Mittwoch, Mai 01, 2024

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Michael Jelencsits, Leiter der Engineering-Beratung bei Drees & Sommer Österreich, über die Herausforderungen von ESG speziell im Bestand, den Druck, der sich von mehreren Seiten aufbaut und warum es auch in Zukunft einen Markt für nicht ESG-konforme Immobilien geben wird. 

ESG ist eines der zentralen Themen und eine große Herausforderung der Immobilienwirtschaft. Wie gut ist die Branche in Österreich auf das Thema vorbereitet?

Michael Jelencsits: Man muss da ein wenig differenzieren. Die Finanzmarkt-Teilnehmer sind auf jeden Fall schon gut aufgestellt. Große und mittlere Unternehmen befinden sich im Prozess und sind zum Teil auch schon weit fortgeschritten. Anders ist das bei kleinen Unternehmen oder kleinen Immobilienbesitzern wie Hoteliers oder Zinshausbesitzern. Da sehen wir aktuell steigende Nachfrage Richtung ESG, EU-Taxonomie und Nachhaltigkeit im Allgemeinen. Diese Gruppe wurde bislang auch von uns Beratern nicht wirklich fokussiert. Da ist noch einiges zu tun, weil man niemanden zurücklassen darf. 

Wie schwierig ist es für diese kleinen Unternehmen, die ein, zwei Immobilien haben, sich tatsächlich mit dem Thema auch erfolgreich auseinanderzusetzen? Die Anforderungen steigen ja generell, das sind aber keine Immobilien-Experten.

Jelencsits: Das ist ein wichtiger Punkt, den wir in vielen Bereichen sehen. Die Anforderungen steigen, es kommen neue hinzu, andere ändern sich. Dazu braucht es externe Unterstützung, um immer am aktuellen Stand zu sein, aber natürlich muss auch internes Know-how aufgebaut werden. Aber oft fehlen auch noch die Standardinstrumente, gerade für kleine Immobilienbesitzer. Es wird heuer eine neue EPBD, Energy Performance of Building Directive, in der EU geben. Die könnte diese Lücke schließen. Ich glaube, es wird auch ein Findungsprozess, bis alle Beteiligten wissen, welche Daten sie tatsächlich brauchen.  

Wie groß ist die Unsicherheit bei den kleinen Immobilienbesitzern?

Jelencsits: Die Unsicherheit ist noch relativ gering, weil die Konsequenzen nicht greifbar sind. Wir beobachten aber, dass mehr gewerbliche Mieter mit ihrer eigenen ESG-Strategie an die Eigentümer herantreten. Und auch die Banken erwarten im Zuge eine Kreditvergabe immer mehr Informationen.

Der Druck baut sich also von mehrere Seiten auf?

Jelencsits: Genau. Aktuell findet man noch Mieter für weniger gute Objekte, aber das wird sich ändern. Die Frage ist, ob es irgendwann, wie in Holland, ein Vermietungsverbot für Immobilien gibt, die nicht nachhaltig sind. 

Um die Nachhaltigkeit zu belegen, braucht es Daten. Im Neubau sind diese meist relativ leicht verfügbar. Anders ist es im Bestand. Wie schwierig ist es generell, den Bestand ESG-fit zu machen?

Jelencsits: Bestand kann vieles sein, vom Gründerzeithaus bis zur zehn Jahre alten Immobilie. Im Gewerbebereich ist die ESG-Fähigkeit mit etwas Willen und Augenmaß herzustellen. Allerdings wird es nie eine Lösung von der Stange geben.

Im Wohnbau ist die Situation eine andere. Da geht es vor allem um eine Kosten-Nutzen-Thematik. Von den Investitionen hat der Eigentümer wenig, außer dass er es vielleicht machen musst. Dazu kommt, dass die Datenschutzgrundverordnung eine Datenerfassung gerade im Wohnbau schwierig macht. Ich bin aber überzeugt, dass sich hier die Gesetzeslage ändern müssen wird. Für den Eigentümer ist es ja auch gar nicht so interessant, was der einzelne Mieter verbraucht, sondern wie seine gesamte Immobilie im Vergleich zu anderen performt und wo Optimierungen möglich sind.

