Sonntag, Mai 05, 2024
Vom Feuerwehrmann zum Brandmelder-Installateur

Die Generalsanierung des SVA Standorts Wien ist eines der ersten echten Lean-Construction-Projekte in Österreich. Dabei werden von Totalunternehmer Sedlak Arbeitsabläufe, Prozesse und Organisation völlig neu gedacht. Das Ergebnis sind weniger Nachträge, eine höhere Termintreue und mehr Produktivität am Weg zu einem gemeinsamen Ziel.

Es ist fast so etwas wie das Mantra der Branche: Die Bauwirtschaft hat eigene Gesetze, ist mit keinem anderen Wirtschaftszweig zu vergleichen und völlig einzigartig. »Das stimmt einfach nicht. Aber aufgrund dieser falschen Selbsteinschätzung sind wir fast schon resistent gegenüber Veränderungen und jeden Input, der von außen kommt«, erklärt Bernhard Herzog, Managing Partner bei M.O.O.CON und Leiter der Arbeitsgruppe »Hybrides Projektmanagement« der IG Lebenszyklus Bau. Entsprechend schwer tun sich Methoden und Instrumente, die in anderen Branchen erfolgreich eingesetzt werden, damit, in der Bauwirtschaft Fuß zu fassen. Das gilt auch für Lean Management bzw. Lean Construction. Das Thema ist zwar bei diversen Branchen-Events ebenso allgegenwärtig wie in Fachzeitschriften, allerdings meist auf einer sehr theoretischen Ebene.

In der Regel geht es um das ungeheure Potenzial, das in Lean Construction schlummert, und den Kulturwandel, der dadurch vermeintlich eingeläutet wird. Sucht man hierzulande konkrete Praxisbeispiel für Lean Construction, wird die Luft merklich dünner. Und nicht überall, wo Lean drauf steht ist auch Lean drinnen. Ein aktuelles Projekt, das auch einer kritischen Überprüfung standhält, ist die Generalsanierung des SVA Standorts Wien durch die Wilhelm Sedlak GmbH. Dabei werden Arbeitsabläufe, Prozesse und Organisation völlig neu gedacht. »Wir planen drei Wochen im Voraus auf Tagesbasis, darüber hinaus nur in Wochenzyklen«, erklärt Sedlak-Geschäftsführer Elmar Hagmann. Geplant wird von hinten, ausgehend von vom Auftraggeber definierten Meilensteinen. „Damit durchbrechen wir den Glaubenssatz, immer zu wissen, wie etwas geht“, sagt Hagmann.

Verschwendung vermeiden, Wertschöpfung erhöhen

Im Kern geht es bei Lean Management und Lean Construction darum, Verschwendung zu vermeiden. Dafür gibt es in der Bauwirtschaft enormes Potenzial, denn Verschwendung ist auf Baustellen allgegenwärtig. »Nur rund 60 Prozent der Tätigkeiten sind wertschöpfend«, weiß Hagmann. Der Rest sind nicht wertschöpfende Tätigkeiten wie warten, verteilen und auch lagern. Dazu kommt, dass im Bauwesen empirisch betrachtet nur zwischen 40 und 50 Prozent jener Aufgaben, die eingeplant und von den Professionisten zugesagt sind, auch tatsächlich zeitgerecht ausgeführt werden. Die Folge sind Verzögerungen und die Notwendigkeit, dass Gewerke parallel arbeiten. Die zwangsläufig daraus resultierenden gegenseitigen Behinderungen senken die Produktivität der Baustelle und erhöhen die Fehleranfälligkeit. Aus einer anfangs proaktiven Steuerung der Baustelle wird ein passives Reagieren.

Treffen im »Big Room«

Um die Termintreue und damit auch den Anteil der wertschöpfenden Tätigkeiten zu erhöhen, steht bei Lean-Projekten ein funktionierender Informationsfluss an oberster Stelle. Deshalb hat Sedlak sämtliche Subunternehmer vertraglich dazu verpflichtet, an regelmäßigen Lean-Besprechungen im so genannten »Big Room« teilzunehmen, einer Art Kommandozentrale zur Steuerung von Lean-Projekten. »Diese Besprechungen dauern maximal 1,5 Stunden, werden von uns als Leistungsposition bezahlt und sind keine Planungs-, sondern Bauproduktionsbesprechungen«, erklärt Hagmann.

