Freitag, März 29, 2024
»Ich bin von Grund auf ein positiver Mensch«
Hemma Bieser, die Geschäftsführerin von avantsmart.

Die Energiewende ist weiblich, sagt Hemma Bieser, Geschäftsführerin avantsmart. Für Veränderungen in den Systemen braucht es Anstrengungen auf allen Ebenen – sie sind aber machbar, ist die Expertin überzeugt.


Report: Halten Sie das Erreichen der Klimaziele Österreichs 2030 für realistisch?

Hemma Bieser: Ich bin von Grund auf ein sehr positiver Mensch – in meinem Denken und auch in meinem Handeln. Ich arbeite seit vielen Jahren an Zukunftsthemen, wie der Energiewende oder der Digitalisierung. Mittlerweile sind diese Themen in der Gegenwart angekommen. Die Zukunft, über die wir lange geredet haben, ist jetzt da. Aus dieser positiven Grundeinstellung heraus und aus meiner Erfahrung der letzten Jahre kann ich diese Frage ganz klar mit Ja beantworten. Ich glaube, dass es möglich ist und dass wir es schaffen.

Report: Warum sind Sie davon so überzeugt?

Bieser: Zum einen sind die Energietechnologien der Erneuerbaren marktreif. Jede und jeder, die oder der heute in Erneuerbare investiert, trifft eine eindeutig wirtschaftlich sinnvolle Entscheidung. Egal ob das Photovoltaik, Speicher, Elektromobilität oder Wärmepumpen sind – wir haben wirklich einen großen Mix an Technologien verfügbar, die wir heute schon einfach und auch zu leistbaren Preisen nutzen können. Man sieht das schon im Vergleich der Gestehungskosten bei PV im Vergleich zu anderen Technologien.

Dann bin ich als Physikerin im Herzen ja auch Wissenschaftlerin. Ich habe die Energieforschung in Österreich in den letzten Jahren immer wieder begleitet und selbst Forschungsprojekte gemacht. Dabei haben sich die Themen weiterentwickelt. Während früher einzelne Technologien im Mittelpunkt standen, sind es heute die Systeme im Ganzen. Das gibt es einerseits die technischen Komponenten, also die Fragen, wie einzelne Technologien in einem Energienetz funktionieren, aber auch wie sie in einem System zusammenwirken. Wir reden da nicht nur von Strom, sondern natürlich auch von Wärme und Mobilität. Besonders spannend wird es, wenn in der Forschung auch sozialwissenschaftliche und wirtschaftliche Aspekte behandelt werden und am Ende von Projekten auch neue Geschäftsmodelle stehen.

Das Bundesministerium für Klimaschutz hat gerade ein neues Forschungsförderungsprogramm gestartet, bei dem es um die Entwicklung von sogenannten Reallaboren geht. Derzeit laufen neun Pilotinitiativen und ich darf im Auftrag des BMK das Begleitmanagement machen. In diesen Projekten werden Konzepte entwickelt, wie eben eine Versorgung aus 100 Prozent erneuerbaren Energien in unterschiedlichen Regionen gelingen kann.

In diesen Projekten werden spannende Forschungsdesigns entwickelt, die über die einzelnen Energieträger und Sektoren hinweg Lösungen schaffen sollen. Dabei werden regionaltypische Gegebenheiten berücksichtigt – etwa in alpinen Regionen, im Waldviertel oder im Burgenland – und es werden die Menschen in den Regionen miteinbezogen. Ziel ist es, Modelle zu entwickeln und zu proben, die letztendlich bis 2030 zur Erreichung unserer Klima- und Energieziele umgesetzt werden. Die Forschung wird also zur Zielerreichung auch ihren Beitrag leisten.

Report: Welche Rollen werden die Konsument*innen in der Energiewende spielen?

Bieser: Wir haben neue Rahmenbedingungen, die es allen Bürger*innen ermöglichen, bei der Energiewende mitzumachen – mit den sogenannten Energiegemeinschaften. Mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz gibt es nun den Rechtsrahmen, um den Ausbau zu ermöglichen. Der Klima- und Energiefonds fördert bereits die ersten Pilotprojekte. Bereits 2018 haben wir gemeinsam mit 19 weiteren Partnern die OurPower Energiegenossenschaft gegründet, einen digitalen Marktplatz für den Peer-to-Peer-Stromhandel. Jeder, der eine PV-Anlage oder ein Wasserkraftwerk hat, kann seinen Strom über diesen Marktplatz verkaufen.

Städter*innen können sich aus einem Portfolio aussuchen, woher sie ihren Strom beziehen möchten. Mittlerweile haben wir über 500 Mitglieder und wir entwickeln gerade in fünf Pilotprojekten, die ebenfalls gefördert werden, Energiegemeinschaften nach dem neuen Gesetz. Ich sehe da eine starke Nachfrage der Bürger*innen, in Erneuerbare zu investieren und bei diesen gemeinschaftlichen Projekten mitzumachen. Diese Möglichkeiten sich zu engagieren und zu investieren hat es bis jetzt nicht gegeben. Ich gehe davon aus, dass dieser Trend auch stark dazu beitragen wird, dass wir die Energieziele erreichen. Das Geld ist jedenfalls da.

Report: Vielerorts wird betont, eine Systemwende werde vor allem über Finanzierungen angetrieben. Was aber sollte darüber hinaus geschehen – politisch und auch gesellschaftlich?

