Freitag, April 26, 2024

Im Interview mit Report(+)PLUS spricht Andreas Pfeiler, Geschäftsführer Fachverband Steine-Keramik, über hohe Energiekosten und den Beitrag der Baustoffindustrie zum Klimaschutz. Außerdem erklärt er, wie der Fachverband seine Mitglieds­unternehmen in schwierigen Zeiten unterstützt. 

Mit welchen Gefühlen und welchen Erwartungen blicken Sie auf das Jahr 2023?

Andreas Pfeiler: Ich bin grundsätzlich Optimist und gehe davon aus, dass wir auch 2023 gut wirtschaften werden. Vielleicht nicht ganz mit dem enormen Erfolg der letzten Jahre, aber so, dass am Ende für alle etwas übrig bleibt. Das liegt bei all den Schwierigkeiten, mit denen wir uns konfrontiert sehen, an einer extrem robusten Unternehmerlandschaft in der Stein- und keramischen Industrie. Was die Unternehmen im letzten Jahr an finanziellen und administrativen Herausforderungen gemeistert haben, ist unglaublich. Das macht mich stolz und lässt mich zuversichtlich in die Zukunft blicken.

Sowohl der zukünftige Swietelsky-Chef Peter Krammer als auch Habau-CEO Hubert Wetschnig haben in Interviews mit dem Bau & Immobilien Report gemeint, dass ein moderater Umsatzrückgang von bis zu 10 % der Branche gut tun würde, weil in den letzten Jahren ständig am oder über dem Anschlag gearbeitet wurde. Teilen Sie diese Einschätzung bzw. gilt das auch für die Baustoffindustrie?

Pfeiler: Vielleicht würde ich es etwas anders formulieren, aber die Kernaussage kann man auf jeden Fall bestätigen. Speziell unsere bauaffinen Mitgliedsbetriebe waren seit 2015 auf einem steten Aufwärtspfad. Zwar ist der Bau nicht so volatil, dass er gleich um zehn oder mehr Prozent ausschlägt, aber das Wachstum war sehr konstant. Das war auch ein Paarlauf mit der Zinsentwicklung. Das leicht verfügbare Kapital hat dazu geführt, dass Immobilien als wertstabile Anlageobjekte stark nachgefragt wurden. Dieser Grundgedanke der Wertstabilität kommt unseren mineralischen Baustoffen natürlich sehr entgegen.

Jetzt allerdings steigen die Zinsen doch deutlich. Mit welchen Auswirkungen?

Pfeiler: Gerade im Bereich der Vorsorgewohnungen wird das zu einem deutlichen Nachfragerückgang führen. Das kann aber auch zu einem gesunden Reinigungsprozess führen und dazu, dass wieder näher an den Marktbedürfnissen produziert wird. Natürlich braucht es einen gewissen Leerstand, damit Fluktuation und Austausch stattfinden kann, aber mit den vielen Vorsorgewohnungen, die in den letzten Jahren errichtet wurden und von denen viele leer stehen, wurde am Ziel vorbeigeschossen.

Die hohen Energiekosten werden uns noch länger begleiten. Das ist speziell für die energieintensive Baustoffindustrie eine große Herausforderung. Ist die Verlängerung des Energiekostenzuschusses für Unternehmen die richtige Reaktion der Politik oder nur der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein?

Pfeiler: Viele unserer Mitgliedsbetriebe brauchen enorme Mengen an Energie, weil sie mit Hochtemperaturprozessen arbeiten, stehen also aufgrund der gestiegenen Kosten vor großen Herausforderungen. Der Energiekostenzuschuss orientiert sich aber am europäischen Beihilfenrecht. Deshalb kamen 2022 viele unserer Unternehmen gar nicht in den Genuss von hohen Förderungen, weil Kriterien wie etwa ein negatives Betriebsergebnis nicht erfüllt wurden. Für ein kleines Unternehmen mag eine Förderung von mehreren 100.000 Euro nach viel klingen, aber bei zwei Milliarden Euro Umsatz relativiert sich das. Aber gesamtwirtschaftlich betrachtet, ist es sicher eine wichtige Maßnahme, um KMU das Überleben zu sichern.

Welche politischen Schritte wären für die energieintensive Industrie sinnvoll?

