Samstag, April 27, 2024
Das Ende des Leuchtturms
Bilder: iStock, Accenture, Capgemini Invent, BearingPoint

Digitalisierung ist keine Insel und Projekt können nicht abgeschottet realisiert werden. Innovationspartner sind wichtig für den Erfolg.

Wir leben in Zeiten des Wandels und der Unsicherheit. Produkte, die heute für Rekordumsätze sorgen, sind Wochen später reif fürs Ausgedinge. Wer seine Güter nicht mit digitalen Servicemodellen zu vergolden vermag, hechelt neuen Mitbewerben chancenlos hinterher. Die Ungewissheit und Komplexität durch den Einzug von Informationstechnologie in alle Ebenen der Wirtschaft und Gesellschaft resultiert in immer rascheren Innovationszyklen. Rund um den Begriff Volatilität hat die Consulting-Branche ein eigenes Modewort kreiert: VUCA (Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität) – und gleich der ganzen Welt umgehängt. Wir leben also in einer VUCA-Welt, in der nichts bleibt, wie es ist. Keine leichte Übung für Unternehmensstrategien und Geschäftspläne.

Aufklärung
Auf die Suche nach den Antworten auf Fragen, die möglicherweise noch gar nicht bekannt sind, können sich Unternehmen alleine begeben oder einen Partner an Bord holen. »Die Expertise von außen ist entscheidend für den Erfolg des Transformationsprozesses«, ist Accenture-Experte Albert Moik überzeugt. »Ohne externes Know-how ist sowohl der Umfang als auch die Geschwindigkeit und die technologische Komponente nicht machbar.« Am Ball zu bleiben, sei fordernd, weiß der Managing Director für »Applied Intelligence« bei Accenture. Ein externer Dienstleister bringe Erfahrungen mit, die eine einzelne Organisation nicht hat. Moik warnt zugleich vor Schubladendenken: »Eine Umsetzung muss zum jeweiligen Unternehmen passen. Es gibt kein ›One fits all‹.« Wichtig sei zudem zu erkennen, dass Veränderungen in Unternehmen stets fach- und nicht technologiegetrieben sind.

Bild: Für Albert Moik, Accenture, müssen Digitalisierungsprojekte und Umsetzen genau zum Unternehmen passen.

Und auch der »Change« muss zur Unternehmensstrategie passen. »Es darf kein eigenständiges Leuchtturmprojekt sein, sondern Teil des Ganzen, das ein Unternehmensziel verfolgt«, formuliert Moik ein Rezept für eine nachhaltige Transformation. Die Bestandteile von Digitalisierungsprojekten sind oft auch die Governance – die Verantwortlichkeiten und Strukturen in einer Organisation – und Themen wie Schulungen von Mitarbeiter*innen und die Einführung neuer Technologien wie »Generative AI«. 

Accenture hat mit einem großen städtischen Energieversorger die Transformation einer klimaneutralen Stadt gestartet. Entscheidender Faktor sind die digitalen und datengetriebenen Lösungen, die die Bereiche Wärme, Mobilität und Energie umfassen. Gemeinsam mit dem Kunden wurde von dem Berater und IT-Dienstleister auch ein entsprechender Wissenstransfer zu den Mitarbeiter*innen des Energieunternehmens umgesetzt. Für Moik ist es der Erfolgsfaktor von Veränderungsprojekten schlechthin: Aufklärung.

Profisportler
Chancen aus der Volatilität heraus entwickeln zu können, daran scheitern trotzdem viele. »Als Menschen neigen wir dazu, beratungsresistent zu sein. Die erste Reaktion lautet oft: ›Das machen wir selbst‹, nimmt Simon El Dib, Head of Capgemini Invent, auch Berater*innen nicht davon aus. Haben Unternehmenskunden wirklich Neues vor – ohne ausreichend Erfahrung oder Ressourcen –, können aber Partner des Vertrauens helfen.

Für den erfahrenen Innovationsexperten geht es darum, »nicht nur beraten zu können, sondern auch gut zuzuhören und Geschichten erzählen zu können«. Das setzte Wissbegierde voraus, gute Beratung sei Professionalisierung auf höchstem Niveau – vergleichbar mit einem Profisportler oder einem Profimusiker. »Man muss sich mit einem Thema mehrere tausend Stunden beschäftigen, um sich vom Rest abheben zu können, und dann immer weitermachen, um das Niveau zu halten und auch Wissen weitergeben zu können«, so der Experte.  

Besonders bei großen Digitalisierungsprojekten und Veränderungen sei es wichtig, niemanden zurückzulassen. »Veränderung bedeutet immer auch Schmerz. Man will die Auswirkung auf einen selbst wissen«, weiß El Dib. Die offene Kommunikation über die gesamte Transformation hinweg ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Dazu muss eine Vision, ein Narrativ entwickelt werden, an das die Menschen, die von dieser Transformation betroffen sind, auch glauben können. »Wir sprechen hier nicht mehr von ­Change-Management, sondern von Change-Leadership«, verrät er. Vorangehen, glaubhaft sein und stets neu erklären, warum diese Veränderung wichtig ist. Es ist diese Rolle, die in Unternehmen heute Führungskräften zukommt.

