Donnerstag, Dezember 12, 2024
Multifunktionaler Gebäudemantel

Gebäudehüllen haben bisher drei wesentliche Entwicklungsstadien durchlaufen: reiner Witterungsschutz, optische Gestaltung und Wärmedämmung. Mit dem Bekenntnis zum nachhaltigen Bauen steht das Thema Multifunktionalität im Brennpunkt.

Von den aktuell rund 2,2 Millionen Gebäuden in Österreich wurden rund drei Viertel vor 1981 und nahezu 60 Prozent vor 1971 gebaut. Damit bietet sich großes Potenzial zur Energieeffizienzsteigerung durch thermische Bestandssanierung und gleichzeitig die Chance, Fassaden multifunktional zu gestalten.

»Die Gebäudehülle darf nicht auf Witterungsschutz, Ästhetik und Wärmeschutz beschränkt sein«, fordert Christian Fink, Leiter des Bereiches Thermische Energietechnologien und hybride Systeme bei AEE INTEC zu Beginn der Tagung Energieaktive Fassaden an der WKO. Die Gebäudehülle muss Energieumwandlung, Energiespeicherung und Energieabgabe vereinen. Es dominiert allerdings die rein thermische Sanierung von Bestandsgebäuden, im überwiegenden Fall mittels Wärmedämmverbundsystemen an den Außenwänden, Erneuerung der Fensterkonstruktionen sowie einer Dämmung der obersten Geschoßdecke. Vor allem im Wohnbau entscheiden wirtschaftliche Faktoren. Meistens stehen die niedrigen Investitionskosten der WDVS im Fokus, Folgekosten für Reinigung oder Instandhaltung, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Fassadenkonstruktion stehen, werden kaum berücksichtigt. Dazu Helmut Floegl, stellvertretender Leiter des Departments für Bauen und Umwelt an der Donau-Universität Krems: »Wir betrachten die Gebäudehülle lebenszyklisch, haben WDVS mit vorgehängten Fassaden verglichen.«

Bild oben: »Die Kopplung von Bau- und Gebäudetechnik in vorgefertigten Fassadenelementen besitzt das Potenzial, herkömmliche Sanierungsabläufe entscheidend zu vereinfachen, Kosten zu reduzieren und den Primärenergiebedarf deutlich zu senken«, erklärt Christian Fink von AEE INTEC.

Es sei richtig, dass die Errichtungskosten von WDVS, etwa mit EPS-F oder Mineralwoll-Dämmplatten deutlich geringer sind, etwa nur ein Drittel der Kosten für hinterlüftete Fassadensysteme wie z.B. Aluminium-Unterkonstruktionen mit Mineralwolldämmung und großformatigen Faserzementplatten, Alu-Verbundplatten, Alu-Sidings und Hochdruckschicht-Pressstoffplatten aufweisen. Aber die Folgekosten wie Reinigung und Pflege, Instandhaltung, Sicherung sowie Ver- und Entsorgung seien deutlich höher. Laut Studie der Donau-Universität Krems können sie das Drei- bis knapp Siebenfache der Errichtungskosten betragen.

Gefragt ist …

»Die Trends in der Forschung rund um die Gebäudehülle sind nicht nur geprägt vom Thema Klimawandel, sondern auch von Refurbishment, Smart Buildings und durch die Enge in den Ballungszentren«, fasst Heinz Ferk vom Labor für Bauphysik der TU Graz zusammen. Die größere Dichte in den Städten bringt Herausforderungen für die Bewohner und damit u.a. Forderungen an Stadtklima und Lärmminderung. »Hier sind wir mit ›Air Architects‹ an der Entwicklung von Strukturen aus gedrucktem Beton, die modular für begrünte Gebäudebereiche einsetzbar sein sollen«, betont Ferk. Aber auch schallabsorbierende Fassaden und Oberflächen sind zu erarbeiten, um schallharte Oberflächen im städtischen Raum zu reduzieren und damit zusammen mit dem künftigen elektrischen Verkehr die Schallbelastung zu vermindern. An der TU Wien läuft das Projekt »Greening Aspang«.

