Donnerstag, April 18, 2024

Big Data, Social Media und starker Über­wachungsstaat sollen bis 2020 ganz China zum dystopischen digitalen Versuchslabor machen.

Als globaler Internetbewohner hat man sich ja schon längst daran gewöhnt, mehr oder weniger transparent zu sein und bei seinen täglichen Wegen im Netz eine Datenspur zu hinterlassen. Unser Surfverhalten wird von Online-Händlern und Datenkraken wie Facebook auch dann aufgezeichnet, wenn wir uns gar nicht auf deren Seiten befinden, unsere öffentlichen Profile auf Social-Media-Plattformen liefern Persönlichkeitsbeschreibungen, wie sie auch eine 24-Stunden-Beobachtung durch die Stasi nicht genauer erstellen hätte können und unsere Daten in den internationalen Wolken liegen bekanntermaßen zumindest einigen Geheimdiensten unverhüllt vor. Unser gesamtes digitales, aber auch unser reales Leben ist eine riesige Wolke aus sich kontinuierlich vermehrenden Daten – Big Data, das sind wir inzwischen selbst

Trotzdem läuft es auch resignierten Zynikern angesichts des von der chinesischen Regierung soeben angekündigten »Social Credit Systems« kalt über den Rücken. Noch sind nur Absichtserklärungen bekannt, doch die haben es in sich. Jeder der 1,4 Milliarden Bewohner der Volksrepublik soll in diesem System bis 2020 ein öffentlich einsehbares »Social Credit Rating« verpasst bekommen, das sich aus der Analyse verschiedenster Parameter zusammensetzt und einerseits die Kreditwürdigkeit, aber vor allem auch die politische und soziale Reputation des jeweiligen Bürgers beschreibt. Der »Score« jedes Bürgers errechnet sich unter anderem aus der gewaltigen Datenmenge, die die Bürger im – vom Staat streng kontrollierten – Internet und auf Social Media mit jeder Aktion generieren.

Diese Vision ist in China schon heute Realität, wenn auch nicht durch staatliche Stellen und noch auf freiwilliger Basis: So gut wie alle Social-Media- und großen kommerziellen Portale befinden sich in der Hand zweier chinesischer Internet-Giganten, Tencent und Alibaba, die Ähnliches bereits seit einiger Zeit – und mit gewaltigem Zuspruch – anbieten. Die Mischung aus Gamification und auch im Westen bekannter Lust an der digitalen Selbstdarstellung hat etwa das der chinesischen Regierung eindeutig als Vorbild dienende System »Sesame Score« zum Internetphänomen gemacht. Es muss vermutet werden, dass die in diesen Systemen schon jetzt gewaltigen Userdatenmengen schlussend­lich mit Datenbanken des Staates zusammenfließen werden. Das staatliche System soll dabei aber nicht nur Individuen, sondern auch produzierende Unternehmen, Handelsunternehmen, die Finanzbranche und verschiedene Dienstleister erfassen. Auch Daten über Vermögen und gezahlte Steuern sollen einfließen und von Algorithmen registriert und ausgewertet werden.

Ein hoher Score wird wohl dank öffentlicher Einsehbarkeit nicht nur Prestige, sondern handfeste Vorteile, etwa Erleichterungen bei Bankkrediten, Visa oder Amtswegen bringen. Politisch unerwünschte Äußerungen im Netz, aber auch nur der Onlinekauf von als weniger »wertvoll« eingestuften Gütern, wie zum Beispiel Videospielen, sollen den Score wiederum senken – und auch die Punktezahl der in sozialen Medien nahestehenden Freunde hat einen positiven oder negativen Einfluss auf den eigenen Wert. Wer also Online-Freunde mit niedrigem »Social Credit« hat, wird so lange für deren »Fehlverhalten« mitbestraft, bis er sich von ihnen trennt – ein perfider Mechanismus. Statt also mit direkter Repression auf politisch unerwünschte Äußerungen im Netz zu reagieren, setzt man auf die subtilere Methode öffentlicher Kontrolle durch die Bürger selbst.

In den riesigen Datenmengen, die zunehmend als Rohstoffe einer im Entstehen begriffenen Big-Data-Industrie wahrgenommen werden, liegen, wie IT-Experten seit Jahren versichern, gewaltige wirtschaftliche Potenziale. In Verbindung mit den Gefahren immer präsenterer Totalüberwachung und durch sie ermöglichten totalitären oder autoritären Systemen liegt aber auch eine Gefahr von Orwell’scher Dimension. Auch deshalb sind die zumindest im Westen ausgefochtenen juristischen Kämpfe um Datenschutz und Privatsphäre von größter gesellschaftlicher Bedeutung.

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