Pfeiler: Da gibt es viele unterschiedliche Ansätze. Aber obwohl ich mich intensiv mit der Materie auseinandergesetzt habe, kenne ich die Lösung nicht. Das habe ich auch mit den eingangs erwähnten administrativen Herausforderungen gemeint. Heute muss jeder Geschäftsführer ein Energieexperte sein. Im zweiten Halbjahr 2022 haben die Unternehmen die Vorschreibung für die Regelenergieumlage erhalten. Mit der Regelenergie werden Schwankungen im Versorgungsnetz ausgeglichen, um die ununterbrochene Gasversorgung sicherzustellen. Aufgrund des geänderten Gasmix entstanden Kosten, die von den Abnehmern abgedeckt werden mussten. Das hat sich jetzt geändert. Wenn dann plötzlich ein mittelgroßes Unternehmen für zwei Monate eine Vorschreibung von 400.000 Euro bekommt, und zwar im Nachhinein, dann stellt das jedes Unternehmen vor Probleme. Damit kann man einfach nicht kalkulieren.

Wenn sich dann schlagartig die Preise verändern, ist das auch für unsere Kunden schwer zu verstehen. Da gibt es auch viel Erklärungsbedarf, um den Vorwurf der Preistreiberei zu entkräften. Denn selbst wenn der Gaspreis jetzt sinkt, ist er immer noch siebenmal so hoch wie vor eineinhalb Jahren. Außerdem machen sich Preissenkungen am Spotmarkt erst mit deutlicher Verzögerungen beim Verbraucher bemerkbar. Das alles muss man den Kunden erklären.

Das Schlimmste für die Unternehmen ist die fehlende Planungssicherheit. In Wahrheit fahren wir durch eine Nebelwand und sehen nicht, wo die Straße ist. Das hat sich gegen Jahresende etwas verbessert, weil man alternative Energiequellen gefunden hat und die Gasspeicher voll waren. Die Verunsicherung ist nicht weg, aber sowohl die Unternehmen als auch die Gesellschaft als Ganzes hat eine gewisse Resilienz aufgebaut. 

»Natürlich ist es absurd, hochwertige Energieträger für Niedrigtemperaturprozesse zu verwenden«, meint Andreas Pfeiler. 

Gerade die energieintensive Industrie hat jahrelang von den niedrigen Gaspreisen profitiert. Ist durch die aktuelle Situation die Bereitschaft zur Energiewende gestiegen?

Pfeiler: Auch wenn man es uns nicht zutraut, aber die Unternehmen waren auch schon in der Vergangenheit zur Energiewende bereit. Aber wenn heute ein Totalausstieg aus Gas gefordert wird, dann ist das auch ein Stück weit naiv. Das wird nicht gehen. Natürlich ist es absurd, Öl und Gas für Niedrigtemperaturprozesse einzusetzen, aber im Hochtemperaturbereich wird man auch in Zukunft einen hochwertigen Energieträger brauchen. Und zwar auch nach 2030, auch wenn das viele gerne anders hätten. Auch Experten sehen im Hoch­temperaturbereich bislang wenig Potenzial zur Gasreduktion. Ganzheitlich betrachtet ist das aber nicht beunruhigend, weil es in anderen Bereichen enorme Potenziale gibtWasserstoff kann eine Alternative werden, aber so weit sind wir leider noch nicht.

Man darf uns aber schon zutrauen, dass wir alles daran setzen, um die Energiewende mit voranzutreiben. Wenn die Gestehungskosten eines Produkts bis zu 70 Prozent aus den Energiekosten bestehen, liegt es auf der Hand, dass man alles daran setzt, Energieformen einzusetzen, die uns nichts kosten. Sie werden kaum mehr ein Firmendach ohne Photovoltaikanlagen sehen. Der wirtschaftliche Zwang ist da. Und das ist der effektivste Zwang.  Die Zementindustrie verwendet bis zu 90 Prozent Ersatzbrennstoffe. Aber ohne hochwertige und konstant verfügbare Energieträger wird es nicht gehen.

Die Europäische Kommission hat in ihrem letzten Strategiepapier »Fit for 55« eine Reduktion der Emissionen der Bauindustrie um 60 % bis 2030 verglichen mit dem Niveau von 2015 vorgeschlagen. Wie realistisch ist das aus Ihrer Sicht und welchen Beitrag kann und muss die Baustoffindustrie leisten?