Noch gibt es diese Daten kaum, aber viele Start-ups widmen sich aktuell dem Thema Daten im Bestand. Eine zentrale Herausforderung wird aber, die Professionisten zu bekommen, um Maßnahmen auch umzusetzen. Wenn man in den nächsten Jahren den Bestand in Europa umstellen will, stellt sich auch die Frage, ob es überhaupt genug Wärmepumpen gibt und genug Personal, um sie zu installieren. 

Was wird Gebäuden passieren, die aus dem einen oder anderen Grund nicht ESG-fit gemacht werden können?

Jelencsits: Das wird man sich ansehen müssen. Der Fokus liegt sicher eher auf dem Neubau und dem neueren Bestand. Ein Gründerzeithaus ist ja ein sehr nachhaltiges Objekt, wird aber nie taxonomiekonform sein, weil die energetische Performance nicht reicht. Hier wird sicher nachgebessert werden. Das hat man auch bei anderen EU-Richtlinien schon gesehen. Es wird aber auch einen Markt für nicht-ESG-fitte Gebäude geben. Es wird Unternehmen geben, die sich genau darauf spezialisieren, diese zu finden, taxonomiefit zu machen und dann erneut am Markt zu platzieren. Aber noch fehlen die Konsequenzen. Die EU hat die Richtlinie so gestaltet, dass es Marktnachteile gibt und der Kapitalmarkt das Problem lösen soll, ohne echte Strafen. Ob das klappt, wird die Zukunft zeigen. 

ESG bedeutet eine Unmenge an Daten. Diese können aber natürlich auch anderweitig verwendet werden. Was kann man daraus machen? Wie kann aus Daten echte Information werden?

Jelencsits: Es wird auch darum gehen, die richtigen Daten in der richtigen Granularität zu sammeln. Früher hat man im 15-Minuten-Takt Energieinformationen gesammelt. Da hat man aber schnell erkannt, dass der Mehrwert dieses Aufwands nicht lohnt. Man darf auch nicht vergessen, dass das Ziel ist, energieeffizienter zu werden. Wenn man jetzt immer mehr Rechenzentren braucht, um diese Daten zu verarbeiten, ist das kontraproduktiv.

Wie man die Daten nutzen kann, ist stark abhängig von der Assetklasse. Bei Smart-Building-Konzepten sieht man, dass sich die Performance durch Sensoren stark verbessern lässt; dass nur gereinigt wird, wenn ein Raum tatsächlich genutzt wurde und sich die Lüftungsanlage ausschaltet, wenn niemand mehr da ist.

Viel ist schon darüber spekuliert worden, wie ESG die Immobilienbranche verändern könnte, was ist Ihre Sichtweise? Worauf müssen wir uns einstellen? Wird ESG die Branche revolutionieren?

Jelencsits: Mit der Veröffentlichung der EU-Taxonomie ist das Thema explodiert. Mittlerweile ist eine gewisse Selbstverständlichkeit eingekehrt. Es gibt heute keine Ankaufsprüfung ohne ESG Due Dilligence. Dazu gibt es eine starke Tendenz in Richtung Green-Building-Zertifizierungen. Auch der Energieausweis war anfangs sehr umstritten und gefürchtet. Heute ist das kein Thema mehr. Das wird bei ESG wahrscheinlich auch der Fall sein. Auch deshalb, weil aufgrund der enorm hohen Energiepreise eine nachhaltige Energieversorgung auch einen Wettbewerbsvorteil darstellt und wir heute ganz andere Amortisationszeiten haben.

(Titelbild: Drees & Sommer)

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