Freitag, Mai 03, 2024

Die Anwendung der Lean-Prinzipien in der Bauplanung wird Lean Design genannt. Das oberste Ziel ist die Effizienzsteigerung der Bauplanung durch systematische Vermeidung der Verschwendung sowie ein erhöhter Kundenwert durch gezielte Wertschöpfung und enge Feedbackschleifen. Teil 9 der Serie »Lean Baumanagement – Werkzeuge und Methoden«

Es gibt drei Sichtweisen für eine effektive, effiziente und verschwendungsfreie Bauplanung. Die Sichtweise der Transformation, des Informationsflusses und der Wertschöpfung.

Drei Sichtweisen, drei Ansätze

Bei der Sichtweise der Transformation werden klassische Aufgaben im Designprozess definiert und abgearbeitet. Die Designprojekte allein basierend auf dieser Sichtweise zu realisieren, führt dazu, dass kein Fokus auf die Vermeidung von unnötigem Ressourceneinsatz gelegt werden kann und die Kundenanforderungen nicht bestmöglich umgesetzt werden können.

Die Betrachtungsweise des Designprozesses als Fluss von Informationen verhilft bei der Eliminierung von Verschwendung, da der Fokus auf die Zeit gelegt wird. Hierbei wird versucht verschiedene Zeiten zu minimieren: die Zeit, bevor eine Information genutzt wird, die Zeit zum Check der Anforderungserfüllungen, die Zeit für Nacharbeit und die Zeit für Informationstransport. Die Sichtweise der Wertschöpfung stellt die Erfüllung des Kundenwunsches an erste Stelle. Dieser Wert setzt sich aus Produktperformance und Mangelfreiheit zusammen. Um den Wertverlust so gering wie möglich zu halten, müssen die Anforderungen mittels Anwendung eines systematisierten Kundenanforderungsmanagements möglichst genau analysiert werden. Weiters müssen Iterationen zwischen den Prozessbeteiligten so schnell wie möglich organisiert werden.1

Target Value Design

Das Target Value Design (TVD) verfolgt das Ziel, die aufgestellten Zielkosten des Bauherrn keinesfalls zu überschreiten und die Planung des Projekts an die Zielkostenvorgabe des Bauherrn anzupassen. Dieser Ansatz der Bauplanung setzt auf gegenseitiges Vertrauen unter den Partnerfirmen, Gewerken und anderen Projektbeteiligten. Weiters wird auf eine offene Kommunikation und häufiges Hinterfragen der Zielerreichung gesetzt. Im Sinne des Lean-Ansatzes arbeiten die Personen transparent und begegnen einander mit Ehrlichkeit und Respekt. 

Am Beginn des TVD-Prozesses wird eine Chancen- und Risikoanalyse durchgeführt, die zum monetären Betrag führt, den der Bauherr bereit ist zu zahlen. Da es Unterschiede im Willen und den Möglichkeiten einer Projektfinanzierung gibt, wird als nächstes hinterfragt, ob der Bauherr die genannte Summe auch zahlen kann. So entstehen die erlaubten Kosten (EK).

Mittels einer Markteinschätzung wird über Benchmarking ein marktüblicher Wert für das Projekt definiert. Sollten die erlaubten Kosten über dem Wert der Marktforschung liegen, kann das Budget auf die erlaubten Kosten gesetzt werden. Sollten die erlaubten Kosten geringer sein als die Markteinschätzung, muss sich das Team die Frage stellen, ob die Diskrepanz überwunden werden kann, oder der Projektumfang angepasst werden muss. Wenn dies gelingt, wird der Business­plan von Schlüsselpersonen aus dem Projektteam mit Bauerfahrung validiert.

Anschließend kommt es zur Pain-and-Gain Sharing-Verhandlung. Hierbei wird mit allen Projektbeteiligten ein Chancen- und Risikobereich ausgemacht, innerhalb dessen das Projekt abgeschlossen werden soll. Wird das Projekt unterhalb des Budgets abgeschlossen, profitieren alle Vertragspartner davon und bekommen die überschüssigen Mittel gerecht und zusätzlich zu ihrer Marge aufgeteilt. Wird das Projekt oberhalb der Zielkosten abgeschlossen, müssen die Projektbeteiligten gemeinsam eine Lösung finden und für die entstandenen Zusatzkosten aufkommen. Das Projekt wird mit dem Ziel, innerhalb der Zielkosten zu bleiben, ausgeführt.

Um die Kosten am Ende möglichst gering zu halten, setzt der Bauherr bei diesem Ansatz auf die Motivation aller Gewerke, sich für das gemeinsame Ziel einzusetzen, da jeder von einem positiven Projektabschluss profitiert. Der wesentliche Unterschied von Target Value Design zum traditionellen Zugang des Designprozesses ist, dass sich die Bauplanung und die spätere Ausführung stark an den Zielvorgaben des Bauherrn ausrichten und diese gegebenenfalls angepasst werden.

Beim TVD-Zugang sollten häufige Feedbacks und retrospektive Fragen an den Bauherrn gerichtet werden, um nach jeder Teilplanung die Teilzielerreichung und eventuelle Änderungen in den Zielkosten aufzudecken. Somit kann die Anzahl der negativen Iterationen und die Nacharbeit in der Bauplanung verringert werden. Beim traditionellen Zugang wird im Gegensatz dazu über längere Zeiträume geplant, bevor Feedback zur Planung eingeholt oder sich mit anderen Professionisten zusammengesetzt wird.

Weiters wird darauf Wert gelegt, kleine Gruppen von Professionisten zu einem Planungsteam zusammenzubringen, damit diese eine integrierte Planung entwickeln können. Eine solche weist über die Zeit weniger Nacharbeit oder Konfliktpotenzial auf, als wenn alle Gewerke ihre Planung selbstständig fertigstellen und am Ende versuchen, diese zu fusionieren.