Professor Azra Korjenic: »Wir haben eine dicht bebaute Straße im Stadtzentrum untersucht, an vielen Oberflächen 60 Grad gemessen.« Schuld seien fast schwarze Fassadenteile, Betonblöcke statt Bäumen auf den Gehwegen und massive Balkone selbst vor Passivenergiehäusern. Den Ausweg sieht Korjenic in Fassaden-Begrünungssystemen. Grün ist auch die facade4zeroWaste, ein Projekt der TU Graz, das gemeinsam mit STO entwickelt wurde und mittlerweile unter »StoSystain R« läuft. Durch eine leistungsstarke Klettverbindung und ein justierbares Befestigungselement wird die Wetterschale mit dem tragenden Untergrund verbunden und ermöglicht so eine einfache Demontage nach der Nutzungsdauer sowie eine sortenreine Trennung und Widerverwertung der Hauptkomponenten.

Energieort Fassade

Bild oben: »Die Fassade wird leider noch nicht als Ganzes gesehen, sondern nur als Zusammenbau einzelner Bauteile. Es braucht mehr bauphysikalisches Verständnis«, fordert Helmut Floegl von der Donau-Universität Krems.

Multifunktionale Energiefassaden besitzen hohes synergetisches Nutzungspotenzial. Christian Fink: »Ich kann Energie direkt in den Raum holen, etwa wenn ich eine Kleinstwärmepumpe in die Fassade integriere.« Massive Wände können als Abgabesysteme für den Raum dahinter genutzt werden, sowohl in Bezug auf Wärme wie auch Kühlung. Dazu passt das Projekt SaLüH! der Universität Innsbruck, bei dem Lüftungs-, Heizungs- und Warmwasserkonzepte für die Sanierung von Mehrfamilienhäusern mit kleinen Wohnungen erstellt wurden, indem das Forscherteam Kleinstwärmepumpen in die bestehende Brüstung bzw. in eine vorgehängte Holzleichtbau-Fassade integrierte. Die Entwicklung von modularen Split-Wärmepumpen mit sehr kompakten und leisen fassadenintegrierten Außeneinheiten für Heizung und Trinkwarmwasserversorgung und optional Kühlung in Verbindung mit PV ist Ziel bei FiTNeS, das im November ebenfalls in Innsbruck gestartet wurde.

Projektleiter Fabian Ochs: »Das Konzept zeichnet sich dadurch aus, dass es eine modulare Bauweise mit einem hohen Grad an Vorfertigung ermöglicht und damit eine optisch attraktive, ökonomische und ökologische Lösung sowohl für Neubau als auch für die Sanierung darstellt.« Dem Thema integrierte Lüftung widmet sich auch das Projekt Multi-Aktiv-Fassade der Universität für Bodenkultur. Mit Wärmerückgewinnung, Passivhausfenstern und fassadenintegrierter Photovoltaik bildet diese einen vorgefertigten Baustein für die Gebäuderenovierung. Dadurch kann ein Passivhausstandard in der Sanierung erreicht und die Arbeitszeit in den Wohneinheiten auf einen bis zwei Tage verkürzt werden. Die smarte Eigenversorgung der Komfortlüftung aus PV-Ertrag und Ausgleichsbatterie samt Energiemanagementsystem bildet dabei die technologische Innovation. Die Vorfertigung kann auch eine Akzeptanzsteigerung erzielen sowie eine Erhöhung der Sanierungsrate, die derzeit in Österreich noch unter einem Prozent liegt.

Das trifft auch auf das Projekt HVACviaFACADE von AEE INTEC zu. Vorgefertigte Fassadenelemente integrieren die gesamte Gebäudetechnik, d.h. PV, Heizung, Lüftung sowie Ver- und Entsorgungsstränge. »Der wesentliche Vorteil ist, dass nichts aufgestemmt wird und die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Wohnungen während der Sanierung nicht verlassen müssen«, informiert Christian Liebminger von Projektpartner Kulmer Holz-Leimbau.

