Friday, November 07, 2025

Mehrwert für Manager

Ticker

Wenn Effizienz zur Gefahr wird


Die zweite Chipkrise als Lehrstück über Management, Verantwortung und den Preis fehlender Resilienz. Ein Kommentar von Werner Illsinger.

Fünf Jahre nach der großen Halbleiterkrise steht die Autoindustrie erneut vor massiven Produktionsausfällen. Diesmal geht es nicht um High-End-Technologie, sondern um einfache Standardchips, die Centbeträge kosten. Bauteile, ohne die kein Fahrzeug ausgeliefert werden kann.

Der niederländische Hersteller Nexperia, einer der wichtigsten Anbieter von Basis-Halbleitern, ist in einen geopolitischen Konflikt zwischen Europa und China geraten. Die Folge: Exportstopps, Engpässe und Produktionsunterbrechungen bei europäischen Herstellern, darunter auch Volkswagen. Wieder steht die Industrie still – und wieder wirkt sie überrascht.

Kein technisches, sondern ein Führungsproblem

Diese Krise ist weniger ein technologisches, sondern ein kulturelles und organisatorisches Problem. Sie zeigt, was passiert, wenn Führung auf Effizienz und Kontrolle reduziert wird. Wenn Kennzahlen wichtiger werden als Verantwortung. Wenn „Just-in-Time" mit „wird schon gutgehen" verwechselt wird. Das Ergebnis: Milliardenschäden durch fehlende Bauteile im Wert von 50 Cent.

Man hat Lagerhaltung als zu teuer, Lieferantenvielfalt als ineffizient und Risikovorsorge als übertrieben betrachtet. Diese vermeintliche Effizienz hat ein System geschaffen, das bis an die Belastungsgrenze optimiert ist – und bei der kleinsten Störung kollabiert.

Effizienz ohne Resilienz ist Instabilität

Seit Jahrzehnten werden Führungskräfte dafür belohnt, kurzfristige Einsparungen zu erzielen. Wer günstig einkauft, gilt als erfolgreich. Wer Puffer aufbaut oder Redundanzen einplant, gilt als altmodisch. Doch Führung, die nur auf Effizienz zielt, verliert den Blick für Zusammenhänge. Sie spart an der falschen Stelle - an der Widerstandsfähigkeit.

Resilienz ist kein Kostenfaktor, sondern eine Führungsaufgabe. Nach Pandemie, Energiepreisschocks und Lieferkettenkrisen sollte klar sein: Optimierung ist kein Ersatz für Verantwortung.

Leadership heißt Vordenken

In einer global vernetzten Wirtschaft genügt lineares Denken nicht mehr. Führung bedeutet heute, Wechselwirkungen zu verstehen, Risiken zu antizipieren und Entscheidungen nicht nur nach Kosten, sondern nach Folgen zu treffen. Resilienz entsteht nicht durch Glück, sondern durch Haltung. Und Haltung bedeutet, auch dann vorzudenken, wenn die Excel-Tabelle es nicht verlangt. Das ist eine der zentralen Aufgaben moderner Führung: Nicht nur effizient zu arbeiten, sondern die Organisation fähig zu machen, Störungen auszuhalten.

Die Lehre aus der Nexperia-Krise

Die aktuelle Chipkrise ist ein Weckruf – nicht nur für die Autoindustrie, sondern für die gesamte Wirtschaft. Sie steht exemplarisch für eine Führungskultur, die Effizienz mit Fortschritt verwechselt und kurzfristige Vorteile über langfristige Stabilität stellt. Zukunft entsteht nicht durch Kontrolle, sondern durch Weitsicht und Verantwortungsbewusstsein. Führung, die Zukunft sichern will, muss heute anders denken: Ganzheitlich statt isoliert.

Entscheidungen wirken über Abteilungen, Lieferketten und Quartale hinaus. Langfristig statt kurzfristig. Stabilität und Redundanz sind kein Luxus, sondern Überlebensvoraussetzungen. Mutig statt bequem. Führung heißt, das Richtige zu tun, auch wenn es kurzfristig mehr kostet. Wer diese Prinzipien ignoriert, riskiert nicht nur Engpässe, sondern die Glaubwürdigkeit seiner gesamten Organisation.

