Samstag, April 20, 2024

Der Auftragnehmer (AN) hat im Bauvertrag zwar primär seine eigenen Leistungen mangelfrei zu erbringen, jedoch trifft den AN auch eine werkvertragliche Warnpflicht gegenüber dem Auftraggeber (AG). Start der neuen Serie: »Prüf- und Warnpflichten«. 

Gegenstand der Warnpflicht

Der AN ist für das Misslingen des Werkes infolge offenbarer Untauglichkeit des vom AG gegebenen Stoffes oder offenbar unrichtiger Anweisungen des AG für den Schaden verantwortlich, wenn er den AG nicht gewarnt hat (§ 1168a ABGB). Der Begriff des »Stoffes« ist weit auszulegen. Es fällt darunter alles, aus dem oder mit dessen Hilfe ein Werk herzustellen ist (im Bauvertrag vor allem beigestellte Materialien und Vorleistungen sowie Bausubstanz). Eine »Anweisung« liegt vor, wenn der AG die Art der Herstellung des Werks konkret und verbindlich vorgibt (im Bauvertrag vor allem zur Verfügung gestellte Ausführungsunterlagen, wie etwa Pläne, Gutachten etc. sowie ausdrückliche Anordnungen).

Eine Warnpflicht besteht nur dann, wenn die Untauglichkeit/Unrichtigkeit »offenbar« ist. »Offenbar« ist alles, was der AN bei der vorausgesetzten Sachkenntnis erkennen muss. Dabei ist er für die Anwendung der in seinem Beruf üblichen Sorgfalt i. d. R. als Sachverständiger (§§ 1299f ABGB) anzusehen, sodass er für die Sorgfalt eines Fachmannes seiner Profession nach den Regeln der Technik einstehen muss (objektiver Sorgfaltsmaßstab); auf subjektive Fähigkeiten oder Kenntnisse des AN kommt es nicht an.

Umfang der Prüfpflicht

Bei der Beurteilung des Sorgfaltsmaßstabs stellt sich regelmäßig die Frage, ob den AN auch eine Prüfpflicht trifft. In der werkvertraglichen ÖNORM B 2110 und B 2118 sind hierzu konkretisierende Bestimmungen enthalten (Pkt. 6.2.4.3). Demnach gelten Mängel, zu deren Feststellung umfangreiche, technisch schwierige oder kostenintensive Untersuchungen oder die Beiziehung von Sonderfachleuten erforderlich sind, nicht als erkennbar. Diese Regelung entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung. Es besteht daher eine eingeschränkte Prüfpflicht des AN, wobei die wirtschaftlichen Aspekte des Einzelfalles zu berücksichtigen sind. Bei der Warnpflicht handelt es sich um eine vertragliche Nebenpflicht des AN, die nicht gesondert vergütet wird. Überschreitet die notwendige Prüfung den wirtschaftlichen Rahmen, ist diese gesondert zu beauftragen und zu vergüten. Der AN ist nicht verpflichtet, auf eigene Kosten einen Spezialisten beizuziehen oder ein Gutachten einzuholen. Die Prüfpflicht (nicht aber die Warnpflicht) ist auf jene Stoffe und Anweisungen beschränkt, die die Leistungsbringung des AN betreffen. 



Umfang der Warnpflicht

Der Umfang der Warnpflicht ist durchaus weit gefasst. Es ist nicht nur ein sachkundiger, sondern sogar ein sachverständig beratener/vertretener AG zu warnen. Die Warnpflicht entfällt nur dann, wenn ein Dritter den AG zum selben Sachverhalt bereits gewarnt hat oder die Untauglichkeit/Unrichtigkeit sogar für einen Laien leicht erkennbar ist. Den AN trifft zwar grundsätzlich nur im Rahmen seiner eigenen Leistungspflichten eine Prüf- und Warnpflicht. Er muss den AG aber auch warnen, wenn ihm aufgrund seines Fachwissens ohne besondere weitere Untersuchungen etwa auffällt, dass nicht sein Gewerk betreffende Vorleistungen technisch unrichtig erbracht oder allgemeine anerkannte Regeln der Technik verletzt wurden.

Fazit

Der AN hat bei offenbarer Untauglichkeit von Stoffen (im Bauvertrag vor allem beigestellte Materialien und Vorleistungen sowie die Bausubstanz) und bei offenbarer Unrichtigkeit von Anweisungen (im Bauvertrag vor allem Ausführungsunterlagen und ausdrückliche Anordnungen) zu warnen. Die Offenkundigkeit bestimmt sich i. d. R. nach dem objektiven Sorgfaltsmaßstab eines Fachmanns (Sachverständigenhaftung). Es besteht eine eingeschränkte Prüfpflicht hinsichtlich der die Leistungserbringung des AN betreffenden Stoffe und Anweisungen. Die Beiziehung externer Spezialisten ist nicht erforderlich. Der AN hat auch dann zu warnen, wenn ihm nicht sein Gewerk betreffende Mängel auffallen. Eine Warnung kann nur dann entfallen, wenn der AG bereits gewarnt wurde oder der Mangel für jedermann offenkundig ist.


Die Autoren

Katharina Müller ist Partnerin bei Müller Partner Rechtsanwälte mit den Beratungsschwerpunkten Baurecht, Claimmanagement und Konfliktlösung.
Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Mathias Ilg ist Juniorpartner bei Müller Partner Rechtsanwälte und spezialisiert auf Baurecht, Claimmanagement und Konfliktlösung.
Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

www.mplaw.at

 

Meistgelesene BLOGS

Nicole Mayer
26. Jänner 2024
Der Bewerb um die höchste staatliche Auszeichnung für Unternehmensqualität in Österreich ist eröffnet. Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft (BMAW) sucht Quality Austria wieder...
Firmen | News
01. März 2024
Unter dem Motto „Mission Zukunft - Transformation der Wirtschafts- und Energiesysteme" veranstalten die Deutsche Handelskammer in Österreich in Kooperation mit Fraunhofer Austria Research das Deutsch-...
Alfons A. Flatscher
02. Jänner 2024
... das Alte geht. Die Welt ist im Wandel. Wir wandeln uns mit. Der REPORT ist im Wandel und erscheint in neuem Kleid: Mit neuem Layout, auf besserem Papier und mit einer Weiterentwicklung des inhaltl...
Firmen | News
25. März 2024
Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel und Künstliche Intelligenz (KI) spielt dabei eine entscheidende Rolle. Unternehmen weltweit erkennen zunehmend die Bedeutung von KI für ihre Produktivität und W...
Katharina Bisset
07. Februar 2024
Ab 14. Februar 2024 müssen alle Pflichten des Digital Services Act von betroffenen Unternehmen umgesetzt werden – aber was bedeutet dies konkret? Der Umfang der Pflichten hängt davon ab, welche Dienst...
Alfons A. Flatscher
26. Jänner 2024
Ganz oben auf der Agenda unserer Leser*innen steht: Neues schaffen! Wir haben gefragt, 150 Leser*innen haben uns qualifizierte Antworten geliefert. (Zum Artikel: Chancen überall, nicht erst ab 2025) D...
Mario Buchinger
22. Jänner 2024
In der Consulting- und Coaching-Branche gibt es sicher einige Leute, die kompetent Organisationen unterstützen können. Aber viele der Coaches und Consultants nützen meist nur sich selbst. Worauf Unter...
Nicole Mayer
30. Jänner 2024
Durch den rasanten Fortschritt der digitalen Transformation und den zunehmenden Einsatz von Informationstechnologien wird die (Informations-) Sicherheit sensibler Unternehmensdaten immer wichtiger. Or...

Log in or Sign up