Donnerstag, Mai 02, 2024
Potemkins KI
Potemkinsche Fassade: Was KI schon kann oder »bald« können wird, ist weitgehend unspektakulär. (Fotocredit: iStock)

Der Siegeszug der Künstlichen Intelligenz hat begonnen und ist durch nichts aufzuhalten – das trommeln zumindest jene, die daran verdienen. Hype und Hyperventilieren gehören zusammen.

Text: Rainer Sigl

Künstliche Intelligenz wird unsere Welt umgestalten, bereichern, revolutionieren, bedrohen und vielleicht sogar zerstören. Ohne KI wird bald gar nichts mehr gehen: KI schreibt Texte, macht Bilder, seit neuestem sogar Filme, sie macht sich breit in Chats, Werbeagenturen, Redaktionen, im Kundendienst, in der Gesundheitsversorgung, Wissenschaft, Industrie und auch im Krieg. Kein Monat vergeht, in dem nicht erneut die Überwindung dieser oder jener Grenzen künstlich intelligenter Maschinen atemlos verkündet wird.

Bei all der Aufregung wird der Blick auf das, was künstliche Intelligenz im Moment tatsächlich zu leisten imstande ist, ein bisschen von all dem Sauerstoffmangel getrübt, der mit pausenlosem Schreien einhergeht. Large Language Models wie Bard oder ChatGPT können Texte zu beliebigen Themen, in beliebigem Stil erstellen; deren Wahrheitsgehalt ist allerdings exakt so fragwürdig, dass man seine Maturanote nicht unbedingt darauf verwetten sollte. Bild-KIs wie Dall-E oder Midjourney faken gekonnt Fotos und Artworks; allzu genau sollte man die Finger der Dargestellten aber nicht nachzählen. AI-Chatbots geben im Kundenservice bereitwillig Auskunft zu allen möglichen Belangen; hin und wieder halluzinieren sie allerdings auch haarsträubende Fehlinformationen zusammen, die die jeweiligen Firmen viel Geld kosten.

Moderne Schachtürken

Nicht wenige der vermeintlichen KI-Großleistungen und -Risiken entpuppen sich wenig später, meist von der größeren Öffentlichkeit unbemerkt, als Taschenspielertricks. Von »selbstfahrenden« Autos, die dann doch nur ferngesteuert werden, über sinistre KI-Drohnensysteme, die sich nur in der Fantasie spekulierender Militärs gegen eigene Operatoren wenden, bis hin zu angeblich von KI geschriebenen Kabarettprogrammen, die dann aber doch nur ein Mensch halblustig zusammengestoppelt hat, reicht die Palette an modernen Schachtürken.

Der Autor und Aktivist Cory Doctorow nennt vier Gründe für den überbordenden KI-Hype, mit dem ein Produkt als welterschütternd verkauft werden soll. Zum einen handelt es sich dabei natürlich um Verkaufsgeschrei jener Tech-Start-ups, die Investoren für die weitere Entwicklung und den weit von jeder Wirtschaftlichkeit entfernten Betriebsaufwand hereinspielen wollen; dieses laute Werben soll – zum zweiten – vom tatsächlichen Stand der Technik ablenken. Das sektenhaft-erlöserische Moment, das nicht wenige Tech-Utopisten vereinnahmt, ist für Doctorow Grund Nummer drei für den Hype. Nummer vier schließlich nimmt sogar all jene Kritiker mit an Bord, die in ihrem Warnen vor KI eine andere Nische im medialen Ökosystem rund um den Hype einnehmen – und davon nicht schlecht leben.

Die Wahrheit um das, was KI schon kann oder »bald« können wird, geht dabei hinter Potemkinschen Hype-Fassaden verloren. Sie ist dann auch weitaus un­spektakulärer: KI kann vermutlich noch ziemlich lange nicht Jobs in annähernd Menschen vergleichbarer Qualität übernehmen. Die herbeigehypte Hoffnung darauf dient aber Chefetagen auf der ganzen Welt als willkommene Einsparungsfantasie, um genau das trotzdem schon jetzt zu versuchen. Der Kaiser ist nicht nackt. Sehr viel hat er im Moment aber auch noch nicht am Leib.

Meistgelesene BLOGS

Firmen | News
01. März 2024
Unter dem Motto „Mission Zukunft - Transformation der Wirtschafts- und Energiesysteme" veranstalten die Deutsche Handelskammer in Österreich in Kooperation mit Fraunhofer Austria Research das Deutsch-...
Nicole Mayer
26. Jänner 2024
Der Bewerb um die höchste staatliche Auszeichnung für Unternehmensqualität in Österreich ist eröffnet. Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW) sucht Quality Austria wieder...
Firmen | News
25. März 2024
Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel und Künstliche Intelligenz (KI) spielt dabei eine entscheidende Rolle. Unternehmen weltweit erkennen zunehmend die Bedeutung von KI für ihre Produktivität und W...
Firmen | News
14. März 2024
Bereits zum dritten Mal verleiht die auf Informationssicherheit spezialisierte Zertifizierungsinstanz CIS - Certification & Information Security Services GmbH die begehrte Personenauszeichnung „CI...
Alfons A. Flatscher
26. Jänner 2024
Ganz oben auf der Agenda unserer Leser*innen steht: Neues schaffen! Wir haben gefragt, 150 Leser*innen haben uns qualifizierte Antworten geliefert. (Zum Artikel: Chancen überall, nicht erst ab 2025) D...
Katharina Bisset
07. Februar 2024
Ab 14. Februar 2024 müssen alle Pflichten des Digital Services Act von betroffenen Unternehmen umgesetzt werden – aber was bedeutet dies konkret? Der Umfang der Pflichten hängt davon ab, welche Dienst...
Mario Buchinger
22. Jänner 2024
In der Consulting- und Coaching-Branche gibt es sicher einige Leute, die kompetent Organisationen unterstützen können. Aber viele der Coaches und Consultants nützen meist nur sich selbst. Worauf Unter...
Alfons A. Flatscher
21. März 2024
 Mit KI-Technologien bleibt kein Stein auf dem anderen. Ganze Berufsstände, die sich bisher unangreifbar fühlten, geraten plötzlich in eine Krise. Legionen von Programmierern arbeiten gerade an d...

Log in or Sign up