Set-Based Design

Bei der Methodik des Set-Based Designs werden die Design­entscheidungen auf den spätestmöglichen Zeitpunkt gelegt, um die Vorteile des Erkenntniszuwachses und der Informationsgewinnung durch mehr Wissen zu erhalten. So können Spezialisten einzelne Designs noch über einen längeren Zeitraum ändern und evaluieren, bevor ein Konsens gefunden wird und eine Integration aller Teile zu einem Gesamtdesign erfolgt. Weiters können mit späteren Entscheidungen die Kosten, zu denen Commitment gezeigt wird, über einen längeren Zeitraum niedriger gehalten werden, da einzelne geldintensive Entscheidungen noch offenbleiben.

Einzelne Teams von Experten erstellen ein Design für ihren Bereich und können nach und nach Evaluierungen auf den Kundenwert bezogen durchführen. Diese Designs sind im Designraum integriert und werden nach und nach zusammengefügt, um ein großes Enddesign zu erhalten, welches die optimale Planungslösung für den Auftraggeber enthält. Der Designraum umfasst die gesamte Menge an Einzeldesigns, welche von den verschiedenen Fachplaner entwickelt werden.

Aufgrund der stufenweisen Zusammenführung an den Schnittstellen können mit erhöhtem Detaillierungsgrad immer feinere Abstimmungen zur Erreichung des Kundenwunsches durchgeführt werden. Die Sets der einzelnen Planungen werden dabei schrittweise reduziert. Durch häufiges Feedback kann die Zielerreichung sichergestellt werden. Abbildung 2 zeigt den Prozess von Set-Based Design schematisch dargestellt.

Im Gegensatz zur traditionellen Herangehensweise nach dem Punkt-Design-Ansatz ergeben sich durch den Set-Based-Design-Ansatz Vorteile wie effektive und effiziente Kommunikation, erhöhte Parallelität in der Planung, wichtige frühe Entscheidungen basierend auf Daten und erhöhte Flexibilität in Bezug auf Kundenbedarf.3 Der Set-Based-Design-Ansatz kann für Bauplanungen verwendet werden und führt zu einer erhöhten Produktivität durch Kollaboration in relevanten Feldern, welche in Bezug auf den Zeit- und Kostenrahmen eine ganzheitliche Betrachtung des Projektes ermöglichen.4

Um den Set-Based-Ansatz in einem kollaborativen Bauprojekt einsetzen zu können, muss eine gemeinsame Sprache der Professionisten entwickelt werden. So können sich diese untereinander darüber verständigen, welche Teillösungen der einzelnen Designs durchführbar und baubar sind und welche nicht.5 Auf diese Weise können die einzelnen Stakeholder wie Architekten, TGA-Planer, Elektriker, Installationsplaner etc. effizienter in eine gemeinsame Diskussion über die Schnittstellen einsteigen, um an Ende eine möglichst große Wertschöpfung im Planungsprozess zu haben.

Infolge späterer Entscheidungen und Commitment zu einer Lösungsalternative wird zum Zeitpunkt der Entscheidung eine höhere Planungsreife erreicht, was zu einer geringeren Abweichung des zu erfüllenden Endzustandes führt. Dadurch werden Kostenüberschreitungen unwahrscheinlicher und Termineinhaltungen realistischer. Set-Based Design kann durch den offenen Kommunikationszugang und das kollaborative Planen in Teams in den Lean-Design-Ansatz integriert werden und führt bei richtiger Anwendung zu weniger Verschwendung im Designprozess sowie erhöhter Wertschöpfung über die gesamte Planungsphase.


1 Vgl. FREIRE, J.; ALACRON, L. J.: Achieving Lean Design Process: Improvement Methology. In: Journal of Construction Engineering and Management, 128/2002. S. 2
2 Vgl. BERNSTEIN, J.: Design Methods in the Aerospace Industry: Looking for Evidence of Set-Based Practices. Master Thesis. S. 49.
3  Vgl. WARD, A. et al.: Toyota, Concurrent Engineering and Set-Based Design. In: Engineered in Japan - Japanese Technology-Management Practices. S. 205.
4  Vgl. SEUNG-II, L.; JUN-SEO, B.; YOUNG, S. C.: Efficiency analysis of Set-Based Design with structural building information modeling (S-BIM) on high-rise building structures. In: Automation in Construction, 23/2012. S. 31.
5 Vgl. PARRISH, K.; WONG, J.-M.; TOMMELEIN, I. D.; STOJADINOVIC, B.: Exploration of Set-Based Design for reinforced concrete structures. In: Proceedings of the 15th International Conference of IGLC. S. 221.


Hintergrund zur Serie

Lean Baumanagement umfasst mehrere Bereiche, in denen unterschiedliche Werkzeuge und Methoden angewendet werden, um die Vorteile aus der Lean-Philosophie für den Baubereich nutzen zu können. Die Erläuterungen in den weiterführenden Ausgaben teilen sich grob in die sechs Bereiche Lean Production, Lean Construction, Lean Design, Lean Administration, Lean-Logistik sowie Supply Chain Management und Lean-Kultur auf. Aufbauend auf die Übersichtstabelle für Lean Baumanagement der Ausgabe 04/22 werden die einzelnen Bereiche kurz beschrieben und Werkzeuge und Methoden erläutert, die die Verschwendung identifizieren, reduzieren oder sogar eliminieren können.

Tipp: Die vorangehenden Teile der Serie und mehr zum Thema Lean Baumanagement finden Sie hier zum Nachlesen: Serie »Lean Baumanagement – Werkzeuge und Methoden«

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