Pfeiler: Nur ein geringer Teil der Emissionen entfällt auf die Produktion der Baustoffe und die Errichtung eines Gebäudes. Der Großteil ist dem Betrieb zuzurechnen. Aber natürlich gibt es auch in unserem Bereich Potenzial, vor allem durch Technologien wie Carbon Capture and Utilization (CCU) und Carbon Capture and Storage (CCS). Wenn wir das CO2 abscheiden und speichern oder weiterverarbeiten können, dann wird die Produktion quasi emissionsfrei. Da gibt es auch schon viele Projekte, an denen aktuell gearbeitet wird. Bei Lafarge etwa wird versucht, gemeinsam mit anderen Industriepartnern aus abgeschiedenem CO2 Kunst- und Treibstoffe zu machen.  

Bei der Einspeicherung von CO2 gibt es leider auch rechtliche Hürden. Länder, die große Gasvorkommen hatten oder haben, tun sich leichter. Die können dort das CO2 einlagern. In Österreich ist das Speichern von CO2 in den Untergrund verboten. Deshalb müssen wir das abgeschiedene Gas transportfähig machen. Am besten geht das durch die Umwandlung in einen Festkörper. Aber wenn wir daraus Kunst- oder Treibstoffe machen, sagt die EU, das Problem wird nur in die Zukunft verlagert. Aus unserer Sicht ist aber ein kompletter Kreislauf möglich, wenn man etwa die Treibstoffe wieder für die Zementproduktion verwendet und das entstehende CO2 abgeschieden wird. In Polen etwa gibt es ein Pilotprojekt, bei dem das in der Zementproduktion entstehende CO2 abgeschieden und in den Untergrund gepresst wird. Damit ist der polnische Zement mit einem Schlag CO2-frei.  

Wie sieht es mit dem Betrieb der Gebäude aus?

Pfeiler: Es war schon immer meine Vision und Forderung, dass jedes Gebäude ein sich selbst versorgendes Kraftwerk sein muss. Anders wird es nicht gehen. Es kann nicht sein, dass fossile Brennstoffe nötig sind, um in einem Gebäude für Licht und Wärme zu sorgen. Dafür sind die Energieträger viel zu hochwertig. Aber auch das wird nicht von heute auf morgen gehen. 

Auch abseits der Energiefrage gibt es aktuell große Herausforderungen, von den steigenden Kosten über den Fachkräftemangel bis zu den gestiegenen Anforderungen in den Bereichen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft. Wo drückt der Schuh bei Ihren Mitglieds­unternehmen aus Ihrer Sicht am stärksten?

Pfeiler: Wir merken seit Jahren einen schleichenden Prozess der Fachkräfteverknappung. In der aktuellen Situation, in der fast alle Branchen händeringend nach Personal suchen, verschärft sich die Lage noch einmal deutlich. In vielen Bereichen ist es fast unmöglich, die passenden Leute zu finden. Das Ende des Booms der letzten Jahre könnte aber dazu führen, dass wir mit dem bestehenden Personal das Auslangen finden. 

Was sind die Ziele des Fachverbands Steine-Keramik für 2023? Was kann der Fachverband Mitgliedern bieten?

Pfeiler: Da muss ich kurz zurückgehen. 2020 war für einige Monate ein reiner Feuerwehreinsatz. Da ging es nur darum, ein Feuer nach dem anderen zu löschen. Wir hätten niemals gedacht, dass diese Phase noch potenzierbar ist. Aber 2022 hat alles davor Gewesene in den Schatten gestellt, weil sich die Notsituation über einen deutlich längeren Zeitraum erstreckt hat. Von Februar bis November haben wir nur Brände gelöscht. Es ging fast ausschließlich darum, die Unternehmen in Energiefragen zu unterstützten. Da bleibt keine Zeit für strategische Überlegungen. Da ging es für viele Unternehmen ums Überleben.

Auch 2023 wird uns das Thema Energie weiter begleiten. Unsere Aufgabe ist es, weiter zu unterstützen und zu beraten. Sowohl kurzfristig, aber auch langfristig beim Umstieg auf erneuerbare Energieträger. Wir müssen die Gesellschaft aber auch darüber zu informieren, dass der Einsatz erneuerbarer Energieformen unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht überall sinnvoll und möglich ist. Dafür suchen wir auch den Kontakt mit jenen Organisationen, die sich ausschließlich dem Klimawandel verschrieben haben. Wir wollen und müssen im Dialog bleiben. Die Standpunkte können unterschiedlich sein, sie dürfen sich aber nie so verhärten, dass die Gesprächsbasis verloren geht.

(Bilder: Lukas Lorenz)

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