Sonntag, Mai 05, 2024
Rettungsleine Greenwashing
»Es braucht mehr Verständnis. Ein Produkt wie etwa Styropor ist manchmal aus fossilen Vorprodukten erzeugt, jedoch ewig nutzbar und wiederverwertbar«, sagt Robert Schmid. (Bild: Jana Madzigon)

»Greenwashing wird zur Grundbedingung für wirtschaftliches Überleben«, sagt Robert Schmid, Obmann des Fachverbands Steine-Keramik. Im Interview erklärt er, wie die Politik Greenwashing »erzwingt«, und erzählt von seiner Vision vom Bauen der Zukunft.

Wenn Sie daran denken, wie 2040 gebaut werden wird. Was werden Ihrer Einschätzung nach die größten Unterschiede zu heute sein?

Robert Schmid: Bis 2040 wird es zumindest mit hoher Sicherheit klar sein, in welche Richtung die Weichen gestellt sind. Wird es das massive, langhaltende und nach langer Lebensdauer recyclingfähige Gebäude sein oder wird Bauen kurzlebiger, voller Technik, um dann nach 20, 30 Jahren abgebaut und neu errichtet zu werden? Jedenfalls wird Recycling, Wiedernutzung und Lebensdauer ein ganz großes Thema sein.

Wo stehen wir heute?

Schmid: Wir vermischen heute öko, nachwachsend, wiederverwertbar etc. Meines Erachtens fehlt es hier an Klarheit! Ein Haus aus ausschließlich nachwachsenden Rohstoffen wäre wunderbar. Es steht eine gewisse Zeit und dann könnten wir es »ressourcenschonend« verbrennen, also energetisch nutzen. Materialien, die immer wieder- und wiederverwendet werden können, wie Steine, sind zwar irgendwann einmal gewachsen, können aber nicht nachwachsend sein. Jedoch sind sie Weltmeister in der Wiedernutzung. Man nehme nur die Entwicklung ein- und derselben Ziegelsteine von der Römerstadt Vindobona über die Stadtmauer von Wien bis in die Ringstraßengebäude.

Hier brauchen wir mehr Verständnis. Ein Produkt wie etwa Styropor ist manchmal aus fossilen Vorprodukten erzeugt, jedoch ewig nutzbar und wiederverwertbar. Aus einem gebrauchten Dämmstoff kann ich immer wieder und wieder einen neuen Dämmstoff oder auch anderes erschaffen – also perfekt kreislauffähig. Man sollte also aufhören, Kunststoffprodukte ökologisch zu verteufeln.

Aufgrund des vorherrschenden Fachkräftemangels gewinnen Produktivität und Effizienz weiter an Bedeutung. Wo sehen Sie die größten Potenziale zur Produktivitäts- und Effizienzsteigerung?

Schmid: Die Art und Weise, wie in Zukunft gebaut wird, wird mit großer Wahrscheinlichkeit ganz stark mit dem Thema Vorfertigung in Verbindung gesetzt werden müssen: Fertigteile, Module, ganze Funktionsräume, die fixfertig in ein Gebäude eingebracht werden können. Diese Standardisierung macht zwar die Architektur und die Möglichkeiten langweilig, erspart aber Arbeitskräfte. Gelungen ist diese Standardisierung bis heute aber nicht.

Alternativ dazu, und das wäre meine Vision, könnten wir das Image der Arbeit am Bau in der Wahrnehmung der Außenwelt so gestalten, wie es ihm gebührt. Bauschaffende lassen etwas entstehen, haben hohe Verantwortung, ein interessantes und kurzweiliges Berufsleben etc. Der Job des »Bauhacklers« muss also so attraktiv und sexy wahrgenommen werden, wie es ihm zusteht – er ist kein Bauhackler! Dann wird der Fachkräftemangel bald keiner mehr sein.

Zu den aktuell wichtigsten Themen auch in der Baubranche zählen »Nachhaltigkeit« und »Klimaschutz«. Wo sehen Sie die größten Hebel für die gesamte Branche?

Schmid: Die Baubranche bewegt unglaubliche Mengen an Bauprodukten und hat daher große Relevanz für Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Wer bauen will, braucht halt einmal Material. Das wird sich niemals ändern! Aber besonders bei diesen »Investitionsgütern« ist vieles möglich, wenn man Altes neu denkt. Das Beschaffen von Materialien war vor vielen hundert Jahren das schwierigste und knappste Gut. Man war gezwungen, effizient mit Material umzugehen, es wiederzuverwenden und gebrauchte Steine einzubauen. Wir hatten auch keinen elektrischen Sonnenschutz, keine Klimaanlagen, wenig Heizungen; Baumeister waren damals meist auch die Architekten und haben die Knappheit der Güter durch intelligentes Handeln gelöst: Die richtige Ausrichtung des Gebäudes, ein Vordach, der richtige Platz für das Bauwerk, eine materialsparende Form, die dann durch Kunstwerke der Handwerker zu einem schönen und interessanten Gebäude geformt wurden.

Wo sind die Hebel für die Baustoffindustrie?

Schmid: Die Baustoffindustrie muss sich in Zukunft ganz massiv und begeistert mit dem Thema Kreislaufwirtschaft und Kreislaufwirtschaftsfähigkeit beschäftigen und sich verbessern. Die Bauausführenden müssten nach dem Prinzip, so wenig Technik wie möglich, und nicht umgekehrt, so viel wie möglich, planen und überlegen. Technik hält nur sehr kurz, ein Haus hält gut gebaut ewig. Kurz gesagt, der Bau und die Baustoffindustrie haben sehr großes Potenzial. Und wir sollten nicht mehr manchmal den Eindruck haben, Technik ersetzt Hausverstand!

Insbesondere der energieintensiven Massivbaubranche wird oft Greenwashing vorgeworfen. Wie lässt sich der Vorwurf am besten entkräften?

Schmid: Ich fürchte, dass Greenwashing in naher Zukunft eine Grundbedingung für wirtschaftliches Überleben sein wird. Vorschriften, Ideen und besonders Ziele sind derart visionär und nicht greifbar, dass vielen Unternehmen nichts anderes übrigbleibt, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen und der Öffentlichkeit etwas vorzuspielen, um überleben zu können. Eine Umwelt- und Klimapolitik mit weniger Vision und mehr Pragmatismus wäre da durchaus wünschenswert. Das gilt für Europa und auch für Österreich.

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