Donnerstag, April 25, 2024
»Jede Kombination, so klein sie auch ist, bringt eine Optimierung«

Bettina Schwertl, Bereichsleiterin Digital Services für Smart Buildings bei Siemens Österreich, über das Einsatzspektrum von Lösungen in der Gebäudetechnik, Nachrüstungen und Asset-Effizienz.


Report: Welche Bereiche und Technologien umfassen Lösungen in der Gebäudetechnik heute?

Bettina Schwertl: Wir haben hier bei den Lösungen drei große Ziele. Zum einen muss Gebäudetechnik sicherstellen, dass sich Menschen in einem Gebäude sicher und komfortabel fühlen – angefangen bei der Brandmelde- und gesamten Sicherheitstechnik mit Alarm-, Video- und Zutrittstechnik, aber auch Mess-, Steuer- und Regeleinrichtungen, mit denen möglichst intuitiv die Umgebungsbedingungen innerhalb eines Gebäudes optimiert werden.

Dann fokussieren wir uns auch auf die Energie- und Asset-Effizienz von Gebäuden. Generell gesagt: Wenn technische Systeme optimal eingestellt sind, verhalten sie sich auch ressourcenschonend und tragen zur Geschäftskontinuität bei. In dieser Arbeit enthalten sind die Flexibilität und Ausfallssicherheit von Energiesystemen, mitunter auch mit einer eigenen Erzeugung und Verteilung.

Drittens haben wir einen Schwerpunkt in der Raum- und Nutzereffizienz im Smart Building. Mit den Lösungen von Comfy und Enlighted konzentrieren wir uns auf die Nutzerinnen und Nutzer eines Gebäudes, um die Zufriedenheit und Produktivität zu stärken. Im Fokus sind hier Bürobereiche, aber auch die Auslastung von Geräten etwa in Gesundheitseinrichtungen. Wo befinden sich die Geräte? Wie häufig werden sie genutzt? Ist ein Spitalsbett zum Beispiel desinfiziert worden? All das fällt in diesen Bereich.

Report: Können Sie das Thema Asset-Effizienz an einem Beispiel festmachen? Was bedeutet es für Unternehmen?

Schwertl: Das kann bei jedem Unternehmen etwas anderes sein. Bei vielen geht es um die Effizienz der gebäudetechnischen Anlagen – beispielsweise Lüftungen, Wärme- und Kälteerzeugung. Typische Kostenfaktoren sind schlecht abgestimmte Raumeinstellungen gegenüber einer Hauptlüftung oder eine gegeneinander arbeitende Ab- und Zuluft-Technik. Oder wenn in Wintermonaten unnötig Kältetechnik in Anspruch genommen wird – das alles sind unnötige Verbräuche, die sich einfach mit Datenanalysen feststellen lassen. Um das zu beheben, reichen in der Regel wenige Änderungen in der Konfiguration. Oder: Wenn eine Pumpe fünfzehn Schaltvorgänge in einer Stunde hat, ist das nicht ressourcenschonend und das Gerät wird auch nicht besonders alt werden. Hier lassen sich Energiekosten sparen ebenso wie die Effizienz einer Anlage hinsichtlich Ersatzteile und Lebensdauer steigern.

Im Hospital-Bereich sprechen wir bei Assets auch von einem Krankenhausbett, einem Rollstuhl oder Medizintechnik, die beispielsweise mit einem Enlighted-Positionssensor versehen ist. Es gibt Studien, die sich mit dem Aufwand gemessen in Minuten oder Schritten beschäftigen – für Krankenhauspersonal, nur um Geräte zu finden. Mit einem digitalisierten Management dieser Assets können sich die Fachkräfte wieder auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und haben mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten. Und es steigt die Qualität: Wird nach einer Reinigung der QR-Code an einem Bett gescannt, kann auch die Reinigungskette nachvollzogen werden und ist zentral dokumentiert.

Report: Gebäudetechnik ist ein Geschäft, das auf Daten basiert. Sind diese zur Genüge auch überall verfügbar?

Schwertl: Im Normalfall ja, auch wenn das prinzipiell von der Sensorik abhängt, die es vor Ort gibt. Der Großteil der Daten – Temperaturdaten, Durchflussmengen, Zeitschaltprogramme, Lüftungsstellungen – ist immer schon vorhanden gewesen, nur hat es niemand genutzt. Das hat sich massiv geändert. Wir haben enorme Erfolge mit der Nutzung der Daten, um Empfehlungen für oft minimale Maßnahmen geben zu können, die große Effekte bewirken.

Bettina Schwertl ist Expertin für Smart Buildings bei Siemens und meint: »Gebäude sprechen mit uns, wir müssen nur zuhören.« (Bild: Siemens)

Report: Erwarten Sie aufgrund der Klimaziele und der gegenwärtigen Krise und der Abhängigkeit Europa von Fossilen einen Boost auch in der Gebäudetechnik?

Schwertl: Rund 40 Prozent des Energieverbrauchs in Europa entfällt auf den Gebäudesektor. Pi mal Daumen kann man davon ausgehen, dass 50 Prozent davon verschwendet werden und vermeidbar sind. Die Branche spricht schon lange von einem Wandel der Energiesysteme. Jetzt erleben wir einen Riesenschub – auch im Privatbereich. Versuchen Sie derzeit, eine Pelletsheizung oder eine Wärmepumpe zu bekommen! Aufgrund der derzeitigen Nachfrage ist das eine wirklich große Herausforderung.

