Wednesday, November 05, 2025

Mehrwert für Manager

Bau | Immobilien

Lean Management ist kein rein betriebswirtschaftliches Modell – es ist auch ein ethisches Konzept. Eine Masterarbeit am Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft der TU Graz beschäftigt sich mit der Frage, welche Potenziale sich daraus für die Bauwirtschaft ergeben können.


Lean Management, ursprünglich im Toyota-Produktionssystem entwickelt, verfolgt ein klares Ziel: Prozesse optimieren und jegliche Form von Verschwendung systematisch beseitigen. Anders als in traditionellen Managementansätzen steht nicht das Produkt, sondern der Kunde im Zentrum der Betrachtung. Der Begriff »Wert« wird aus Sicht des Kunden definiert – also danach, wofür er bereit ist, tatsächlich zu bezahlen. Was nicht zur Wertschöpfung beiträgt, gilt als »Muda« – als Verschwendung – und ist zu eliminieren.

Dabei geht es nicht nur um physische Ressourcen wie Material oder Arbeitszeit, sondern auch um versteckte Verluste: unklare Zuständigkeiten, Wartezeiten, Doppelarbeiten, unnötige Transportwege oder die Demotivation von Mitarbeitenden. Die fünf zentralen Lean-Prinzipien (siehe Kasten) sind kein reiner Werkzeugkoffer. Sie sind Ausdruck einer Haltung. Mitarbeitende werden nicht als Kostenfaktor, sondern als Mitgestalter und Problemlöser betrachtet. Führungskräfte sind keine Kontrolleure, sondern Coaches. Damit öffnet sich Lean Management dem Dialog mit ethischen Fragen: Was ist verantwortungsvolles Handeln? Wem dient unser Tun? Was sind wir bereit zu akzeptieren – und was nicht?

Lean ist nicht wertneutral
Lean Management wird oft als effizienzgetriebenes Konzept missverstanden. Doch wer Lean ganzheitlich denkt, erkennt: Es ist kein rein betriebswirtschaftliches Modell – es ist auch ein ethisches Konzept. Denn es zwingt Organisationen dazu, Entscheidungen zu treffen, die Menschen, Ressourcen und Umwelt direkt betreffen. Hier eröffnen sich spannende Anknüpfungspunkte an klassische ethische Theorien wie den Utilitarismus, die Deontologie oder die Tugendethik.

Im Utilitarismus soll das Handeln den größtmöglichen Nutzen für die größtmögliche Zahl erzeugen. Diese Idee deckt sich mit Lean-Zielen wie Ressourceneffizienz, Zeitersparnis und Nutzenmaximierung. In der Deontologie liegt der Fokus auf der Pflicht, Regeln und Prinzipien einzuhalten – unabhängig vom Ergebnis. In Lean-Prozessen werden Standards entwickelt und konsequent eingehalten. Und laut Tugendethik basieren gute Entscheidungen nicht allein auf Regeln oder Ergebnissen, sondern auf Charakter, Haltung und innerer Einstellung. Lean lebt von einer Kultur des Respekts, der Offenheit und der permanenten Selbstverbesserung.

Diese ethischen Perspektiven zeigen: Wer Lean Management konsequent anwendet, sorgt nicht nur für wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch für verantwortungsvolles Handeln. Damit wird deutlich: Erfolg und Werte müssen kein Widerspruch sein.

Führung neu gedacht
Lean Management bedeutet auch: Führung muss sich verändern. Die klassische Vorstellung vom autoritären Projektleiter oder Bauleiter, der »von oben herab« regiert, wird durch ein partizipatives, unterstützendes Führungsverständnis ersetzt. Statt Kontrolle und Sanktionen stehen Vertrauen, Befähigung und Kommunikation auf Augenhöhe im Mittelpunkt.

Ethisch betrachtet bedeutet Lean­Führung: Entscheidungen müssen transparent, nachvollziehbar und offen kommuniziert werden – auch unangenehme. Fehler gelten nicht als Schwächen, sondern als Lernchancen. Es geht darum, systematisch besser zu werden. Macht wird nicht zur Absicherung eigener Positionen verwendet, sondern im Dienst des Prozesses eingesetzt. Und Kommunikation erfolgt ehrlich, respektvoll und wertschätzend – auch über Hierarchien hinweg.

