Thursday, May 01, 2025

Mehrwert für Manager

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Im Gespräch mit dem Report: Boris Scharinger, Senior Innovation Manager und Industrial AI Strategist bei Siemens, über KI als Projekt und die Schwierigkeit des Skalierens in Industriesettings.

Boris Scharinger ist Senior Innovation Manager und Industrial AI Strategist bei Siemens.

Welche Herausforderungen sehen Sie beim Einsatz von KI in der Industrie?

Boris Scharinger: KI skaliert eigentlich wie ein Projekt – und nicht wie ein Produkt. So gibt es bei einer Qualitätsvorhersage im Produktionsprozess bei einer Maschine vielleicht bereits ein mit Daten trainiertes KI-Modell, das gute Ergebnisse liefert. Wenn Sie damit aber zu einer ähnlichen Maschine gehen, müssen Sie eigentlich wieder von vorne anfangen. Die Universalität der KI bei gleichzeitiger Robustheit ist noch die ungeknackte Nuss. Denn anders als zum Beispiel bei einem Einsatz von KI in Social Media benötige ich in der Industrie ein wesentlich höheres Robustheitslevel. Bei einer Ungenauigkeit von unter 99 % würde sofort ein Ausschuss produziert werden, der Kosten verursacht.

Der Erfolg von generativer KI ist auf die Riesendatenmengen zurückzuführen, die von den großen Internet-Unternehmen abgegrast worden sind. Praktisch jede öffentlich verfügbare Textdatei ist ins Training der Gen-AI-Modelle geflossen. Das geht im Industriebereich natürlich nicht. Nicht nur, weil Daten vertraulich sind und hinter einer Firewall geschützt liegen, sondern auch, weil die Semantik bei Industriedaten viel diffiziler und heterogener ist.

Es gibt dennoch eine Aufbruchstimmung: Große Modelle zum Beispiel auf Basis von sogenannten Transformer-Architekturen versprechen, einen neuen Level an Universalität von KI auch in der Industrie zu schaffen – zum Beispiel für Roboter-Steuerungen.

Wie weit in der Praxis ist bereits das Prompting bei der Bedienung von Maschinen, also die Kommunikation in menschlicher Sprache anstelle starrer Befehlszeilen, vorangeschritten?

Scharinger: Es ist noch nicht im Alltag angekommen, aber das entwickelt sich gerade Schritt für Schritt. Bislang waren Systeme nicht in der Lage, mit der natürlichen Sprache von Menschen umzugehen. Schaltflächen, Mauszeiger, Eingabemasken – all das wurde in den letzten Jahrzehnten entwickelt, damit der Mensch effizient mit Software umgehen kann. Jetzt kommt mit den LLMs ein Mechanismus, der die Interaktionsmuster zwischen Menschen und technischen Systemen deutlich verändern wird. Noch arbeiten die Large Language Models deutlich besser in Englisch, bei einem fränkischen Akzent wird es schon schwieriger. Aber es ist tatsächlich eine fundamentale Veränderung, die wir bereits auch in der Siemens-Copilot-Technologie oder unserer Simulationssoftware sehen können.

Wird der Umgang mit Technik dadurch für uns alle einfacher?

Scharinger: Generative KI erleichtert nicht nur die Interaktion mit technischen Systemen, sie bricht auch die Grenzen von Domänenwissen auf. So wird ein CAD-Experte bereits beim Konstruieren des Designs eines neuen Werkstücks dessen Geometrie auf bestimmte Parameter hin testen und simulieren können. Denn mit den neuen Systemen kann ich das Simulationstool fragen, was es für die Durchführung braucht. Früher musste dazu ein weiterer Experte für Simulationen herangezogen werden. Wir tragen damit zu einem »Shift left« bei. (Anm. Probleme so früh wie möglich im Entwicklungsprozess zu erkennen und zu lösen.)

Wo ist bereits Industrial AI zu finden? Was ist für Sie ein besonders gutes Anwendungsbeispiel?

Scharinger: Ich finde, dass KI in der Simulation völlig unterschätzt wird. 80 % des CO2-Fußabdrucks bei der Herstellung eines Produkts werden im Design festgelegt. Nur 20 % kann ich mit Produktionsmethoden oder einem Recycling am Ende verbessern. Es sollte also möglichst viel Kraft ins Design gesteckt werden, und das bedeutet, so viel Simulation wie möglich im virtuellen Raum. Bisher hatte man nur eine begrenzte Zahl aufwändiger Simulationen eines Produktdesigns durchgeführt. Nun ist mit KI eine »Design Space Exploration« von 5.000 oder 10.000 Designvarianten möglich. Die besten fünf werden dann als Prototyp konstruiert.

Zudem dauert eine Simulation heute ohne KI viel zu lange – hochkomplexe Variantenberechnungen können einige Stunden dauern. Wenn ich ein Flugzeug baue, werde ich wahrscheinlich ein Rechenzentrum zwei Wochen lang mit Simulationen beschäftigen können. Das leiste ich mir aber nicht, wenn ich einen Teddybären für den Spielzeugmarkt entwerfe.

Wie können Simulationszeiten konkret verkürzt werden?

Scharinger: Siemens hat eine KI mit trainiert, die im Grunde mit der normalen Simulation mitläuft und ein Schätzmodell in den ersten Durchläufen entwickelt. In der späteren Phase der Simulation werden dann einige der mathematischen Berechnungen durch die Schätzungen ersetzt. Das Modell kommt damit sehr früh zu einer Aussage, dass zum Beispiel die Variante 275 nie so gut wie die Variante 60 sein wird. Also können wir gleich abbrechen und bei der nächsten Variante weitermachen.

Damit sind nicht nur kürzere Entwicklungszyklen möglich, sondern Design Space Exploration kann deutlich erweitert werden – mit weiteren Dimensionen, die simuliert und damit optimiert werden können. Heutige Simulationen hören an der Oberkante des Produkts auf. Doch wie schaut es zum Beispiel mit dem Chip im Inneren eines smarten Spielzeugs aus? Das geht so weit, dass ich nicht nur das Design der Leiterplatte – etwa ihre Energieeffizienz – sondern auch die Fertigungslinie dazu simuliere. Wie teuer ist die Veränderung meiner Produktionstechnik, wenn ich die Platine anders bauen würde? Bei welchem Design kann ich mit einer bestehenden Produktionslinie weitermachen?

Es ist eine gigantische Welt, die hier gerade im Simulationsbereich entsteht. Damit werden wir CO2- und ressourceneffizienter.