Samstag, April 27, 2024

Im Rahmen des Europäischen Green Deals will die EU auch Zwangsarbeit bekämpfen und verantwortungsvolle Geschäftspraktiken fördern. Dafür hat die EU Kommission mit dem Lieferkettengesetz und dem Gesetz gegen »modern slavery« zwei wichtige Legislativvorschläge auf den Weg gebracht. Die Auswirkungen auf die Branche - und Handlungsempfehlungen für die Praxis. Text: Berthold Hofbauer und Katharina Kos.

Tipp: Den vollständigen Artikel inklusive eines praktischen Überblicks über das EU-Lieferkettengesetz und des Verbots von Produkten aus Modern Slavery finden Sie hier: Lieferketten und moderne Sklaven | Epaper


Unternehmen innerhalb der Europäischen Union sind führend bei der Nachhaltigkeitsbilanz und bestrebt, den Europäischen Green Deal voranzutreiben und zu verwirklichen. Trotz allem gibt es bei der Integration des Nachhaltigkeitsprinzips und der Sorgfaltspflicht in den Bereichen Menschenrechte und Umwelt in unternehmerischen Entscheidungsprozesse nur langsam Fortschritte; zumindest im Vergleich zu ihrer globalen Bedeutung und ihrer Auswirkung.

Da Unternehmen eine Schlüsselrolle beim Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft einnehmen, will die EU diese nunmehr verstärkt dazu verpflichten, negative Auswirkungen ihrer unternehmerischen Tätigkeit auf die Menschenrechte (Kinder- und Zwangsarbeit) und auf die Umwelt (z.B. Umweltverschmutzung, Verlust an biologischer Diversität) zu eruieren und zu verhindern. Neben einem erwünschten ökologischen Wandel und der Stärkung der Menschenrechte sollen die neuen Bestimmungen für Unternehmen auch Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen und zu mehr Transparenz für Verbraucher und Anleger führen.

Dass es solcher Regelungen bedarf, zeigt ein aktueller Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (»ILO«), wonach derzeit rund 27,6 Millionen Menschen weltweit in Zwangsarbeit beschäftigt sind; rund 3,3 Millionen davon sind Kinder (Tendenz steigend) und rund 880.000 Menschen davon sind »modern slaves« in der EU. Am meisten betroffen davon ist die Landwirtschaft, das Baugewerbe, die Textilbranche und der Dienstleistungssektor. 

Zwei Gesetze, ein Ziel

Die Bekämpfung von Zwangsarbeit und die Förderung von verantwortungsvollen Geschäftspraktiken zählt zu den obersten Zielen der neuen nachhaltigen Wachstumsstrategie der EU. Die EU-Kommission hat daher innerhalb der letzten Monate zwei Legislativvorschläge veröffentlicht: Zum einen das EU-Lieferkettengesetz (»Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937«) und zum anderen die Verordnung über das Verbot von Produkten aus Modern Slavery (»Regulation of the European Parliament and of the Council on prohibiting products made with forced labour on the Union market«). Wie in der Folge dargestellt, komplettieren sich diese zwei Regulative und sind als normatives »Gesamtpaket« zu behandeln.

Das EU-Lieferkettengesetz

Am 23.2.2022 wurde der Vorschlag der EU-Kommission zur Richtlinie »Corporate Sustainability Due Diligence Directive« (»EU-Lieferkettengesetz«) veröffentlicht. Die Richtlinie hat zum Ziel, eine nachhaltige Unternehmensführung entlang der gesamten globalen Wertschöpfungskette zu fördern. Das Lieferkettengesetz stellt einen Paradigmenwechsel dar: Bis zur EU-Lieferkettenrichtlinie gab es auf internationaler Ebene keine derartige Pflicht; es bestanden lediglich unverbindliche Richtlinien (z. B. die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte oder die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen). Sollte das EU-Lieferkettengesetz vom EU-Parlament und Rat angenommen werden, haben die EU-Mitgliedstaaten die Pflicht, die Richtlinie binnen zwei Jahren in nationales Recht umzusetzen.

Allein in der EU gelten 880.000 Menschen als ›modern slaves‹.

Modern Slavery

Das EU-Lieferkettengesetz sieht zwar Sanktionen für den Fall der Nichteinhaltung der Sorgfaltspflichten vor, verpflichtet die Mitgliedstaaten und Unternehmer aber nicht dazu, das Inverkehrbringen und die Bereitstellung eines Produkts, das durch Zwangsarbeit hergestellt wurde, auf dem Unionsmarkt zu unterbinden. Diese Lücke soll durch die Verordnung über das Verbot von Produkten aus Modern Slavery geschlossen werden. 