Gerade in der Bauwirtschaft ist das ein bedeutender Kulturwandel. Zeitdruck, Subunternehmermodelle und wechselnde Projektteams führen häufig zu Kommunikationsabbrüchen, Reibungsverlusten und Schuldzuweisungen. Lean Leadership dagegen setzt auf klare Strukturen, gemeinsame Verantwortung und lernfähige Organisationen – ein ethischer Quantensprung für viele Bauprojekte.

Fazit: Lean + Ethik = Zukunft
Die zentrale Erkenntnis lautet: Lean Management und Ethik sind keine Gegensätze – sie sind komplementäre Kräfte. Lean gibt die Struktur, Methoden und Werkzeuge vor, um Prozesse zu verbessern, Abläufe zu beschleunigen und Ergebnisse zu sichern. Ethik gibt diesen Methoden eine Richtung – sie verleiht Sinn, Maßstab und Glaubwürdigkeit. Zusammen ergeben sie ein System, das nicht nur effizient, sondern auch menschlich, gerecht und verantwortungsvoll ist.

Besonders in der Bauwirtschaft, die mit Imageproblemen, Fachkräftemangel und wachsendem Nachhaltigkeitsdruck konfrontiert ist, bietet dieser ganzheitliche Ansatz eine wichtige Zukunftschance. Unternehmen, die Lean allein als Sparinstrument sehen, greifen zu kurz. Erst durch die Verbindung mit ethischen Werten wird Lean zu einem wirkungsvollen Gestaltungswerkzeug für die Zukunft.

 

Die fünf Prinzipien des Lean Managements

1. Wert definieren aus Kundensicht
Was braucht der Kunde wirklich? Was erzeugt echten Nutzen?

2. Wertstrom identifizieren und Verschwendung eliminieren
Jeder Schritt eines Prozesses wird daraufhin untersucht, ob er zur Wertschöpfung beiträgt – alle anderen Schritte sind zu optimieren oder zu eliminieren.

3. Prozesse ohne Unterbrechungen gestalten
Ziel ist ein kontinuierlicher, reibungsloser Ablauf – nicht das klassische »Stück-für-Stück«-Denken mit Verzögerungen.

4. Pull-System einführen
Nur das produzieren, was tatsächlich gebraucht wird. Produktion und Dienstleistung erfolgen auf Abruf, nicht auf Vorrat.

5. Perfektion anstreben – kontinuierliche Verbesserung
Lean ist nie »fertig«. Regelmäßige Reflexion und Lernen sind fester Bestandteil der Philosophie.


Praktische Relevanz für die Bauwirtschaft

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Die Verbindung von Lean Management und Ethik bietet vier zentrale Handlungsfelder für Unternehmen:

Werte in Handlungen übersetzen
Statt abstrakter Leitbilder braucht es konkrete Regeln: Wie gehen wir mit Interessenkonflikten um? Was gilt bei Subunternehmerverträgen, bei Arbeitsbedingungen auf der Baustelle, bei Nachhaltigkeitszielen im Materialeinsatz? Ethische Prinzipien müssen im Alltag greifbar sein.

Führung als Kulturträger stärken
Lean verlangt eine andere Form von Führung. Führungskräfte müssen nicht nur technische Kompetenzen, sondern auch kommunikative und ethische Qualitäten mitbringen. Wer Werte vorlebt, fördert Vertrauen – und verhindert implizite Doppelmoral zwischen Außendarstellung und der inneren Wirklichkeit.

Verantwortung systemisch denken
Ein Lean-ethischer Ansatz berücksichtigt mehr als Termine und Budgets. Er bezieht gesellschaftliche Auswirkungen ein. Wie transparent ist die Zusammenarbeit? Wie sozialverträglich sind unsere Projekte? Welche Umweltfolgen werden in Kauf genommen – und wie wird damit umgegangen?

Wirtschaftlichkeit mit Moral verbinden
Es braucht keine Trennung von Ethik und Effizienz. Wer mit klaren Werten arbeitet, minimiert Reibungsverluste, stärkt die Qualität und erhöht die Akzeptanz gegenüber Behörden, Kunden und Öffentlichkeit. Kurz gesagt: Vertrauen verringert die Verschwendungen – und schafft unternehmerischen Mehrwert.

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