Wirtschaftliche Effizienz braucht menschliche Verantwortung

Die Effizienzlogik vieler Unternehmen folgt immer noch der alten Managementschule: Kosten senken, Prozesse verschlanken, Lieferzeiten minimieren. Doch das Denken in Minimierung hat eine gefährliche Kehrseite: Es reduziert Organisationen auf Zahlen – und blendet systemische Abhängigkeiten aus.

Echte Führungsverantwortung bedeutet, Widerstandsfähigkeit zu schaffen: in Strukturen, in Teams, in der Kultur. Nicht alles, was kurzfristig profitabel ist, ist langfristig tragfähig. Die Automobilindustrie steht damit stellvertretend für eine Haltung, die in vielen Branchen verbreitet ist. Ob Energie, IT oder Industrieproduktion – die Muster sind dieselben: Zu lange hat man auf Effizienz gesetzt und die Fähigkeit zur Selbstorganisation und Anpassung vernachlässigt.

Fazit

Diese Chipkrise ist kein Produktionsproblem, sondern ein Führungsproblem. Sie zeigt, was passiert, wenn Organisationen den Sinn ihrer Arbeit aus den Augen verlieren und Entscheidungen nach kurzfristigen Kennzahlen statt nach Verantwortung treffen.

Nicht die Technik braucht ein Update – sondern das Führungsverständnis. Führung der Zukunft muss komplexe Systeme gestalten, nicht nur Kosten senken. Sie muss Stabilität schaffen, wo andere Geschwindigkeit fordern. Und sie muss begreifen, dass nachhaltiger Erfolg nicht in Excel-Tabellen entsteht, sondern im Denken der Menschen, die Verantwortung übernehmen.

Bild: DallE

Über den Autor

Werner Illsinger ist Unternehmensberater und Geschäftsführer von 4future.business. Er begleitet Unternehmen bei Transformationsprozessen in den Bereichen Strategie, Digitalisierung und Kulturwandel. Sein Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung zukunftsfähiger Organisationen, in denen Menschen Sinn, Motivation und Freude an der Arbeit finden.

×
Stay Informed

When you subscribe to the blog, we will send you an e-mail when there are new updates on the site so you wouldn't miss them.

Barracuda-Studie: Ransomware-Gefahr bei E-Mail-Sic...
Smarte Helfer für Unternehmen: Die neue Generation...

By accepting you will be accessing a service provided by a third-party external to https://www.report.at/

Firmen | News

Firmen | News
07 November 2025
Firmen | News
Barracuda Networks Inc., ein führender Anbieter von Cybersicherheitslösungen, die Unternehmen jeder Größe umfassenden Schutz vor komplexen Bedrohungen bieten, hat eine neue Studie veröffentlicht, die zeigt, dass Unternehmen, die länger als neun Stund...
Firmen | News
Neue KI-Technologien ermöglichen es Unternehmen, ihre Prozesse effizienter zu gestalten. Eine besonders vielversprechende Entwicklung ist die agenten-basierte KI, die Arbeitsabläufe beschleunigt und Mitarbeiter entlastet. Mögliche praktische Anwendun...
LANCOM Systems
29 October 2025
Firmen | News
Der deutsche Netzwerkinfrastruktur- und Security-Ausrüster LANCOM Systems ist für sein Nachhaltigkeitsmanagement bei den Themen Umwelt, Arbeits- und Menschenrechte, Ethik sowie nachhaltige Beschaffung erneut mit der EcoVadis Silber-Medaille ausgezeic...

Neue Blog Beiträge

07 November 2025
Europa
Politik
Die zweite Chipkrise als Lehrstück über Management, Verantwortung und den Preis fehlender Resilienz. Ein Kommentar von Werner Illsinger. Fünf Jahre nach der großen Halbleiterkrise steht die Autoindustrie erneut vor massiven Produktionsausfällen. Dies...
24 October 2025
Markt und Marketing
Viele Faktoren sprechen derzeit für den österreichischen Aktienmarkt. Der ATX könnte nach mehr als 18 Jahren sein Allzeithoch noch heuer überspringen. Eine Analyse von Christoph Schultes, Chief Equity Analyst der Erste Group Bank AG. DDer EZB-Ra...
24 October 2025
Beruf und Karriere
Markt und Marketing
Mensch und Gesellschaft
Die Wirtschaftskammer Wien jubelt: 25 Prozent aller Unternehmer*innen, die einen Nachfolger suchen, finden auch einen. Ein »Erfolg«, heißt es. Wirklich? Rechnet man um, bedeutet das: Drei von vier Betrieben sperren zu. B...