Sonntag, Mai 05, 2024
Multimomentaufnahme & Choosing by Advantages

Das Choosing-by-Advantages-System hilft Unternehmen, fundierte Entscheidungen zur Steigerung der Kundenzufriedenheit zu treffen. Mit der Multimomentaufnahme können  wertschöpfende Tätigkeiten und Verschwendung systematisch eingeordnet und quantifiziert werden. Ein Überblick. Teil 10 der Serie »Lean Baumanagement – Werkzeuge und Methoden«

Choosing by Advantages

Schnell, effektiv und kostengünstig die besten Entscheidungen zu treffen, ist für jede Unternehmung wichtig. Auch bei Bauprojekten müssen laufend Entscheidungen getroffen werden. Folgt man dem Lean-Ansatz sollten diese Entscheidungen immer die höchstmögliche Kund*innenzufriedenheit im Fokus haben.

Um ein Ergebnis zu erreichen, müssen verschiedene Handlungen durchgeführt werden. Diese Handlungen bedürfen vorhergegangener Entscheidungen, welche anhand inkludierter Kriterien im Kontext einer Entscheidungsmethode getroffen werden. Entscheidungen bauen auf dem Wertgefüge der beteiligten Personen sowie dem durch den Kund*innenwert definierten Ziel auf. Abbildung 1 (unten) zeigt den Zusammenhang zwischen dem definierten Wert, der Methode der Entscheidungsfindung und der Entscheidung selbst.

Abbildung 1: Zusammenhang von Wert, Methodik und Entscheidung1

Entlang dieses Entscheidungsprozesses findet eine Wertgenerierung statt. Am Ende des Prozesses kann anhand des Ergebnisses bewertet werden, ob der Wert aus Kundensicht erfüllt wurde oder nicht. Wenn es um größere Entscheidungen im Sinne der kollaborativen Bauprojektabwicklung geht, bieten fundierte Methoden zur Entscheidungsfindung wie Choosing by Advantages (CBA) eine transparente, objektivierte und nachvollziehbare Möglichkeit, diese Entscheidungen zu treffen.

Das Choosing-by-Advantages-System zur fundierten Entscheidungsfindung wurde von Jim Suhr im Jahre 1999 entwickelt.2 CBA ist ein System zur multikriteriellen Entscheidungsfindung, welche die Bewertung der Vorteile zwischen den Alternativen nutzt, um zwischen diesen zu differenzieren. Das schrittweise Herausarbeiten der Unterschiedlichkeiten der Alternativen und die transparente Darstellung ermöglichen das Verstehen der verschiedenen Perspektiven und führt zur Nachvollziehbarkeit der Entscheidung für Dritte.3

Zuerst werden das Ziel der Entscheidung sowie der Zweck und die Rahmenbedingungen definiert. In der Innovationsphase werden die verschiedenen Alternativen sowie deren Attribute bestimmt. In der Entscheidungsphase werden die Attribute der Alternativen detailliert beschrieben, damit die Vorteile gegenüber anderen Alternativen bestimmt und deren Bedeutung herausgearbeitet werden kann. Bei unterschiedlichen Kosten werden die Vorteile einer Alternative den Kosten gegenübergestellt. Um in der Entscheidungsphase zu einem Ergebnis zu kommen, bedarf es einer fundierten Entscheidungsmethodik, zum Beispiel CBA.

Nach der Entscheidung folgt die Überprüfungsphase, in welcher geprüft wird, ob noch zusätzliche Informationen berücksichtigt werden müssen. Abschließend folgt die Implementierungsphase. In dieser Phase wird die letztgültige Entscheidung anhand eines Implementierungsplanes umgesetzt.

Mehrwert durch CBA

Nach dem Prinzip der Transparenz in der Kommunikation sollten wichtige Entscheidungen nachvollziehbar und transparent gestaltet werden. Diese Offenheit verhilft zu einer Projektabwicklung, welche von Teamwork und Kollaboration geprägt ist. Wenn die verschiedenen Parteien wissen, warum welche Entscheidungen getroffen wurden und welche die daraus abgeleiteten Handlungsschritte sind, baut sich über die Zeit Vertrauen zwischen den Projektbeteiligten auf.

