Freitag, April 26, 2024
Nicht Schwarz oder Weiß

Leicht- und Massivbau versuchen gleichermaßen, mit Schlagworten wie Energieeffizienz und Nachhaltigkeit zu punkten. Für ein aussagekräftiges Ergebnis muss das Gesamtenergiebild eines Gebäudes unter die Lupe genommen werden.

Kein Baustoff, kein Energiestandard und somit keine Gebäudevariante dominiert alle Öko-Indikatoren, Hybrid gilt derzeit als die beste Lösung. Baustoffe übernehmen oft mehrere Funktionen wie Statik, Wärmedämmung und Brandschutz. Laut Gabriele Leibetseder, Vizepräsidentin von BAU.GENIAL und Leiterin Vertrieb und Technik bei Isocell, ist Hybrid eine Lösung, in der die statischen Vorteile von Beton genutzt und die CO2-Bilanz des Gebäudes durch die Holzbauhülle verbessert wird. Der alleinige Vergleich der spezifischen Werte ist nicht sinnvoll.

Pro Massivbau

Vielfach wird die »graue Energie«, d.h. der Energieaufwand rund um Herstellung, Transport, Lagerung und Entsorgung eines Produktes im Energiebild eines Gebäudes größtenteils ausgeblendet. Augenmerk gilt der Betriebs­energie, d.h. Heiz- und Kühlenergie-, Strombedarf, Wartungsaufwand, Langlebigkeit und Funktionalität. Richtig eingesetzt kann aber laut Johann Marchner, Geschäftsführer Wienerberger, mit energieintensiven Baumaterialien viel für das Klima getan werden. Die Vorzüge von Stahl liegen in der vergleichsweise einfachen Montage und Demontage, der Schlankheit von Konstruktionen und der Recycelbarkeit. Die Zementindustrie ist zwar weltweit für fünf Prozent des anthropogenen CO2-Ausstoßes verantwortlich.

Bild oben: »Bei der Herstellung von Zement fallen CO2-Emissionen an, im Hinblick auf die Graue Energie schneidet der Baustoff Beton im Vergleich jedoch hervorrragend ab«, informiert Claudia Dankl, stellvertretende Geschäftsführerin der VÖZ. Auch über den Lebenszyklus betrachtet ist Beton mit anderen Bauweisen gleichwertig, hier sind Faktoren wie der Energiestandard des Gebäudes und die Art der Energieversorgung entscheidend.

Beton speichert aber hervorragend Wärme, weshalb gerade in der Solararchitektur oft Betonwände oder -decken eingebaut werden – ebenso Ziegel, besonders in der monolithischen Variante. Betonbauteile können außerdem sehr gut thermisch aktiviert werden und so zum energieeffizienten Heizen und Kühlen eingesetzt werden. Zudem dienen sie als Energiespeicher. Der energieintensiven Produktion steht eine längere Lebensdauer von massiv gebauten Gebäuden im Vergleich zum Leichtbau gegenüber. Und auch Beton ist wieder verwendbar und voll recyclefähig.

Bild oben: Wienerberger arbeitet mit einer Drei-Säulen-Strategie aus Energiemanagement, dem Einsatz erneuerbarer Energien und der Kompensation durch Klimaschutzprojekte an der Erreichung der Klimaneutralität. »Das erste Resultat dieser Initiative war im Frühjahr die Präsentation von Österreichs erstem klimapositiven Ziegel«, erinnert Geschäftsführer Johann Marchner.

Eine Studie des Klimaschutzministeriums hat ergeben, dass der Primärenergieinhalt nicht erneuerbarer Energieträger bei Ziegelgebäuden geringer ist als bei Holzgebäuden. Der Grund dafür sind die niedrigen Austauschraten von Bauteilen in der Nutzungsphase. »In der täglichen Planungs- und Ingenieurpraxis hat die Bilanzierung von grauer Energie nach wie vor keine Relevanz, noch weniger die Berücksichtigung von Infrastruktur in energetischer Hinsicht«, berichtet Bauphysiker Martin Ripka. Ein Kollege aus Norwegen arbeite regelmäßig mit einem Tool zur Bilanzierung von Grauer Energie, nennt Ripka ein Beispiel, aber selbst dort handle es sich um öffentlich geförderte Sonderprojekte, nicht um den Massenbau.