Es gibt die großen politischen Ziele und Rechtsrahmen wie den europäischen Green Deal, der bis zum Jahr 2050 eine Klimaneutralität zum Ziel hat, und das »Fit for 55«-Paket für die Emissionsreduktion bis 2030 um 55 Prozent. Das Paket umfasst zahlreiche Einzelgesetze wie die EPBD, die »Energy Performance of Buildings Directive« als Richtlinie für die Gesamtenergieeffizienz von Gebäude, und die »Energy Efficiency Directive«. Bei den Regelwerken geht es auch darum, nicht nur neue Energiesysteme zu integrieren, sondern die bestehenden Systeme so optimal wie nur möglich zu betreiben.

Einmal rechtlich umgesetzt, können wir auf jeden Fall Vorschreibungen zur kontinuierlichen Überwachung, Protokollierung, permanenten Anpassung und Optimierung im Gebäudebereich erwarten. So etwas funktioniert nur auf Basis von Datenanalysen. Auch das sogenannte Benchmarking von Gebäuden schafft man nur auf diese Weise. Aber wir müssen auch darauf achten, dass ein einmal optimiertes Gebäude nicht wieder aufgrund des Performance-Drifts viel zu viel Energie benötigt. Diese Herausforderungen adressieren wir mit unserem Portfolio von Energiemonitoring und laufenden Analysen.

Report: Was ist hinsichtlich einer Kopplung von Bereichen wie Strom, Wärme, eigener Erzeugung, Maschinen, Mobilität aus Gebäudesicht überhaupt sinnvoll? Welche Erfahrungen haben Sie in Projekten gemacht?

Schwertl: Pauschal ist das nicht zu beantworten, da jede Kundenanforderung anders ist. Prinzipiell ist eine Vernetzung immer sinnvoll und es ist mittlerweile fast alles möglich, wie man auch an dem – für mich perfekten Beispiel – Siemens Campus in Wien mit der Kopplung unterschiedlichster Teile sieht. Ich bin davon überzeugt, dass jede Kombination, so klein sie auch ist, eine Optimierung bringt. Das kann auch eine PV-Anlage am Dach sein, die eine E-Patrone für den Warmwasserspeicher heizt. Für den größtmöglichen Mehrwert sollte aber das gesamte Gebäude betrachtet werden und nicht nur Teilbereiche. Definitiv wird es irgendwann auch keine Gebäudegrenzen mehr für eine Vernetzung in größere Systeme, etwa Smart Grids, geben – wenn das auch rechtlich geklärt sein wird.

Report: Ist der Siemens Campus ein Beispiel, wie gerade in einem neuen Gebäude moderne Gebäudetechnik zusammenwirken kann? Von Anfang an mitgeplant, lässt sich die Vernetzung unterschiedlicher Ressourcenströme wohl am einfachsten umsetzen.

Schwertl: Der Siemens Campus ist für mich wie ein multifunktionaler Organismus und eigentlich ein Paradebeispiel für die Verbindung von Infrastruktur in einem bereits bestehenden Industriebetrieb. Zum Zeitpunkt des Baus war das Ausmaß an heute integrierter Energie- und Gebäudetechnik noch nicht klar. Sie wurde teilweise erst in den Jahren darauf nachgerüstet. Heute haben wir am Campus PV-Anlagen mit einer Gesamtfläche von 1.600 m² und einer Spitzenleistung von 312 kWp, einen Batteriespeicher mit einer Kapazität von 500 kWh, der auch mit einer Löschanlage abgesichert ist, über das gesamte Gelände verteilte Ladestationen für Elektrofahrzeuge, ein Managementsystem aller Gewerke der Gebäudetechnik und Brandmelde- und Sicherheitssysteme.

Das Herzstück für das laufende Monitoring und die Optimierung ist ein Microgrid-Controller. Er managt rund 2 MW Leistung und bildet die Voraussetzung für den koordinierten und effizienten Betrieb. Dazu werden Daten von den einzelnen Komponenten, dem Netzübergabepunkt und den Erzeugungseinheiten gemessen und übermittelt und zusätzlich auch Wettervorhersagen einbezogen und zu erwartende Ladeverhalten berücksichtigt. Allein mit der PV haben wir rund 100 Tonnen CO2-Einparung pro Jahr. Und wir haben damit eine zusätzliche Netzausbaustufe vermeiden können – eine Herausforderung, vor der viele gerade beim Ausbau der Elektromobilität stehen.

Report: Welche gebäudetechnischen Investitionen spielen in der Regel ihre Kosten am schnellsten wieder ein?

Schwertl: Oft macht schon eine bedarfsabhängige Regelung den Unterschied aus. Wenn eine Lüftung in einem Gebäude starr nach einen Zeitschaltprogramm lauft – als zum Beispiel jeden Wochentag von 8 Uhr früh bis 17 Uhr – habe ich höhere Kosten, als bei einer mit CO2-Fühlern unterstützten, auf Präsenz ausgerichteten Steuerung. Die Kostenrechnung ist vom jeweiligen technischen Standard des Gebäudes abhängig. Falls es bereits eine Einzelraumregelung gibt, hat man die Investition der zusätzlichen Sensorik sofort herinnen. Wenn aber die Lüftung gar nicht darauf ausgelegt ist und vielleicht einheitlich über fünf Stockwerke geht, ist der Aufwand ungleich höher.

Wir bieten dazu Analysen von möglichen Maßnahmen und garantieren in unseren Projekten auch die jährlichen Einsparungen von Energiekosten – bis hin zu festgelegten Zahlungen beim Nichterreichen der Ziele. Siemens tritt hier auf Wunsch auch als Generalunternehmer bei baulichen und technischen Maßnahmen in der Modernisierung von Gebäuden auf.

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