Dieses gegenseitige Vertrauen ist ein Faktor, welcher den Entscheidungsfindungsprozess beeinflusst.4 Weiters führt die Anwendung von CBA zu einer verstärkten Gruppenbindung und psychologischen Sicherheit.5 Diese Faktoren sind für die Effektivität und Effizienz von Gruppenentscheidungen relevant. So ist das Werkzeug des Choosing by Advantages vor allem in der Bauplanung sowie in der Vergabe von großem Nutzen. CBA verhilft dazu, die Entscheidungsfindung umfassend und objektiv sowie nachvollziehbar zu gestalten, um anschließend schnell, effektiv und effizient handeln zu können. Die Möglichkeit, gute Entscheidungen zu treffen, bildet einen Wettbewerbsvorteil für Unternehmungen.

Multimomentaufnahme

Die Multimomentaufnahme (MMA) ist ein Werkzeug zur systematischen Einordnung und Quantifizierung von wertschöpfenden Tätigkeiten und Verschwendung bezogen auf einen Aufnahmezeitraum. Mit diesem Werkzeug können Aussagen darüber getroffen werden, welche Art von Tätigkeiten in Bezug auf Wertschöpfung und Verschwendung Mitarbeiter*innen bezogen auf einen Betrachtungszeitraum ausführen. Mit einer MMA ist es möglich, große Produktionsbereiche mit wenig Aufwand in ihren natürlichen Abläufen zu analysieren, ohne die Mitarbeiter*innen zu stören.6

Über den Produktionsbereich hinaus ist es mit gegebener Vorbereitung auch möglich, Büroumgebungen oder Arbeitsabläufe auf Baustellen zu beobachten und mit der MMA zu analysieren.

Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anwendung

Multimomentaufnahmen sind zur Analyse von Prozessen geeignet, in welchen sich die getätigten Ereignisse mehr oder weniger oft wiederholen, da aus einer begrenzten Anzahl aus Stichprobenbeobachtungen auf die Gesamtheit aller Ereignisse geschlossen werden soll. Zudem ist es wichtig, die Mitarbeiter*innen im gewählten Bereich vorab zu informieren und ihnen den Sinn sowie das Ziel einer MMA näherzubringen. Wenn die Personen nur mitbekommen, dass sie und die getätigten Handlungen beobachtet werden, kann es zu Verzerrungen des Ablaufes oder der Häufigkeiten kommen.

Um dies zu vermeiden, muss den Personen klar gemacht werden, dass mit der MMA der aktuelle Ist-Zustand der Prozesse und Tätigkeiten eines Bereichs analysiert werden soll. Erst im Anschluss an die Analyse werden Maßnahmen zur Verbesserung und Eliminierung der Verschwendung abgeleitet.

MMA auf der Baustelle

Eine Multimomentanalyse ist ein effizientes Werkzeug, um ein Verständnis hinsichtlich der Wertschöpfung und Verschwendung bei Bauprojekten zu schaffen.7 Vor der Durchführung muss überlegt werden, welche Mitarbeiter*innen über welchen Zeitraum und im Zuge welchen Rundganges beobachtet werden sollen. In dem Kontext der Baustellenausführung kommt erschwerend hinzu, dass die Arbeitsmannschaften über die Produktionszeit ihren Standort ändern. Dies sollte bei längeren Beobachtungen in Betracht gezogen werden.

Auf der Baustelle können beispielsweise Beobachtungen von 30 Minuten bis zu ganzen Schichten dazu verwendet werden, um die Kategorien und Dauern der einzelnen Tätigkeiten der Mannschaften zu untersuchen. In diesen Beobachtungen ist es aufgrund der Größe der Platzverhältnisse und der Menge an Arbeiter*innen sinnvoll, Fotos zu machen.8 In der Auswertung kann anhand der Uhrzeit auf dem Foto und der Anzahl der Arbeiter*innen mit klarer Zuordnung zu einer wertschöpfenden, wertermöglichenden oder nichtwertschöpfenden Tätigkeit die Auswertung erfolgen.


Multimomentaufnahme

Eine Multimomentaufnahme läuft in einer bestimmten Reihenfolge ab, damit die Ergebnisse nachvollziehbar und verwertbar sind. 