Dabei werden die Arbeitsprozesse unter Leitung eines ­externen Moderators so lange gemeinsam erörtert, bis jeder seine Aufgaben kennt und weiß, wann welche Tätigkeit erledigt sein muss. Sämtliche Tätigkeiten und Abläufe werden visualisiert, und zwar gänzlich ohne digitale Lösungen, sondern analog mit Hilfe von Post-Its auf dem so ­genannten Pull Board. »In MS-Project lassen sich Tätigkeiten mit einem Klick verschieben. Wenn auf ­unserer Wand sämtliche Post-Its neu geklebt werden müssen, weil ein ­Unternehmen seine Zusagen nicht einhält, werden die enormen Auswirkungen einzelner Verschiebungen spürbar«, sagt Hagmann. Die Folge ist, dass die Ankündigungen der Subunternehmen zwar vorsichtiger, dafür aber realistischer sind. Zusätzlich gibt es transparente Pufferzeiten, die jedem zur Verfügung stehen, und die Subunternehmer haben auch deutlich mehr Mitspracherecht als bei klassischen ­Projekten.

»Subunternehmen wissen oft ja schon im Vorfeld, dass ihre Zusagen nicht halten werden. Bei uns werden die Subunternehmen stärker eingebunden und können mitentscheiden, wann sie mit wie vielen Mitarbeitern zur Baustelle kommen. Das muss dann aber halten«, sagt Hagmann. Damit konnte der Prozentsatz der termintreu ausgeführten Aufgaben auf bis zu 80 Prozent erhöht werden. Die Hauptgründe für nicht eingehaltene Zusagen sind »falsches Personal«, »zu wenig Personal« und »­warten auf Entscheidungen«, beliebte Ausreden wie »Wetter« spielen bei einem ehrlichen Umgang miteinander eine untergeordnete Rolle.

Nicht schnell, sondern sicher

Großen Wert legt Sedlak auf die Prozesssicherheit. »Nicht der schnellste Prozess führt uns ans Ziel, sondern der sicherste«, sagt Hagmann. Hindernisse müssen frühzeitig erkannt und beseitigt werden, um ein störungsfreies Arbeiten zu ermöglichen. Auch das ist Teil der Lean-Besprechungen. Natürlich gibt es wie bei allen Neuerungen auch Widerstand. Vor allem die Poliere müssen mit ins Boot geholt werden. »Viele Poliere sehen sich selbst als Feuerwehrmänner, die einen Brand nach dem anderen löschen. Das Ziel von Lean Construction ist aber, dass Brände gar nicht erst entstehen. Damit wird der Polier vom Feuerwehrmann zum Brandmelder-Installateur. Darüber ist nicht jeder erfreut«, weiß Hagmann.

Die Sanierung des SVA Standorts Wien zeigt aber, dass Lean Construction funktioniert. Das Gesundheitszentrum wurde fristgerecht Ende Mai fertig, das Hauptgebäude wird voraussichtlich im Oktober, einen Monat früher als geplant, übergeben. Weil Sedlak als Totalunternehmer auch eine Großküche errichtet und die Medizintechnik schlüsselfertig liefert, waren am Projekt rund 70 Subunternehmen beteiligt. »Dennoch gab es keinen einzigen Nachtrag wegen Behinderungen oder Stehzeiten«, sagt Hagmann. Die sieben Haupt-Subunternehmen, die vor diesem Projekt mit Lean Construction rein gar nichts am Hut hatten, wären laut eigener Aussage sofort wieder mit an Bord. Sedlak plant, in Zukunft bei jedem Neubauprojekt auf Lean Construction zu setzen. »Aber immer mit unterschiedlichen Werkzeugen, denn Lean Construction ist kein starres System«, so Hagmann. 

5 Grundwerte von Lean Construction

- Partnerschaftliche Zusammenarbeit
- Fließende Prozesse
- Fokus auf wertschöpfende Tätigkeit
- Vermeidung von Verschwendung
- Kontinuierlicher Verbesserungsprozess

Mehrwert durch Lean Construction

- Verbesserte Zusammenarbeit
- Kurze Kommunikationswege
- Weniger Nachträge
- Zeitersparnis

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