Im Rahmen des Kolloquiums »Zukunftsfragen des Baubetriebs« hielt Shervin Haghsheno, geschäftsführender Direktor des Instituts für Technologie und Management im Baubetrieb am Karlsruher Institut für Technologie, einen vielbeachteten Vortrag zum Thema Lean Construction. Die Anwendung des Lean-Management-Konzepts im Bauwesen hat das Potenzial, eine ganze Branche grundlegend zu verändern.
Der Begriff Lean Management bezeichnet die Gesamtheit der Denkprinzipien, Methoden und Verfahrensweisen zur effizienten Gestaltung der gesamten Wertschöpfungskette von Gütern und Dienstleistungen. Zurückzuführen ist der Begriff auf das Produktionssystem des japanischen Automobilherstellers Toyota unter der Leitung Taiichi Ohnos. Interessant ist, dass weder Ohno noch Toyota selbst den Begriff verwendet haben. Erstmals aufgetaucht ist Lean Management in einer Studie des Massachusetts Institute of Technology MIT, die das Produktionssystem von Toyota mit anderen Herstellern verglich. Dabei stellte sich unter anderem heraus, dass Toyota mit der Hälfte der Mitarbeiter die dreifache Produktivität, viermal kürzere Lieferzeiten und nur halb so lange Modellentwicklungszeiten vorweisen konnte als andere Hersteller. Deshalb wählten die Studienautoren den Begriff »lean«, schlank, für das Toyota-Modell. »Im Zentrum des Lean-Management-Ansatzes steht die Fokussierung sämtlicher Aktivitäten auf den Wert aus Sicht des Kunden. Einen wesentlichen Beitrag hierzu leistet das Konzept der Eliminierung jeglicher Art von Verschwendung im Produktionsprozess«, erklärt Haghsheno. Als größte Verschwendungspotenziale wurden bei Toyota Überproduktion, Wartezeiten, Transport, übermäßige Bearbeitung, Lagerhaltung, unnötige Bewegung von Arbeitern und Produktmängel identifiziert.
Das Lean-Prinzip
Am Beginn eines Lean-Prozesses steht die Definition des tatsächlichen Werts, den ein Produkt für den Kunden darstellt. Der Kunde soll zur richtigen Zeit am für ihn richtigen Ort das auf seine Bedürfnisse zugeschnittene Produkt in der bestmöglichen Qualität zu adäquaten Preisen bekommen. Dafür müssen sämtliche dafür nötigen Arbeitsprozesse erfasst und der sogenannte Wertstrom identifiziert werden, um wertschöpfende Tätigkeiten von nicht-wertschöpfenden Tätigkeiten zu unterscheiden. Danach folgt die Organisation der Produktion nach dem »Fluss-System«. Dabei werden für eine bedarfsorientierte Produktion Prozesse gekoppelt, Losgrößen minimiert und Kapazitäten und Aktivitäten harmonisiert. »Die Produktion selbst erfolgt nach dem Pull-Prinzip. Das bedeutet, dass eine Aktivität erst ausgelöst wird, wenn die Nachfolgeaktivität die Notwendigkeit hierzu anzeigt«, erklärt Haghsheno. Und schließlich steht über all dem das Streben nach Perfektion.
Lean am Bau
Überträgt man die Grundsätze des Lean Managements auf das Bauwesen, spricht man von Lean Construction. Dabei geht es vor allem um die Gestaltung und Steuerung der einzelnen Abschnitte im Bauprozess und die Beseitigung von Verschwendung von Zeit- und Materialressourcen. Ein konkreter Ansatz stammt von Jörg Kaiser von der TU Darmstadt. Demnach stehen »für eine Verbesserung eines flussorientierten Wertstroms die Verzahnung der einzelnen Gewerke sowie die Minimierung der Bauabschnitte im Vordergrund«. Die einzelnen Gewerke sollen so festgelegt werden, dass eine gleichmäßige Geschwindigkeit der Leistungserstellung erreicht wird. Das Pull-Prinzip führt dazu, dass in jedem Bauabschnitt nur ein Gewerk zur gleichen Zeit arbeitet und ein Bauabschnitt erst nach Fertigstellung freigegeben wird.
Ein wesentlicher Schwerpunkt von Lean Construction ist laut Haghsheno auch die Projektorganisationsform. Dabei geht es u.a um die frühestmögliche Einbindung von Planungs- und Ausführungsbeteiligten mit dem Ziel der gemeinsamen Entwicklung und Bearbeitung der Projektaufgabe und die Implementierung von Maßnahmen zur Förderung von Kooperation und Vertrauen unter den Beteiligten.
Veränderungspotenzial
Das größte Potenzial von Lean Construction ortet Haghsheno in einer veränderten Führungskultur, die den Respekt für den Menschen und Prinzipien wie Transparenz und Vertrauen im Umgang miteinander in den Vordergrund stellt. »Viel zu häufig fokussieren sich Anwender sehr schnell auf einzelne Methoden und Werkzeuge und versäumen es, die Potenziale, die im Bereich der Kultur anzusiedeln sind, auszuschöpfen.«
Lean Construction kann auch einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den Fokus auf die Prozessperspektive zu richten. Die aktuell vorherrschende Projektperspektive führe dazu, dass Erfahrungen aus einzelnen Projekten nicht konserviert und auf weitere Projekte übertragen werden. »Der starke Fokus im Lean Construction auf die Analyse und Verbesserung einzelner Prozesse bietet die Möglichkeit, projektübergreifendes Lernen als Standard in Organisationen zu implementieren«, ist Haghsheno überzeugt.
Um Lean Construction zum Durchbruch zu verhelfen, braucht es laut Haghsheno vor allem ein Bewusstsein für die enormen Potenziale, die in der Methode schlummern. Zudem brauche es entsprechende Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen sowie Referenzprojekte, um Lean Construction erlebbar zu machen. Dafür wurde in Deutschland schon im Jahr 2014 das German Lean Construction Institute gegründet, das Schweizer Pendant befindet sich derzeit in der Gründungsphase. Und auch für Österreich hat Gerald Goger, Professor an der TU Wien, im Rahmen des Kolloquiums ein entsprechendes Institut angekündigt.
Die 5 Grundprinzipien des Lean Managements
1. Den Wert aus Sicht des Kunden definieren: Das Produkt muss exakt auf die Bedürfnisse des Kunden ausgerichtet sein.
2. Wertstrom identifizieren: Welche Prozesse sind für die Erstellung der Leistungen vom Rohmaterial bis zum Kunden notwendig?
3. Fluss-Prinzip umsetzen: Prozesse koppeln, Losgrößen minimieren sowie Kapazitäten und Aktivitäten harmonisieren.
4. Pull-Prinzip einführen: Für eine bedarfsorientierte Produktion wird eine Aktivität erst dann ausgelöst, wenn die Nachfolgeaktivität die Notwendigkeit anzeigt.
5. Streben nach Perfektion: Kontinuierliche Verbesserung u.a. durch Feedback und Ideen von Mitarbeitern.