Dienstag, April 30, 2024
Lean & Recht

Im ersten Teil der Serie ging es um rechtliche Hürden - jetzt folgen konkrete Best-Practice-Beispiele, wie man Lean-Prinzipien rechtssicher in Verträgen verankern kann.

Ein zentrales Konzept von Lean Construction ist die Kundenorientierung. Auftraggeber und Projektteam treffen gemeinsam Entscheidungen, finden Lösungen und teilen sich das Risiko. Als Kostenträger hat der Auftraggeber großes Interesse, dass die Prinzipien der gemeinsamen Planung und Ausführung auch tatsächlich eingehalten werden bzw. bei Nichteinhaltung eingefordert werden können. Es stellt sich die Frage, wie Konflikte in einem System gelöst werden können, das Konflikte eigentlich vermeiden will.

Dabei zeigt sich, dass auch bei Lean-Projekten dem Vertrag zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer große Bedeutung zukommt. Denn Verträge werden vor allem dann gelesen, wenn Uneinigkeit herrscht, andernfalls verstauben Verträge ungenutzt in der Ablage. Die lange Zeit vorherrschende Praxis, Bemühungszusagen zur »Einhaltung von Lean-Prinzipien« in den Verträgen zu verankern, ist zwar nett, aus Rechts- und Kostensicherheitsgründen aber auch nicht mehr. Es empfiehlt sich, diese Zusagen mit harten Klauseln zu verankern, die alle Beteiligten binden.

Lose Verankerung

Bei einem Großteil der Bauverträge finden sich Verpflichtungen zur Einhaltung nachhaltiger Konzepte im Vertragspunkt »Leistungsbild«. So heißt es etwa, dass »im Sinne der Nachhaltigkeit im Leistungsumfang auch grundsätzliche Konzepte zur Minimierung bzw. Optimierung der Energie- (in der Errichtung und im Betrieb) sowie Nutzungs- und Betriebskostenaufwendungen zu berücksichtigen und in den jeweiligen Projektbeschreibungen besonders darauf hinzuweisen und einzugehen sind«. Eine derartige Formulierung stellt zwar eine vertragliche Grundlage dar, deren Nichteinhaltung einem Vertragsbruch gleichkommt, definiert aber nicht das Ausmaß einer solchen »Berücksichtigung«. Einen Erfolg vor Gericht wird daher eher nur ein Vertragsbruch durch einen besonders gravierenden Fall der Nichtberücksichtigung haben.

Es braucht eine Art »Messlatte«, ab welcher in Zusatzkosten bemessener Nicht­einhaltung der Lean-Prinzipien der Vertragspartner einzustehen hat. In der Praxis wird vertraglich oft festgehalten, dass bei Nichteinhaltung der Grundsätze im Leistungsbild diese nur anteilsmäßig vergütet werden. Bei weiter Auslegung könnte es auch Abzüge bei nicht erfolgter Kostenoptimierung geben, wobei hier der Anteil (»anteilsmäßige Vergütung«) schwer festzustellen wäre. Es empfiehlt sich, eine genaue Berechnungsformel in den Vertrag aufzunehmen.

Die acht Verschwendungsthemen aus vertraglicher Sicht

Lean Construction definiert in den meisten Fällen acht große Verschwendungsthemen. Dabei handelt es sich um die Bereiche »Wartezeit«, »Lagerhaltung«, »Transport«, »Überproduktion«, »Fehler/Mängel«, »ungeeignete Prozesse«, »Ungenutztes Mitarbeiter*innenpotenzial« und »ineffiziente Bewegungsabläufe«. Aus rechtlicher Sicht lassen sich diese Bereiche in drei Gruppen clustern. Bei »Lagerhaltung«, »Transport« und »Überproduktion« kommt es darauf an, wer die Kosten für diese Leistungen zu tragen hat. Anders formuliert: wenn beispielsweise Lagerhaltungskosten pauschaliert vereinbart werden, hat der Anbieter dieser Leistung ein großes Interesse daran, die Lagerhaltungsleistung gering zu halten, was auch dem Leistungsempfänger zugutekommt.