Zentrale To-Do’s für die Praxis

Die betreffenden Unternehmen müssen die vorgegebene Sorgfaltspflicht in ihre Unternehmenspolitik integrieren, tatsächliche oder mögliche negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt ermitteln, verhindern oder vermeiden bzw. reduzieren, ein entsprechendes Beschwerdeverfahren implementieren, die vorgesehenen Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten kontrollieren und die Öffentlichkeit über die Wahrnehmung ihrer Sorgfaltspflicht informieren.

Zusätzlich müssen große Unternehmen einen Plan erstellen, mit dem sichergestellt wird, dass ihre Maßnahmen und Strategien dem Übereinkommen von Paris entsprechen. Dabei soll insbesondere die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius berücksichtigt werden. Ein weiterer zentraler Punkt ist die Einbindung der Unternehmensleitung. Jedes Mitglied des Verwaltungs-, Leitungs- und/oder Aufsichtsorgans eines Unternehmens hat für die Umsetzung und Überwachung der Sorgfaltspflicht und die Implementierung der Nachhaltigkeitsziele in die Unternehmensstrategie zu sorgen.

Dazu zählt der Aufbau und die Überwachung der Umsetzung der Due-Diligence und deren Integration in die Unternehmensstrategie unter Berücksichtigung allfälliger Folgen für Menschenrechte, Klimawandel und Umwelt. Unternehmen haben auch dafür zu sorgen, dass alle an der Produktion beteiligten Akteure dem EU-Lieferkettengesetz und dem Verbot von Modern Slavery entsprechen. Dafür sollte vertraglich explizit festgelegt sein, dass Subunternehmer, Subsubunternehmer und Lieferanten die Vorgaben des EU-Lieferkettengesetzes und des Verbots von Modern Slavery zwingend einzuhalten haben.

Bei Verdacht sollte der Unternehmer das Recht haben, weitere geeignete Nachweise fordern zu dürfen (z. B. Vorlage von Lieferscheinen). Der Unternehmer hat sich zudem vertragliche Kontroll- und Sanktionsrechte einzuräumen, die einen Verstoß des Subunternehmers, Subsubunternehmers oder Lieferanten gegen das Verbot entsprechend hart sanktionieren (z. B. Pönale und sofortige Vertragsauflösung). Insbesondere in kritischen Bereichen (z. B. Bergbauprodukte, Textilien) empfiehlt sich die zwingende Vorgabe von speziellen Gütesiegeln (wie z. B. die SA-8000-Zertifizierung oder das Fair-Trade-Siegel).

Wer zahlt

Die Kosten im Zusammenhang mit der Umsetzung allfälliger erforderlicher Maßnahmen des EU-Lieferkettengesetzes und des Verbots von Modern Slavery haben Unternehmen selbst zu tragen. Dabei ist insbesondere mit Kosten für die Implementierung und Durchführung der Due-Diligence-Verfahren und allfälligen Übergangskosten samt Ausgaben und Investitionen zur Anpassung der unternehmenseigenen Abläufe und Wertschöpfungsketten zu rechnen.


Lieferkettengesetz und Modern Slavery im Vergabeverfahren

Die Einhaltung der Verpflichtungen aus dem EU-Lieferkettengesetz und dem Verbot von Modern Slavery sind in Zukunft im Rahmen von öffentlichen Beschaffungen einzuhalten und zu prüfen. Darüber hinaus sind bereits jetzt bei allen Vergabeverfahren gemäß § 93 Abs 1 BVergG 2018, bestimmte ILO-Übereinkommen einzuhalten (z. B. Nr. 29 »Zwangsarbeit« und Nr. 105 »Abschaffung der Zwangsarbeit«). Unternehmen, die gegen das Verbot verstoßen, riskieren neben einem Ausschluss aus dem Vergabeverfahren, der fristlosen Aufkündigung des Vertrags sowie potenziellen Schadenersatzansprüchen auch, dass sie vergaberechtlich als »schwarzes Schaf« qualifiziert und von zukünftigen Vergabeverfahren – auch anderer Auftraggeber – für bis zu drei Jahre ausgeschlossen werden. 


Die Autor*innen

Mag. Berthold Hofbauer ist Rechtsanwalt und Partner bei Heid & Partner Rechtsanwälte. Seine Spezialgebiete sind das Vergaberecht (Schwerpunkt: Nachhaltige Beschaffung), das Nachhaltigkeitsrecht und die Vergabe-Compliance.
Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Mag. Katharina Kos ist selbstständige Rechtsanwältin in Wien. Ihre Spezialgebiete sind das Vergaberecht sowie das internationale und europäische Wirtschaftsrecht.

(Bilder: iStock)

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