Bieser: Wir sind mitten drin in einem großen Veränderungsprozess, bei dem die zentralen Versorgungsstrukturen durch regionale Energiesysteme und viele kleine Erzeuger ersetzt werden. Die etablierte Branche öffnet sich, die Türen gehen auf und neue Player kommen in den Markt. Im Green-Tech-Bereich entstehen Chancen für neue Unternehmen, die bisher nicht in der Energiebranche tätig waren. Diese Unternehmen – Start-ups oder Unternehmen aus dem IT-Bereich – bräuchten aber auch mehr Unterstützung.

Dann habe ich auch den Eindruck, dass bei der Umsetzung und dem Setzen von Zielen sehr in die Zukunft geschaut wird, aber das heute Verfügbare vielleicht zu kurz kommt. Wenn wir davon sprechen, dass in einigen Jahren das Wasserstoffauto für alle verfügbar sein wird, wird übersehen, dass wir bereits heute Technologien wie die Elektromobilität haben. Sie ist bereits kostengünstiger und verfügbar. Und es wird auch nicht die Lösung sein, einen Fahrzeugantrieb durch einen anderen zu ersetzen.

Wir brauchen auch eine Verhaltensänderung bei den Menschen und gesellschaftliche Veränderungen. So verändert zum Beispiel das Klimaticket die Mobilität hin zur Bahn. Homeoffice-Regelungen können den Berufsverkehr zumindest zu einem Teil reduzieren, wenn die Menschen zwei, drei Tage in der Woche nicht pendeln müssen. 

Report: Wie ist die Lage im Bereich Fachkräfte in der Energiewirtschaft bezüglich der Ansprache von Frauen für diese Berufsbilder? Was hat sich denn dazu in den vergangenen Jahrzehnten geändert?

Bieser: Es ist ein Thema, das mich schon seit vielen Jahren beschäftigt. 2011 habe ich zum ersten Mal ein Frauennetzwerk mitgegründet. Mit WIMEN vernetzen wir Frauen in den Bereichen Mobilität, öffentlicher Raum und Energie, um uns gegenseitig zu stärken und sichtbar zu machen. Frauennetzwerke sind auch deswegen so spannend, weil sie genau widerspiegeln, in welchen Bereichen und Berufen auch Frauen tätig sind. Mittlerweile ist eine ganze Reihe von Netzwerken mit unterschiedlichen Schwerpunkten entstanden, was gut und wichtig ist. Aber die Frauen in technischen Berufen in den MINT-Fächern sind nach wie vor in der Minderheit.

Verändert haben sich aber auch die Berufsbilder in der Technik. Wenn wir heute über Fachkräfte in der Energiewirtschaft sprechen, brauchen wir ganz neue Bilder in unseren Köpfen. Es geht nicht nur um den Techniker, der auf einen Mast steigt. Neben den Elektrotechniker*innen sollten wir an Data Scientists, Community Manager*innen, Innovation Manager*innen, Design Thinker, Sozialwissenschaftler*innen denken. Es wird bunter – mit vielen neuen Geschäftsmodellen und Services braucht es auch andere Berufsbilder.

Wir haben im letzten Jahr zwei Veranstaltungen gemacht unter dem Titel »Die Energiewende ist weiblich«, bei denen nur Referentinnen auf der Onlinebühne waren. Wir wollten bei diesen Events die Vielfalt der Möglichkeiten darstellen, die Energiewende mitzugestalten. Die Referentinnen kommen aus dem Bereich der Forschung, sind Unternehmerinnen, politisch tätig oder bauen ganz neue Organisationen auf. Ein reines Technologiewissen ist nicht mehr ausreichend. Ich muss mich auch in sozialwissenschaftlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Bereichen auskennen. Es ist transdisziplinär geworden – in der Ausbildung, in der Forschung und in der Arbeit.

Report: Und welche Empfehlungen sprechen Sie aus, Frauen für diese Berufe anzusprechen?

Bieser: Wichtig ist, von den etablierten Begrifflichkeiten wegzukommen. Bei Jobausschreibungen wird oft versucht, die Beschreibung im Rahmen eines bewährten Schemas zu machen. Jetzt geht es aber darum, neue Job Descriptions zu erstellen, die in die bestehende Struktur gar nicht passen. Da braucht es auch gute Ideen, Kreativität und Flexibilität im Unternehmen, um auch hier Innovation zuzulassen.

Vieles erfährt man, wenn man mit den Frauen direkt spricht. Das eine ist ja, neue Mitarbeiterinnen zu gewinnen. Das andere ist, wie gelingt es, die guten Frauen auch wirklich zu halten. Ich kenne viele, die nach Jahren im Unternehmen sich selbständig gemacht haben, um ihren Traum zu verwirklichen, weil sie im Konzern nicht die Rahmenbedingungen dafür gehabt haben.


Zur Person


Hemma Bieser, Geschäftsführerin avantsmart, entwickelt neue Geschäftsmodelle für den Energiemarkt der Zukunft und berät Unternehmen in Digitalisierungsprozessen. Als Beraterin des Bundesministeriums für Klimaschutz gestaltet sie die Energie- und Technologiepolitik mit. Darüber hinaus forscht sie selbst auch an innovativen Geschäfts- und Kooperationsmodellen für die nachhaltige Transformation des Energiesystems und den Klimaschutz. Die Diplomingenieurin in Technischer Physik ist Lektorin am Technikum Wien sowie an der Universität für Angewandte Kunst und hält Vorlesungen zu den Themen Business Design, Entrepreneurship und Innovation.

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