Montag, April 29, 2024

Im Rahmen der Future Brick Days von Wienerberger sprach Elisabeth Endres, Leiterin des Instituts für Bauklimatik und Energie der Architektur an der TU Braunschweig, über »Klimaneutrales Bauen: Leistbarer Luxus oder notwendige Verpflichtung?«. Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report erklärt sie, welche Aspekte ein Gebäude wirklich nachhaltig machen, warum wir uns nicht zu sehr von der Technik abhängig machen sollten und warum die »Energie der Architektur« kein Feng Shui ist.

Titelbild: »Wir dürfen nicht nur an der Effizienz der Gebäudehülle schrauben, das ist der große Irrweg, in den wir aktuell laufen«, sagt Elisabeth Endres. (Credit: Institut für Bauklimatik)

Report: Sie leiten das Institut für Bauklimatik und Energie der Architektur an der TU Braunschweig. Was sind für Sie die zentralsten Aspekte eines nachhaltigen Gebäudes? Was macht ein Gebäude aus Ihrer Sicht nachhaltig?

Elisabeth Endres: Das ist zum einen die Dauerhaftigkeit. Ein Gebäude, das flexibel und resilient gegenüber Nutzungsveränderungen oder auch klimatischen Bedingungen ist, ist nachhaltig. Da können wir viel von alten Gebäuden lernen, die über Jahrhunderte unterschiedlich genutzt werden. Auch unser Büro ist in einer alten Scheune, die über die Jahre schon sehr viel geleistet hat. Sie war Scheune, Getränkemarkt und jetzt Büro. Wenn ein Haus lange hält und unterschiedlichen Anforderungen standhält, ist es nachhaltig. Das andere ist die Materialität. Wir müssen Materialien einsetzen, die kreislauf- und reparaturfähig sind. 

Report: Wenn Sie sagen, wir könnten viel von alten Gebäuden lernen: Wann haben wir denn verlernt so zu bauen wie früher?

Endres: Das hat vor allem mit Wissen und Technologie zu tun. Lastschwankungen im Gebäude können durch technische Systeme ausgeglichen werden.  Auch durch die Möglichkeit, mit Stahl und Glas Hochhäuser zu bauen, hat sich das Bauen verändert. Dadurch, dass wir das alles können, sind auch die Komfortanforderungen gestiegen. Durch diese technologischen Fortschritte in der Bautechnik und den haustechnischen Anlagen sind wir heute frei in der Gestaltung. Wir können alles bauen, ob das auch effizient ist, ist eine andere Frage. Dazu kommt, dass Materialien global verfügbar sind. Wir müssen also nicht mehr traditionell mit regional verfügbaren Baustoffen bauen. 

Report: Während technologisch immer mehr möglich ist, viele Gebäude mit Sensoren zugepflastert sind und alles automatisch gesteuert wird, liegt der Fokus Ihres Instituts auf der Einfachheit der Strukturen und Systeme und auf Lowtech-Konzepten. Wie wenig ist genug?

Endres: Es geht darum, robuste Gebäude zu bauen. Ein Gebäude darf nicht versagen, wenn eine Technik ausfällt. Das ist der Grundansatz von Lowtech und Robustheit. Eigentlich reicht ein Fenster und eine nicht vollverglaste Wand, um Komfort zu liefern. Das hat ja auch Dietmar Eberle mit seinem Gebäude 2226 bewiesen. Aber wenn wir immer tiefere Grundrisse bauen und uns von Außenbedingungen und Nutzerverhalten unabhängig machen wollen, dann brauchen wir Technik, die diese Performance-Gaps ausgleicht.  

Report: Wenn man über Nachhaltigkeit spricht, ist man schnell bei dem Thema Baustoffe. Die Diskussion, welcher Baustoff am nachhaltigsten ist, gibt es, seit es den Begriff der Nachhaltigkeit gibt. Wie ist Ihre Sicht? Welcher Baustoff ist am nachhaltigsten oder kann am besten dazu beitragen, ein Gebäude nachhaltig zu machen?

Endres: Unterschiedliche Baukonstruktionen haben unterschiedliche Eigenschaften. Das zu pauschalisieren ist schwierig. Die Speichermasse und Massivität von Baustoffen hilft, Lastschwankungen auszugleichen, ohne mit Technik gegensteuern zu müssen. In unserem Institut arbeiten wir aktuell an aktivierten Lehmwänden. Lehm ist ein Baustoff, der v.a. in Zusammenhang mit Holz nicht zu unterschätzen ist, aber in der Fertigung bei weitem nicht so entwickelt wie andere Baustoffe.  