Bild: Simon El Dib und Markus Gschwari, Capgemini Invent, sprechen nicht mehr von Change-Management, sondern von Change-Leadership.

Capgemini-Invent-Kollege Markus Gschwari sieht den Technologiedienstleister in einer besonders vertrauenswürdigen Rolle am Markt, da nicht nur Strategien entworfen, sondern oft auch gemeinsam mit dem Kunden umgesetzt werden. In einem jüngst umgesetzten Projekt wurde ein neuer CIO eines Unternehmens begleitet. Gemeinsam wurde seine IT-Strategie definiert und diese auf den Boden gebracht. Das Ergebnis war auch die Auslagerung von Teilen der IT, um sich besser auf das Kerngeschäft konzentrieren zu können. Neue Rollen wurden definiert, um die IT-Organisation in ihrer neuen Verantwortung zu befähigen. Dieses gemeinsame Gestalten und Verändern einer Organisation sieht Gschwari als Königsdisziplin in der Beratung. »Wir verfolgen einen unternehmerischen Ansatz, der auf Wunsch auch ins Risiko mit dem Kunden geht. Mit dieser Verantwortung hat man das Optimum in einer Kundenbeziehung erreicht«, ist er überzeugt. 

Neues Denken
Auch für Andreas Unger ist das Gemeinsame die magische Essenz in Projekten. »Wichtig ist ein Verständnis dafür, dass ein erfolgreiches Umsetzen nur miteinander geht«, so der Partner bei BearingPoint. Expertisen und Meinungen des Kunden müssen in die Arbeit einfließen können, die Art und Weise, wie Dinge umgesetzt werden, müsse individuell angepasst werden. »Was für einen Kunden passt, muss nicht zwangsläufig auch beim nächsten das Richtige sein. Dafür benötigt es Flexibilität und natürlich auch Erfahrung«, erklärt Unger. 

Bild: Andreas Unger, BearingPoint, ist ein langfristiges partnerschaftliches Miteinander mit Unternehmenskunden wichtig.

Worauf sollten Unternehmen in der Umsetzung, im »Change« achten? »In einem optimalen Programm werden der fachliche und der technologische Teil des Projekts integrativ gesehen. Es braucht einen gesamtheitlichen Ansatz«, spricht Unger aus Erfahrung. Zudem sollte nicht mit »opportunistischen kleinen Prototypen« begonnen werden, ohne das große Ganze zu kennen und für alle verständlich gemacht zu haben. Die Menschen müssen zu Beteiligten und nicht zu Betroffenen in der Transformation gemacht werden.

Für Unger ist die Modernisierung von Altanwendungen bei einem langjährigen Unternehmenskunden in der Transportbranche eine beispielgebende Zusammenarbeit. Begonnen wurde mit kleinen Projekten, die gemeinsame Arbeit hatte sich dann bis zu einer Transformation der Organisation mit einer komplett neuen Technologie entwickelt – mit messbaren wirtschaftlichen Effekten. »Am Ende waren neue Methoden und Denkweisen anstelle der alten prozessorientierten Welt etabliert«, schließt Unger zufrieden. »Es ist in tolles Ergebnis für beide Seiten mit enormen Lernkurven und Erfahrungen.«


Tipps: Veränderungen richtig organisiert

Wo die Erneuerung beginnt und was oft falsch gemacht wird. 

1. Mut
Es gibt die einfache Lösung und es gibt die richtige Lösung. Im Englischen heißt es, dass »Responsibility« delegiert werden kann, aber niemals »Accountability«. Sprich: Letztverantwortlich ist immer die Unternehmensführung. Und es geht nicht nur um die Nachricht, sondern auch darum, wer sie überbringt. Das Topmanagement muss die Richtung vorgeben und den Grund und die Idee seinen Mitarbeiter*innen direkt kommunizieren. Die Folgen für die Arbeit Einzelner kann dann mit den Teamleiter*innen oder mit dem Personalmanagement besprochen werden.

2. Ehrlichkeit
Unternehmen brauchen die Ehrlichkeit, ihre Stärken und Schwächen zu erkennen und einen schonungslosen Blick von außen zuzulassen. Interne Verantwortliche oder externe Berater*innen müssen dazu integer auftreten. Was kann das Unternehmen, was kann es nicht? Eine Firma ist meist in ihrem Kerngeschäft großartig, hat aber möglicherweise wenig Ahnung von Softwareentwicklung. Also könnte diese Aufgabe an Partner auslagert werden. Trotzdem sollten Unternehmen stets das Domänenwissen der Mitarbeitenden im eigenen Haus halten. 

3. Menschen
Nicht Organisationen ändern sich, sondern die Menschen. Bei Veränderungen im Unternehmen sollte eigentlich jedes Individuum gezielt abgeholt werden. Menschen haben eigene Bedürfnisse, Geschwindigkeiten, Ängste oder Widerstände gegen Veränderung. Erst wenn sich eine kritische Masse an Individuen wandelt, ist auch die Transformation der gesamten Organisation möglich. Projekte erfolgreich umzusetzen, funktioniert auch nur, wenn alle an einem Strang ziehen.

Mehr dazu in dem Interview "Wenn Empathie an der Unternehmensgrenze aufhört" mit Michael Frank, Nagarro.

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