Die Bereiche »ungenutztes Mitarbeiter*innenpotenzial« und »ineffiziente Bewegungsabläufe« sind vertraglich schwer greifbar, da sie die Leistungserbringung nur unmittelbar betreffen und stets zu Lasten des Leistungserbringers gehen. Zudem ist fraglich, ob die Verbesserung dieser zwei Bereiche nicht bereits ohnehin unter betriebswirtschaftlichen Aspekten geboten ist, nachdem die langfristige Beibehaltung von Mängeln in diesen zwei Bereichen rasch zur fehlenden Wettbewerbsfähigkeit am Markt führen wird.

Bisher wurden Lean-Prinzipien nur lose in Verträgen verankert. Dabei sind konkrete Klauseln durchaus möglich.

In den Bereichen »Fehler/Mängel«, »Ungeeignete Prozesse« und »Wartezeit« greifen bereits die rechtlichen Regelungen Gewährleistungsrecht (Fehler/Mängel), Sorgfaltsmaßstab bzw. »Stand der Technik« (Ungeeignete Prozesse) und Verzug (Wartezeit). Für den Auftraggeber könnte es im Einzelfall sinnvoll sein, die Verpflichtung zur Verbesserung in diesen Bereichen zu verschärfen. Denkbar wäre hier die Vereinbarung einer Pönale (Vertragsstrafe) wie folgt: »Der Auftragnehmer verpflichtet sich zur Zahlung einer verschuldensunabhängigen Vertragsstrafe in Höhe von 10/20/25 % des Pauschalfestpreises für jede Kalenderwoche, um die einer der in diesem Vertragstext genannten Einzeltermine überschritten wird.«

Aus Sicht des Auftragnehmers könnte hingegen eine Haftungsobergrenze angedacht werden, die den Auftraggeber zumindest bei betraglich übersteigenden Haftungssituationen zur Mitwirkung zwingt. Diese könnte folgendermaßen lauten: »Für dem Auftraggeber zugefügte Schäden haftet der Auftragnehmer bis maximal 20 % der tatsächlich bezahlten Auftragssumme.« Darüber hinaus gibt es mehrere vertragliche Lösungsansätze, um die Einhaltung der Lean-Prinzipien zu verankern:

Lösungsansatz Prüf-, Warn- und Hinweispflichten

Sehr oft findet sich im Zusammenhang mit den gewünschten einzuhaltenden Lean-Prinzipien eine klar definierte Hinweis­pflicht, wie beispielsweise mit nachfolgender Klausel: »Der Auftraggeber hat den Auftragnehmer auf Umstände, die entweder Entscheidungen des Auftraggebers erfordern oder ein Risiko für eine nicht termin- und/oder kosten- und/oder qualitätsgerechte Realisierung des Bauvorhabens darstellen, rechtzeitig schriftlich hinzuweisen.«

Eine derartige Klausel beinhaltet eine sehr harte Verpflichtung zur Kommunikation aller auffallenden Themen und ist zum Schutz des Auftragnehmers sehr zu empfehlen. Solange also der Auftraggeber ein erkennbares Risiko für die Kostenoptimierung (Lean) nicht offenlegt, kann der Auftragnehmer auch bei einer Verpflichtung der Verfolgung der Kostenoptimierung dies einem Schadenersatzbegehren des Auftraggebers entgegensetzen.

Lösungsansatz Anreizmechanismus

Der Auftragnehmer könnte vertraglich anteilig an der Kosten­einsparung beteiligt werden, soweit durch seine Anwendung der Lean-Prinzipien (Einbringung von Know-how, günstige Subvergaben etc.) Kosten optimiert werden können. Vertraglich zu verankern sind hier die Klarstellung der Ursächlichkeit (Einsparung muss auf den Auftragnehmer zurückzuführen sein) und die betragsmäßige Berechnung der Einsparung.

