Samstag, April 27, 2024

Seit Februar 2014 arbeiten Klemens Leutgöb vom Energieberatungsunternehmen e7 und Wohnbau-Experte Wolfgang Amann an einem Projekt der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung EBRD zur Erhöhung der Energieeffizienz am ukrainischen Gebäudesektor. Welche Eindrücke sie vor Ort in Kiew sammeln konnten und wie sie den ukrainischen Immobilienmarkt einschätzen, erklären sie im Doppel-Interview mit dem Bau & Immobilien Report.

Report: Wie bewerten Sie die aktuelle politische und wirtschaftliche Situation in der Ukraine?

Wolfgang Amann: Unsere Wahrnehmung ist, dass die Menschen versuchen, Business as usual zu leben. Das war manchmal fast schon unheimlich, wenn es zwei Straßen weiter auf dem Maidan rund gegangen ist. Im Moment gehe ich davon aus, dass die Krise überwunden ist. Ich hoffe, dass Russland in der Ostukraine nicht weiter aktiv wird.

Report: Würden Sie einem österreichischen Unternehmen aus der Baubranche aktuell den Schritt in die Ukraine empfehlen?

Amann: Das hängt davon ab, ob ein Unternehmen Early Mover oder Follower sein möchte. Für einen Early Mover ist jetzt sicher der richtige Zeitpunkt, Follower sollten noch warten.

Klemens Leutgöb: Das Potenzial des Landes ist auf jeden Fall gegeben. Die Tatsache, dass sich die EBRD etwa mit unserem Projekt im Lande engagiert, ist ein sehr positives Zeichen. Es gibt aber auch noch Risikofaktoren, die über das Maß hinausgehen, das wir in Österreich gewohnt sind. Die Rahmenbedingungen stimmen in vielen Bereichen der Immobilienwirtschaft einfach nicht, speziell in den Bereichen Hausverwaltung und Facility Management. Oftmals sind auch Eigentumsverhältnisse unklar oder widersprüchlich geregelt. Es gibt Hausverwaltungen, die für Allgemeinflächen zuständig sind und sich auch als Eigentümer dieser Allgemeinflächen gerieren.

Amann: Viele Gebäude sind zwar in Privateigentum übergangen, scheinen aber immer noch in den Bilanzen der kommunalen Hausverwaltungen auf. Da gibt es schon einige Absurditäten.

Report: In Kiew wurde in den letzten Jahren durchaus auch investiert, auch in Bauvorhaben. Wie sieht es in den ländlicheren Regionen aus? Wie groß ist aus Ihrer Sicht das Stadt-Land-Gefälle in der Ukraine?

Leutgöb: Die Rahmenbedingungen sind überall gleich. Es gibt aber auch noch andere wirtschaftliche Zentren im Land. Vor allem im Osten gibt es einige starke Ballungsräume, aber auch im Rest des Landes gibt es aufstrebende Wirtschaftszentren, allerdings viel kleinteiliger organisiert. Report: Wie ist der Kiewer Immobilienmarkt aktuell zu bewerten?

Amann: Ein wesentliches Problem ist, dass das Marktniveau im Zuge der Krise radikal nach unten gegangen ist. Kaum eine andere osteuropäische Metropole hatte derartige Einbrüche bei den Preisen. Das hat viele internationale Investoren natürlich vor den Kopf gestoßen.

Report: Werden die Preise wieder anziehen?

Amann: Selbstverständlich, das ist fast unvermeidbar. In der Ukraine sind alternative Veranlagungsmöglichkeiten kaum vorhanden. Wenn Leute zu Geld kommen, investieren sie in Immobilien. Für internationale Investoren ist es aber sehr schwierig, mit den lokalen Playern mitzuhalten. Da fehlt der Zugang zu Behörden und Bauland.

Report: Also wenn, dann nur mit lokalen Partnern?

Amann: Da gehen die Philosophien auseinander. Die Immofinanz etwa hat sich ganz von Partnerschaften verabschiedet. Andere schwören hingegen auf lokale Partner. Aus meiner Sicht machen Partnerschaften aber nur bei einem wirklich guten Vertrauensverhältnis Sinn. Denn man hört immer wied er, dass der Informationsvorsprung der lokalen Akteure nicht immer fair genutzt wurde. Da darf man auch die kulturellen Unterschiede nicht unterschätzen.

Report: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen im Residential-Bereich?

Leutgöb: Eine wesentliche Herausforderung wird sein, Ressourcen in den großvolumigen Bestand zu bekommen. Denn da wurden über viele Jahre kaum oder nur unzureichende Investitionen getätigt.

Amann: In der Sowjetunion wurde das Thema Wohnbau sehr wissenschaftlich angegangen. Man hat aber verabsäumt, anständige Systeme zu implementieren, um die Gebäude langfristig zu erhalten. Viele Gebäude haben die technische Lebensspanne bereits überschritten. Ein Abriss ist aber nicht möglich, weil man nie die Zustimmung aller Eigentümer bekommt und auch Ersatzwohnungen fehlen.

Report: Klingt nach einem Paradies für Sanierer.

Leutgöb: Könnte man meinen, aber es passiert nur ganz wenig, weil eben die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Und auch die finanziellen Möglichkeiten sind in vielen Fällen einfach nicht gegeben. Fördersysteme fehlen fast gänzlich.

Amann: Als Vorbild könnte der Ukraine da eventuell die Slowakei dienen. Dort hat es in den 90er-Jahren auch praktisch keine Sanierungstätigkeit gegeben. Heute ist ein Drittel der Gebäude thermisch saniert. Das Geld dafür kam unter anderem von einem Wohnbaufonds, der günstige Darlehen für Sanierungen zur Verfügung stellt.

Report: Wie sieht es mit dem Neubau aus?

Amann: Bis 2008 hat es in den Metropolen eine starke Bautätigkeit gegeben, aber das ist massiv eingebrochen. Und die aktuelle politische Krise hat die Sache nicht einfacher gemacht. Es ist in der Ukraine auch sehr schwer, eine echte Bedarfsanalyse zu erstellen. In den großen Städten kann man fast schon von Wohnungsnot sprechen, auf der anderen Seite gibt es aber einen starken Bevölkerungsrückgang.

Report: Lässt sich die Frage, ob in Kiew Wohnungen fehlen oder nicht, klar beantworten?

Amann: Aus meiner Sicht nicht. Es deuten aber einige Indizien in diese Richtung. Denn auch viele Wohnungen, die während der Boomjahre bis 2008 errichtet wurden, sind niemals dem Markt zugutegekommen. Da war viel an spekulativen Investitionsobjekten im gehobenen Segment dabei. Gebraucht wird aber Wohnraum für die mittleren und unteren Schichten.

Report: Mit welchem Geld werden in der Ukraine Wohnungen errichtet?

Amann: Das ist ähnlich wie in Russland. Gebaut werden ausschließlich Eigentumswohnungen, die von den Käufern vorfinanziert werden. Der Bau von Mietwohnungen lässt sich wirtschaftlich nicht darstellen. Entsprechend liegt die Eigentumsquote bei 93 Prozent.

Report: Das Geld für Eigentumswohnungen ist also da?

Leutgöb: Ja, in den Zentren auf jeden Fall. Da gibt es viele junge, gut ausgebildete Leute mit einem akzeptablen Einkommen.

Report: Welche Rolle spielt die Korruption in der Ukraine?

Leutgöb: Korruption ist ein großes Thema. Das war und ist Teil der Kultur. Das gilt natürlich auch für den Immobilienbereich.

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