Einseitige Auslegung

»Der Energieausweis für jedes Gebäude enthält auch den GWP-Wert, das Global Warming Potential, aber er bleibt vielfach unbeachtet«, kritisiert Gabriele Leibetseder. Einige regionale Wohnbauförderungen würden den Wert schon berücksichtigen, aber dem GWP sollte endlich umfassende Berücksichtigung geschenkt werden. Auch wenn ein Gebäude durch eine hervorragende Wärmedämmung Betriebskosten einspart, müsse die Energie, die ursprünglich dafür aufgewendet wurde, beachtet werden. Als Ziel fordert Leibetseder die Senkung des Gesamtenergieverbrauchs, im Betrieb wie bei der Energie in den Baumaterialien. Nur mit diesem Ansatz könnten Bauprojekte objektiv und aus energetischer Sicht ganzheitlich betrachtet werden, hat bereits Christiane Wermke am Symposium Energieinnovationen der TU Graz festgestellt.

Bild oben: »Bei grauer Energie hat Holz bessere Werte als Beton, Beton performt bei Betriebsenergie gut. Es gilt kein Schwarz oder Weiß. Graue Energie ist ein wichtiger Punkt, man darf sie nicht gegenüber Betriebsenergie ausspielen«, fordert Franziska Trebut von der ÖGUT.

Mit immer effizienteren Gebäuden und sinkendem Real-Energieverbrauch würde der Anteil der Energie, die in den Baumaterialien verbaut wurden, aber bereits an Aufmerksamkeit gewinnen. Alles am Gebäude kann und sollte hinsichtlich Primärenergiebedarf und CO2-Emissionen optimiert werden, so Franziska Trebut. Dabei dürften die jeweiligen Einsparpotenziale aber nicht aus dem Fokus geraten. Flächenverbrauch, Kompaktheit, Langlebigkeit, Qualität der Gebäudehülle und vor allem die Standortwahl böten höheres Optimierungspotenzial als die eingesetzten Baustoffe.

Die ersten Kilometer mache man mit einer Standortwahl, die klimafreundliche Alltagsmobilität ermöglicht. Das sei vielen leider nicht bewusst, betont Trebut. Stichwort Kilometer: Neben Betriebs- und grauer Energie darf nicht auf die Alltagsmobilität vergessen werden, die einen großen Hebel zur Reduktion der CO2-Emissionen darstellt.

Erhebliches Einsparungspotenzial

Die Optimierung des Herstellungsaufwands für ein Gebäude und eine möglichst lange Nutzungsdauer sind ein wichtiger Bestandteil des ökologischen Bauens. Wesentlichen Einfluss darauf haben reduzierter Materialfluss, Energieaufwand und Emission bei der Herstellung der eingesetzten Baustoffe, die Verwendung langlebiger Materialien, ein grundsätzlich optimierter Materialeinsatz bei der Herstellung eines Gebäudes, aber auch bei dessen Instandhaltung und Erneuerung sowie eine möglichst lange Gesamtlebensdauer eines Objekts.

»Leichtbau schneidet in drei von vier Fällen schlechter ab als Massivbau«, betonte Christiane Wermke in Graz. Bei der grauen Energie besteht erhebliches Einsparungspotenzial, das bei der Beurteilung von Gebäudeentwürfen und innerhalb aktueller Fördersysteme kaum Beachtung findet. Wienerberger optimiert kontinuierlich: »Der Trocknungsprozess wurde z.B. durch neue Drehventilatoren effizienter gestaltet. Pro Ventilator konnte der Energieverbrauch bis zu einem Drittel reduziert werden«, informiert Johann Marchner.

Ein neuer Tunnelofen mit innovativem Konzept, den die TU Wien gemeinsam mit Ziegelherstellern entwickelt, soll die thermische Effizienz um rund zehn Prozent erhöhen und Gasverbrauch sowie CO2-Ausstoß entsprechend verringern. Im oberösterreichischen Werk Uttendorf wurde Ende 2019 die erste industrielle Hochtemperatur-Wärmepumpe in den Demobetrieb genommen. Im Vergleich zu konventionellen Gaskesseln haben Wärmepumpen das Potenzial, die Energieeffizienz um bis zu 80 Prozent zu steigern, CO2-Emissionen um bis zu 75 Prozent zu reduzieren und zudem bis zu 20 Prozent weniger Produktionskosten zu verursachen.


Studienzentrum Pinkafeld: Es gibt keine nachhaltigere Konstruktionsart

Vielfach wird davon ausgegangen, dass Leichtbauhäuser einen niedrigeren Energieverbrauch und eine geringe graue Energie aufweisen. Co-Heating Studien des Studienzentrums Pinkafeld haben diese Meinungen widerlegt. Im unbewohnten Zustand erreichen Massivhäuser viel bessere Werte als im bewohnten Zustand. Das Bewohnerverhalten im Massivbau muss sich von jenem im Leichtbau unterscheiden, z.B. anderes Heizverhalten, Wärmeverluste durch Lüften vermeiden, Thermostat nachjustieren. Insgesamt kann resümiert werden, dass es nicht »die« nachhaltigere Konstruktionsart gibt.

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