Montag, April 29, 2024
Baustoffe neu gedacht
Credit: MW-Architekturfotografie

Eine Baustelle steht nie still – das ist auch bei der Entwicklung der verwendeten Bau­stoffe nicht anders.

Titelbild: Habau arbeitet bereits seit rund drei Jahren mit Carbonbeton im Bereich von Fassadenplatten. (Credit: MW-Architekturfotografie)

Zement aus Korallen, Benzin aus Algen, Leder aus Pilzen, Beton aus dem Drucker – bei neuen Baustoffen gibt es Visionen, Innovationsdrang und bereits nachhaltige Erfolge. »Im Bereich der zementösen Werkstoffe wurden in den vergangenen Jahrzehnten erhebliche wissenschaftliche Anstrengungen unternommen, die es zunehmend erlauben, neue zementöse Bindemittel auf den Markt zu bringen«, informiert Professor Ueli Angst vom Institut für Baustoffe an der ETH Zürich.

Die Frage ist jedoch, wie sich diese neuen Baustoffe über die Zeit hinsichtlich der Dauerhaftigkeit verhalten. Hier gibt es grundlegende Punkte, die von der Wissenschaft noch beantwortet werden müssen. Die Fraunhofer-Allianz Bau forscht an der Herstellung und Nutzung unterschiedlicher Carbon-Capture-Technologien, also Verfahren, durch die CO2 in großem Maßstab gebunden und in bestehende Baustoffe ohne Qualitätsreduktion gespeichert werden kann.

»Unser Schwerpunkt liegt in der verstärkten Einbindung von Rückbau- und Recyclingbaustoffen in die Neuproduktion und hierbei zunächst auf der Forschung zu neuen Verfahren der Aufbereitung und Sortierung von Bauabfällen zur Wiederverwertung«, informiert Thomas Kirmayr, Geschäftsstellenleiter Fraunhofer-Allianz. In Österreich läuft derzeit das Forschungsprojekt RCC2, bei dem u. a. bauXund, Doka, Strabag Real Estate und Wopfinger beteiligt sind. Aufbauend auf dem Vorprojekt RCC soll ausgelotet werden, wie CO2-reduzierter Beton zum Stand der Technik und in weiterer Folge durch Zugabe von technischem Kohlenstoff aus der Holzvergasung zu nahezu klimaneutralem Beton praxistauglich weiterentwickelt werden kann. »„Bei RCC2 haben wir die Praxisversuche bereits abgeschlossen, im November werden die Ergebnisse des Forschungsprojekts vorgestellt«, kündigt Thomas Belazzi, Geschäftsführer von bauXund, an.

Thomas Belazzi, bauXund: »Die kaskadische Nutzung von Baumaterialien ist wichtig, sie führt zu einer Vielzahl innovativer Baustoffe.« (Foto: Pletterbauer)

Inno-Blick

Neue Baustoffe sind nicht nur eine Herausforderung für Wissenschafter*innen, Innovationsdrang gibt es auch auf Unternehmerseite. »Alle unsere Mitgliedsunternehmen investieren in Forschung und Entwicklung«, betont Katharina Sigl, Geschäftsführerin des Forschungsverbands der österreichischen Baustoffindustrie. Das reicht von der Weiterentwicklung der Rezepturen von Baustoffen bis hin zum neuen Baustoffbewusstsein rund um das »Re-Baustoffpaket« – reduce, reuse, recycle, refurbished, redesign. Ein noch eher junger Baustoff ist Holzbeton, bei dem der Anteil von Sand und Kies durch sehr feingeschliffenes Holz ersetzt ist. Dadurch ist er wesentlich leichter als gewöhnlicher Beton und es ergibt sich ein großes Potenzial als neuer Verbundwerkstoff beim Bau von Wohnhäusern und Bürogebäuden.

Fortgeschritten ist auch die Entwicklung von Carbonbeton. »Wir könnten alles, was aus Stahlbeton besteht, in Carbonbeton umsetzen«, informiert Frank Schladitz, Forschungsgruppenleiter am Institut für Massivbau der Technischen Universität Dresden und Vorstand des weltweit größten Forschungsprojektes in diesem Bereich »C³, Carbon Concrete Composite«. Der Vorteil von Carbonbeton liegt im Materialverbund von Kohlefasern und Beton, wodurch er leichter, stabiler, umweltverträglicher und langlebiger als Stahlbeton ist. Das hat sich bei Ausbauteilen, Brücken, Bahnanlagen usw., die laufend Frost und Feuchtigkeit ausgesetzt sind, bewährt. »Bei einer Innenwand im Gebäude gibt es momentan bis auf die dünnere Ausführung noch keinen deutlichen Vorteil – eine Fassadenplatte kann drei statt acht Zentimeter stark sein.«