Lösungsansatz Terminverbindlichkeit

Terminverbindlichkeiten sind in der bauvertraglichen Praxis bereits Standard und helfen ebenfalls dabei, die Einhaltung der Termine am Bau zu koordinieren. So sehen etwa Klauseln vor, dass bei verbindlichen Terminen das Gesamthonorar (Gesamtvergütung) um 2 % pro angefangene Woche des Verzuges verringert wird, ohne Notwendigkeit des Nachweises eines Schadens. Diese bereits sehr alte Vertragspraxis hilft in den obigen Prozessen ebenfalls, die Kostenoptimierung vertraglich abzusichern.

Lösungsansatz Risikoteilung und Haftungsobergrenzen

Gesamtvertraglich könnte eine Art »Risikofonds« aus den laufenden Erträgen bereitgestellt werden, der für unvorhersehbare Risiken herangezogen wird (ohne Verschulden eines Partners), welcher für alle Beteiligten (also nicht nur die einzelnen Vertragspartner) gleichermaßen zur Verfügung steht. In der Praxis nicht unüblich sind Haftungsobergrenzen, die sich am kalkulierten Gewinn bemessen, dies hat ebenfalls den Effekt, dass alle Partner einem Ausufern allfälliger Haftungen gemeinsam entgegenwirken.

Lösungsansatz Leistungsabruf

Sofern sich der Auftraggeber die Möglichkeit sichern will, Leistungen nur auf Abruf vergüten zu müssen, steht ihm das sogenannte Pull-Prinzip zur Verfügung: »Die Erbringung der Leistungen des Auftragnehmers erfolgt ausschließlich aufgrund eines jeweils gesonderten schriftlichen Abrufes des Auftraggebers. Der Auftraggeber kann diesen Abruf nach seinem Ermessen auch nur für einzelne Leistungsabschnitte vornehmen und auch innerhalb derselben nach seinem freien Ermessen unterteilen. Für vom Auftraggeber nicht abgerufene Leistungen gebührt dem Auftragnehmer kein Honorar und keine sonstige Vergütung oder Entschädigung, mag der Hinderungsgrund auch in der Sphäre des Auftraggebers liegen.«

Soweit der technisch nicht versierte Auftraggeber nicht in der Lage sein sollte, den korrekten Zeitpunkt für den Abruf zu erkennen, kann eine Verpflichtung des Auftragnehmers zur Anzeige dieses Zeitpunktes zusätzlich vereinbart werden: »Der Auftragnehmer ist verpflichtet, den Auftraggeber schriftlich darauf hinzuweisen, wenn und sobald der Abruf eines Leistungsabschnittes sachlich geboten wäre.«

Fazit

Es kann festgehalten werden, dass bisher die Verankerung der Lean-Prinzipien in Verträgen eher lose erfolgt ist, und zur tatsächlichen Durchsetzbarkeit geschärft werden müssen, in etwa durch Reduktion der Vergütung oder Pönalen. Pauschalpreise schaffen einen wirtschaftlichen Druck auf den Leistungserbringer zur Kostenoptimierung. Anreizsysteme (Bonussystem) können zusätzliche Bestrebungen zur Einhaltung der Prinzipien hervorbringen. Der Auftragnehmer kann sich am besten durch Haftungsobergrenzen und die Vereinbarung von haftungsfreistellenden Hinweispflichten absichern.


Über die Kanzlei

TOMS LEGAL ist eine Rechtsanwaltskanzlei im Zentrum Wiens mit Anwaltszulassung für sowohl die österreichische als auch die englische Rechtsordnung. Der Fokus liegt auf Zivil-, Gesellschaftsrecht und M&A, mit besonderer Spezialisierung im Bau-, Planungs- und Energierecht. Mit ihrer langjährigen Erfahrung in gerichtlichen Streitigkeiten und alternativer Streitbeilegung sowie in der Entwicklung umfassender Vertragsgesamtlösungen legt die Kanzlei großen Wert auf eine kompetente und individuelle Beratung ihrer Mandant*innen.

www.tomslegal.eu

 

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