Es ist aber nicht so, dass nur Holz nachhaltig ist. Ich sehe die Vielfalt der Konstruktionen. Bauen sollte einfach sein, auch in der Konstruktion, um später reparierbar zu sein. Die Vielschichtigkeit, die wir heute bauen, liefert auch jede Menge Fehlerquellen. Man soll es nicht übertreiben mit Schichten und Kleben und Dichtigkeitsbändern und was es nicht alles gibt. In solche Gebäude kann ich im Nachhinein nur mit hohem Aufwand oder gar nicht eine Fenster einbauen, ohne diese fragilen Strukturen zu zerstören.

Wir dürfen auch unser Wissen über Baukonstruktionen nicht verlieren, weil wir nur auf Holz oder Beton mit mineralischer Dämmung setzen. Deshalb bin ich auch gegenüber vielen Förderungsmaßnahmen sehr skeptisch, weil sie sie Konstruktionsarten, die zu unserer Baukultur gehören und berechtigt sind, ausschließen.

»Wir müssen Materialien einsetzen, die kreislauf- und reparaturfähig sind,« ist Elisabeth Endres überzeugt.

Report: Welche Rolle können und müssen BIM und die integrale Planung spielen?

Endres: Bauen ist sehr komplex, daher ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit enorm wichtig und das in einer sehr frühen Konzeptphase. Es geht darum, Konsequenzen abzuhandeln. Das Ziel muss sein, auf einem starken Konzept aufzubauen. Dafür kann BIM ein wichtiges Werkzeug sein, das uns vieles erleichtert, es kann aber nicht das Prinzip festlegen, nach dem ein Haus gebaut wird.

Architektur und Fachplanungen müssen noch viel besser miteinander kommunizieren. Wenn man in den hinteren Leistungsphasen Fehler ausbügeln muss, Dinge, die man vorher nicht bedacht hat, anders machen muss, verträgt das kein Haus und auch kein Planungsteam. Dann kracht es. Deshalb muss das alles in einer Phase Null festgelegt werden. Die Digitalisierung könnte und so viel helfen, wenn ich etwa an Simulationsmodelle denke. Das sollte selbstverständlich sein, ist es aber längst noch nicht.

Report: Das Bauwesen ist für 40 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Wo muss man den Hebel ansetzen? Mit welchen Maßnahmen könnte man die größte Wirkung erzielen?

Endres: Ich denke nicht, dass der Wasserstoff in den Kellern der Wohnhäusern die Lösung ist, sondern für größere Strukturen wie Netze in der Stadt oder der Industrie große Potentiale bietet. Wichtig ist die Sektorenkopplung Wärme und Strom sowie die Bilanzierung nach dem Verursacherprinzip.

Wir müssen lernen, regenerative Energien auch für die Herstellung von Baustoffen einzusetzen, um auf die vielfältigen Anforderungen unterschiedlicher Nutzungen und Klimabedingungen reagieren zu können. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen keine Baustoffe verschwinden, sondern der Herstellungsprozess muss optimiert werden. Mit neuen Technologien wie dem 3D-Druck sieht man, wie man energieintensive Baumaterialien äußerst effizient einsetzen kann.

Das bringt mich auch zum Namen unseres Instituts, »Energie der Architektur«. Das ist ja kein Feng Shui, wie Kollegen befürchteten als ich das Institut umbenannt habe (lacht). Sondern es geht darum, dass unsere Arbeit bestimmt, wie viel Energie ein Gebäude im späteren Betrieb braucht, wie viel Energie es erzeugt und wie viel Energie in den Baumaterialien steckt. Allerdings müsste beim letzten Punkt die Baustoffindustrie transparenter werden. Wir dürfen nicht nur an der Effizienz der Gebäudehülle schrauben, das ist der große Irrweg, in den wir aktuell laufen. Es ist nicht zielführend, Lüftungstechniken zum vermeintlichen Energiesparen einzusetzen, weil Menschen einfach gerne die Fenster öffnen.

Wir haben in Monitorings gelernt, dass mit diversen technischen Einbauten die Fehlerquellen sehr hoch sind und die Gebäude letztendlich im Betrieb viel schlechter dastehen als berechnet. Damit ist nichts erreicht. Man braucht viel Technik und Geld für die Wartung, aber am Zielkorridor haben wir vorbeigeschossen. Unsere Aufgabe ist, darüber nachzudenken, wie unsere Versorgungsstrukturen grüner werden können, in der Effizienz der Gebäudehülle sind wir mit der Optimierung fertig. 

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