In fünf Jahren gibt es für den Carbonbeton-Experten keine Stahlbetonfassade mehr. Ähnlich sieht das Claudia Dankl von der VÖZ: »Carbonbeton ist zwar noch um ein Vielfaches teurer als der etablierte Stahlbeton, angesichts der Langlebigkeit und der Materialersparnis gleicht sich dieser Nachteil aber immer mehr aus.« Einige österreichische Bauunternehmen wie Rhomberg und Habau setzen bereits auf Carbonbeton. »Wir arbeiten seit rund drei Jahren mit Carbonbeton im Bereich der Fassadenplatten«, berichtet Georg Trauner, Leiter Forschung und Entwicklung bei Habau. 2020 wurden erste Versuche und Konzepte mit der TU Wien gestartet, 2022 die erste Gebäudefassade realisiert. »Aktuell arbeiten wir an einer Studie zur Oberflächengestaltung in puncto Qualitätssicherung sowie an der Weiterentwicklung der Bewehrungsführung und des Materialkonzepts.«

Mit dem Einsatz von Carbonbeton sei eine Einsparung von rund 70 Prozent CO2 dank der Gewichtsreduktion möglich, was die Herstellungskosten ebenso verringert wie den Transportaufwand zur Baustelle. »Bis zu 20 Platten können mit nur einem LKW transportiert werden«, informiert Trauner. Daneben arbeitet Habau z. B. mit Holz-Hybridsystemen, Lehm- und Kunststoffbetonen und Flüssigbodentechnologie. Rhomberg vertraut bei der Errichtung eines fünfgeschoßigen Gebäudekomplexes in Zürich bereits auf die neue Betonsorte Zirkulit und damit auf 75 Prozent Sekundärrohstoffe. Zirkulit weist zudem einen minimalen Zementgehalt auf, und durch eine spezielle Speichertechnologie werden Negativemissionen im Beton erreicht.  

Rhomberg vertraut bei der Errichtung eines fünfgeschoßigen Gebäudekomplexes in Zürich bereits auf Zirkulit-Beton und damit auf 75 Prozent Sekundärrohstoffe. (Foto: Rhomberg)

re-Baustoffe

Bei der Energieeffizienz von Gebäuden sind durch zahlreiche Bemühungen rund um Heizen und Kühlen in den letzten 20 Jahren viele Fortschritte zu erkennen. »Daran muss sich die Bauindustrie ein Beispiel nehmen«, fordert Belazzi. Großes Potenzial für (neue) Baustoffe liegt in der Nutzung der Kreislauffähigkeit und der Akzeptanz von bestehendem Material. »Vorhandene Gebäude müssen als Rohstofflager erkannt und genutzt werden«, bringt es Alois Ehrreich, Produktmanager bei Allplan, auf den Punkt – die Akzeptanz von reuse im Bauwesen nehme stetig zu. Deutlicher Handlungsbedarf liegt in der Ressource Bodenaushub.

»Die größte Menge, die wir heute deponieren ist nicht Asphalt, nicht Beton, nicht Ziegel, sondern mit 35 Millionen Tonnen ist es Bodenaushub«, betont Univ.-Lektor Martin Car, Geschäftsführer des Baustoff-Recycling-Verbands. Von 1.111 Deponien seien 950 reine Bodenaushubdeponien. Für ihn ein Unding, denn oft wird in einer Kies- oder Mineralrohstoffgrube 100 Meter neben der Baustelle mit Genehmigung frischer Boden ausgehoben. Im Boden sind typischerweise Schotter, Kies und Sand, die zu Beton- und Asphaltzuschlägen verarbeitet werden könnten; ungebundener Schotter kann für Straßen, Parkplätze usw. verwendet werden. Es fehlt aber an der Umsetzung.

Car verweist in diesem Zusammenhang auf die bevorstehende ÖNORM B 3141, die die Verwertung von Bodenaushub und den Einsatz von Recycling-Baustoffen aus Aushubmaterial optimieren soll, sowie auf die Deponieverordnungsnovelle, wonach ab Jänner 2024 Ziegel aus der Produktion, Betonabbruch, technisches Schüttmaterial, Straßenaufbruch, Asphalt, Einkehrsplitt, Recycling-Baustoffe der Qualitätsklasse U-A nicht mehr deponiert werden dürfen. Ab 2026 gilt das auch für Gipswandbauplatten und faserverstärkte Gipsplatten. Als Vorreiter nennt Car auch die bevorstehende Version 7 der Standardisierten Leistungsbeschreibung Verkehr und Infrastruktur der Österreichischen Forschungsgesellschaft Straße-Schiene-Verkehr, die das Thema Aushub ebenso verstärkt einbezieht.

