Samstag, Juli 27, 2024
Gen IV: Atom statt Kohle

Viele aus der Atomstrom-Nein-Danke-Generation wird die Nachricht nervös machen: Nuklearenergie erlebt einen neuen Frühling. Eine Investitionswelle in Kraftwerke der Generation IV beginnt. Schon Mitte des Jahrzehnts gehen AKWs der Generation IV ans Netz. 

Microsoft Gründer Bill Gates und Finanz-Methusalem Warren Buffet investieren über die ihnen eigenen Firmen TerraPower und PacifiCorp rund vier Milliarden US-Dollar, um in Kemmerer, Wyoming ein Atomkraftwerk der Generation IV zu bauen – ausgerechnet dort, wo früher mit Kohle abgebaut wurde.

Zusammen mit GE Hitachi Nuclear Energy wird bis Ende des Jahrzehnts ein Werk errichtet, das auf Natriumtechnologie aufbaut, die Strom billiger, effizienter und sicherer produziert. Der 345-Megawatt-Natriumbrüter soll traditionelle Leichtwasserreaktoren alt aussehen lassen und den produzierten Atommüll zu 80 Prozent gleich wiederverwerten. CO2-neutral und zuverlässig ergänze das Kraftwerk Solar- und Windkraftwerke und trage damit wesentlich zum Kampf gegen den Klimawandel bei, argumentiert Bill Gates.



Microsoft-Gründer Bill Gates investiert seit Jahren in das Atomstrom-Start-up TerraPower.

Die Wahl von Kemmerer hat auch symbolischen Charakter. Von den 3.000 Einwohner*innen im Ort arbeiten 400 im Kohleabbau und Kraftwerk. Dekarbonisierung heißt das Zauberwort, und Gates schafft den Übergang von Kohle zu Atom. Rund 2.000 Arbeitsplätze werden in der Bauphase entstehen.

Haleu statt Uran

Neben dem Natrium-Kühlsystem weist das Projekt in Wyoming eine weitere Besonderheit auf. Anders als konventionelle AKWs nutzt es nicht bis fünf Prozent angereichertes Uran 235 sondern setzt auf Haleu, hoch reines, niedrig angereichertes Uran, an dessen breiter Verfügbarkeit im Moment intensiv gearbeitet wird. Rund 600 Tonnen werden in den USA bis 2030 benötigt und nur ein Bruchteil dieser Menge ist zur Zeit verfügbar. Das US-Energieministerium (DOE) stellt in seinen Laboratorien Kleinmengen zur Verfügung.

Der Energieversorger PacifiCorp ist Teil von Warren Buffets Holding Berkshire Hathaway. 

In einem Dreijahresprogramm soll dann sichergestellt werden, dass jede gebrauchte Haleu-Menge tatsächlich abrufbar ist. Gemeinsam mit Centrus Energy werden 16 Zentrifugen entwickelt, die 2025 in Piketon Ohio in Betrieb gehen sollen. »Mehr als 20 Firmen arbeiten in den USA im Moment an der Entwicklung innovativer Reaktoren, die die Art, wie wir über Atomenergie denken, komplett verändern werden«, heißt es aus dem US-Energieministerium, das eine zentrale Rolle in der Entwicklung spielt. Rund die Hälfte der Investitionssumme im TerraPower-Projekt in Wyoming – also zwei Milliarden – kommen aus dem Budget des Ministeriums. 

Atom-Großmacht Russland

Kleinere AKWs, höhere Lebensdauer, kaum Abfall und höhere Energieausbeute, das sei das Erfolgsrezept, mit dem die USA verlorenes Terrain wieder gutmachen wollen. Die Großmacht in Sachen Atomenergie ist Russland und dort macht man ordentlich Tempo. 

Rosatom, der russische Atomkraftwerksbetreiber hat im Juni 2021 in Tomsk, Sibirien den Grundstein für einen Gen-IV-Reaktor gelegt, der das sechzigfache der Energieausbeute eines langsamen Neutronenreaktors bringen soll. Sowohl das Gates-Projekt in Wyoming als auch das Projekt in Tomsk setzen auf schnelle Neutronen und werden FNRs genannt. Rund 20 FNRs gibt es weltweit, manche seit den 50er-Jahren. Ein weitverbreiteter Einsatz scheiterte bisher daran, dass mit der Geschwindigkeit der Neutronen auch der Aufwand steigt, um die Atomspaltung aufrecht zu erhalten. Neue Kühlsysteme und neue Uran-Rezepturen machen jetzt den Unterschied.



Der neue Reaktor entsteht auf dem Gelände eines stillgelegten Kohlekraftwerks in Wyoming.

Außerdem sorgen geschlossene Systeme – das ist das Merkmal aller Gen-IV-Reaktoren – dafür, dass anfallender Atommüll wiederverwertet wird. Die Reaktoren der IV. Generation arbeiten in einem deutlich höheren Temperaturbereich – zwischen 500 und 850 Grad (im Vergleich zu weniger als 330 Grad bei konventionellen AKWs). Gerade im Bereich der Kühlsysteme – das Gates-Projekt arbeitet mit Natrium, in Tomsk kommt ein Bleisystem zum Einsatz – sind enorme Fortschritte erzielt worden, die jetzt das Tor zur kommerziellen Nutzung weit aufstoßen.

Bei der Grundsteinlegung erklärte Alexey Likhachev, Generaldirektor der Rosatom, dass der Reaktor in Tomsk einen gewaltigen Fortschritt in der Nukleartechnologie darstelle. Es werde das erste Projekt sein, das FN-Technologie schaffe, ein umfassendes Wärmespeichersystem und eine komplette Wiederverwertung des Atommülls. Schon 2026 will man das Werk in Betrieb nehmen. 

Enormes Wachstum

Der eben erst erschienene Bericht über den weltweiten Atomenergiemarkt (Nuclear Electricity Global Market Report 2022), herausgebracht von der Business Research Company, ist geradezu euphorisch und sagt für heuer ein Wachstum von 8,3 Prozent voraus. 2021 waren mit Atomenergie 166 Milliarden US-Dollar umgesetzt worden, heuer sollen es 180 Milliarden sein, und 2026 sogar 239 Milliarden. Ein annualisiertes Wachstum von 7,4 Prozent bis 2026 ist zu erwarten. Dann geht die Generation IV ans Netz.

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