einunddreißigfache der Kapazität aller Pumpspeicherkraftwerke zusammengenommen.

Biogas aus Niederösterreich

Die Biogasanlage Margarethen am Moos ist die Größte in Österreich und zeigt, wie klimaneutrale Gasversorgung »Made in Austria« funktioniert. »Seit März 2019 läuft unsere Biogasaufbereitungsanlage auf Hochtouren«, sagt Stefan Malaschofsky, geschäftsführender Gesellschafter der EVM Energieversorgung Margarethen am Moos. Die Anlage verarbeitet 1100 Normkubikmeter Rohbiogas pro Stunde, das aus der Fermentierung von Pferdemist, Zwiebelschalen, Maiskolbenresten oder Getreideausputz entsteht. 800 m³ werden ins Netz eingespeist, rund 200 m³ verstromt.

»300 Biogasanlagen dieser Größe würden schon ausreichen, um alle Gashaushalte mit klimaneutralem Biomethan zu versorgen«, betont Malaschofsky. Voraussetzung dafür wäre, dass die gesamte Biogasmenge in Form von Biomethan ins Gasnetz eingespeist würde. Die entsprechenden Anreize fehlen allerdings derzeit noch.

Eine weitere Herausforderung ist freilich die regionale Wertschöpfungskette, die gerade bei der Anlieferung der Roh- und Reststoffe notwendig ist. Ab 30 km Transportweg in der Biomasseversorgung darf eine Wirtschaftlichkeit und auch Nachhaltigkeit infrage gestellt werden.

Experten der Johann-Kepler-Universität Linz, der Montanuniversität Leoben und Bioenergy2020+ haben errechnet, dass Österreich bis zu 50 Prozent des Gasbedarfs allein mit heimischem Biogas deckten könnte, wie es in Margarethen hergestellt wird. »Zunächst sollte jetzt aber das riesige heimische Biogaspotenzial gehoben werden. Das schafft Wertschöpfung und Arbeitsplätze im Inland und vereint zudem Versorgungssicherheit und Klimaschutz«, betont ÖVGW-Geschäftsführer Michael Mock.

Voraussetzung für den Biogasausbau sei ein gesetzlicher Rahmen in Form eines Grün-Gas-Gesetzes, das vergleichbar dem Ökostromgesetz ausgestaltet werden sollte und den Investoren und Betreibern Planungssicherheit gibt.

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