Auf der Baustelle

In der Bauwirtschaft gibt es laut Car bereits ein Umdenken. »Angesichts steigender Baustoffpreise und laufend steigender Kosten bei Materialtransporten geht es um jeden Euro, Baufirmen sind mit dem Klimawandel ebenso konfrontiert wie mit Rohstoffmangel.« Lösungen gibt es bereits, z. B. von Wopfinger Transportbeton. Seit Anfang dieses Jahres ist die aktive Nachfrage nach Ökobeton merklich gestiegen. Es gehe immer mehr in Richtung Best-Bieter- anstatt Billigst-Bieter-Prinzip. »Den Ökobeton-R bieten wir standardmäßig bis zur Güte XC2 C35/45 an. In Einzelprojekten wurden auch schon sehr anspruchsvolle Betone wie beispielsweise ein B7 als Ökobeton-R geliefert«, sagt Philip Rambrecht, Bereichsleiter Umwelttechnik.

Auch Wienerberger berichtet von erfolgreichen Produkten wie dem Vormauerziegel ClickBrick und CicloBrick sowie der Kaskadennutzung von PVC. ClickBrick ist ein Fassadenziegel ohne Mörtel, damit einfach rückbaubar. Bei CicloBrick setzt Wienerberger keramische Reststoffe ein, die nach dem Urban-Mining-Prinzip beim selektiven Rückbau von Gebäuden zurückgewonnen wurden. Mit dem Konzept der Farbcodierung von Rohrgenerationen kann eine Kaskadennutzung von PVC ermöglicht werden.

ClickBrick ist das neue Trockenstapelsystem von Wienerberger. (Foto: Wienerberger)

Ein erfolgreiches Beispiel für nachhaltigen Beton ist auch Zirkulit. »Solche Lösungen sind aus meiner Sicht sehr spannend, weil es da um Megatonnen geht«, betont Thomas Belazzi. Denn die große Masse bei Gebäuden steckt zu 80 Prozent in der Bodenplatte und der Tragkonstruktion, danach folgen mit großem Abstand Fenster, Zwischenwände, Dämmstoffe, Türen, usw. Zirkulit könnte für Belazzi ein Dammbrecher sein, da Abbruchmaterial in Österreich vor allem in den Tiefbau geht und Rezyklat für den Hochbau in Diskussionen mit Betonherstellern selten ein Thema ist.

Eine weniger positive Bilanz zieht Georg Bursik, der mit Baumit den GO2morrow Recyclingbeton anbietet. »Der Großteil der Nutzer*innen greift leider zu herkömmlichen günstigeren Trockenbetonen. Der Nachhaltigkeitsgedanke ist offensichtlich mehr im Herzen als in der Kaufbereitschaft der Anwender*innen angesiedelt«, resümiert er.


Innovation in Beton

Christine Bärnthaler ist Gründerin der Innovationsagentur Ofroom, die sich dem Thema Architektur und Materialwende widmet. (Foto: Romana Kanzian)

Beton ist der am meisten verwendete Baustoff, hier besteht großes Potenzial an Verbesserung und Weiterentwicklung. Christine Bärnthaler, Ofroom, verweist auf zahlreiche Innovationen bei Beton:

  • CarStorCon kann durch den Zuschlagstoff Clim@Add aus technischer Biokohle 15 % des Zements im Beton substituieren. Damit wird der Beton CO2-neutral und gleichzeitig erhöht sich die Druckfestigkeit.
  • solidian Grid ist eine nicht korrodierende Carbonbewehrungsmatte für Textilbeton mit siebenmal höherer Zugfestigkeit als Bewehrungsmatten aus Stahl und einer Reduktion des Zementeinsatzes von bis zu 80 %.
  • 3-D-Druck schafft um rund 1/3 leichtere Betondecken und dadurch relevante CO2-Einsparungen.
  • Bodenanker anstelle von Betonfundamenten können Rammfundamente als rückbaubare Fundierungen ersetzen.
  • Hanfbeton ist eine weitere Lösung eines CO2-negativen Baumaterials.

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