Weg zu Plus-Energie

Mit der richtigen Fassade ist weitgehend problemlos ein Plus-Energie-Standard zu erreichen. Dafür braucht es laut AEE INTEC eine Außenhülle mit Passivhauskomponenten, die gleichzeitige Integration von energieerzeugenden Aktivelementen wie thermischen Kollektoren oder PV sowie die Netzintegration für Strom und Wärme als Speicher- und Verteilfunktion. Hier ist z.B. auf das Forschungsprojekt Sinfonia derUni Innsbruck zu verweisen. Durch die Integration einer Lüftungsanlage in die Fassade soll in ausgewählten Stadtteilen von Innsbruck und Bozen der Energiebedarf um 40 bis 50 Prozent sowie der CO2-Ausstoß um 20 Prozent gesenkt und der Anteil regenerativer Quellen in der Strom- und Wärmeversorgung um 30 Prozent erhöht werden. Die Plus-Energie-Version der Donau-Universität Krems hört auf den Namen Cool-AIR. Das Projekt behandelt eine autonome modellbasierte prädiktive Regelung, die den thermischen Innenraumkomfort durch abgestimmte natürliche Nachtlüftung in Kombination mit tageslichtoptimierter Verschattung ohne vorhergehende Simulation und ohne Engineering-Aufwand in der Installation nach dem Plug & Play Prinzip regelt.

Einen reduzierten Energiebedarf strebt auch die TU Graz mit dem Projekt »ABS-Network – Aluminiumfassaden – Netzwerk Energieaktive Fassaden« an. Ziel ist die Entwicklung eines solarthermisch aktivierten Fassadenpaneels, eines STAF-Paneels, zur effektiven Nutzung von Sonnenenergie.


Bioenergiefassade

In Deutschland wurde Ende Oktober ein Glasfassadensystem mit integrierten Photobioreaktoren vorgestellt. In den von einer Nährstofflösung durchströmten Glasfassadenelementen werden Mikroalgen kultiviert, Wärme und Biomasse wird gewonnen. Die Bioenergiefassade ist mit einer thermischen Effizienz von 38 Prozent und einer Konversionseffizienz der Biomasse von acht Prozent mit herkömmlichen solaren Systemen vergleichbar. Die Bioenergiefassade wird als Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit der TU Dresden und den Projektpartnern Arup Deutschland, SSC, Pazdera und ADCO Technik realisiert. Im April 2019 soll das Projekt mit der Erstellung eines Prototypen im Maßstab 1:1 abgeschlossen werden.

CoolSkin

Großflächige Verglasungen, gestiegene Nutzungsanforderungen sowie veränderte klimatische Bedingungen fördern den Kühlbedarf von Gebäuden. Derzeit marktübliche Kühlsysteme verbrauchen große Mengen an großteils fossiler Energie und sind in ihrer technischen Planung und Umsetzung sowie der architektonischen Einbindung oftmals unbefriedigend. Mit COOLSKIN (Autarkes Kühlen über Gebäudehüllen) forschen das AIT und das Institut für Wärmetechnik der Technischen Universität Graz mit mehreren Wirtschaftspartnern an der Integration von Photovoltaik in dezentrale Systeme zur Kühlung von Innenräumen. Die auf die Fassadenfläche auftreffende Solarstrahlung wird dabei direkt oder zeitversetzt in Kühlenergie umgewandelt und an den dahinterliegenden Raum abgegeben. Fördergeber sind die FFG und der Klima- und Energiefonds.

Grüne Fassade

Die Wiener Umweltschutzabteilung (MA 22) hat gemeinsam mit einem Forschungsteam eine unkomplizierte, schnell einsetzbare Begrünungslösung für bestehende Gebäude entwickelt. Jedes Modul ist ein Gesamtpackage, das alle Anforderungen des Gebäudes und des öffentlichen Raumes erfüllt – bei vergleichsweise niedrigen Kosten. Ein einzelnes Basismodul sorgt je nach Pflanzenauswahl für ca. acht Quadratmeter Begrünung und wird für unter 2.000 Euro erhältlich sein.  
Die ersten 50 Grünfassadenmodule von der Stadt Wien werden zu Forschungszwecken unentgeltlich an Häuser in Innerfavoriten vergeben: Im Frühjahr 2019 können sich Interessierte im zehnten Bezirk für die Begrünungsmodule bewerben. Anschließend ist ein breiter Rollout auf das gesamte Stadtgebiet vorgesehen.

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