  1. Zielbestimmung: Festlegung, welche Informationen und Daten gewonnen werden sollen. Der zu beobachtende Prozess oder Bereich sollte Potenzial zur Verbesserung aufweisen.
  2. Definition der Beobachtungselemente und Ablaufarten: Die Elemente sollten eindeutig erkennbar und messbar sein und zusätzlich beschrieben werden, um aussagekräftige Ergebnisse zu gewährleisten.
  3. Ermittlung der Anzahl der Beobachtungen und Rundgänge: Die Zeitintervalle für die Rundgänge müssen festgelegt werden. Diese sind abhängig von der Anzahl der zu ermittelnden Ereignisse.
  4. Festlegung der Rundgänge und der Beobachtungsstandpunkte: Die Rundgangsreihenfolge ist festzulegen. Diese muss über die gesamte Anzahl der Rundgänge eingehalten werden. Idealerweise wird der Rundgang mittels Skizze beschrieben.
  5. Aufstellung des Zeitplans für den Rundgang: Die Zeitpunkte für die Rundgänge müssen festgelegt werden. Dies sollte zufällig geschehen. Weiters wird die Anzahl der erforderlichen Beobachtungen (Stichprobenumfang) bestimmt.
  6. Formular: Ein Formular für die Stichprobenbeobachtungen ist zu erstellen.
  7. Information: Die beteiligten Mitarbeiter*innen werden über die Multimomentaufnahme und ihr Ziel informiert.
  8. Ergebnisse ins Formular eintragen: Die im Rundgang beobachteten Ergebnisse werden in das vorbereitete Erfassungsformular eingetragen und für die spätere Auswertung protokolliert. Dies kann zum Beispiel mittels Strichlisten geschehen.
  9. Auswertung: Die Daten der Beobachtungen werden nach statistischen Regeln ausgewertet. Aus den Ergebnissen ist abzuleiten, welche die häufigsten Probleme und Hindernisse für eine höhere Produktionszeit sind und wie diese aktiv aus dem Weg geräumt werden können.11

Quellen:

1 Vgl. Schöttle, A.: Kollaborative Entscheidungsfindung in LEAN-IPD-Projekten – Anwendung von »Choosing by Advantages (CBA)«. In: Lean Baumanagement – Erfahrungsberichte aus Wissenschaft und Praxis. S. 332.
2 Vgl. Suhr, J.: The choosing by advantages decisionmaking system. S. 1.
3 Vgl. Schöttle, A.: Kollaborative Entscheidungsfindung in LEAN-IPD-Projekten... S. 330.
4 Vgl. Schöttle, A.; Arroyo, P.; Christensen, R.: Demonstrating the Value of an effective collaborative Decision-making Process in the Design Phase. In: Proc. 26th Annual Conference of the International Group for Lean Construction. S. 906.
5 Vgl. Schöttle, A.; Christensen, R.; Arroyo, P.: Does Choosing by Advantages promote Inclusiveness in Group Decision-Making? In: Proc. 27th Annual Conference of the International. Group for Lean Construction. S. 806.
6 Vgl. Tietze, F.; Lödding, H.: Analyse der Arbeitsproduktivität in Arbeitsvorbereitung und Produktion von Unikaten. In: Corporate Capability Management – Wie wird die kollektive Intelligenz im Unternehmen genutzt? S. 196.
7 Vgl. Etges, B. M.: Value-adding Activities Level in Brazilian Infrastructure Construction Companies – 9 Cases Study. In: Proc. 26th Annual Conference of the International. Group for Lean Construction. S. 1331.
8 Vgl. Etges, B. M.: Value-adding Activities Level in Brazilian Infrastructure Construction Companies ... S. 1326.
9 Vgl. Schöttle, A.: Kollaborative Entscheidungsfindung in LEAN-IPD-Projekten... S. 330.
10 Vgl. Schöttle, A.; Arroyo, P.; Christensen, R.: Demonstrating the Value of an effective collaborative Decision-making Process in the Design Phase.... S. 907.
11 Vgl. Bundesverband REFA: Industrial Engineering, 2. Auflage. S. 95.


Hintergrund zur Serie

Lean Baumanagement umfasst mehrere Bereiche, in denen unterschiedliche Werkzeuge und Methoden angewendet werden, um die Vorteile aus der Lean-Philosophie für den Baubereich nutzen zu können. Die Erläuterungen in den weiterführenden Ausgaben teilen sich grob in die sechs Bereiche Lean Production, Lean Construction, Lean Design, Lean Administration, Lean-Logistik sowie Supply Chain Management und Lean-Kultur. Aufbauend auf der Übersichtstabelle für Lean Baumanagement der Ausgabe 04/22 (Lean Baumanagement - Mehr als Lean Construction) werden die einzelnen Bereiche kurz beschrieben und Werkzeuge und Methoden erläutert, die die Verschwendung identifizieren, reduzieren oder sogar eliminieren können.

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