Sonntag, Mai 05, 2024
»Viele Bauunternehmen stecken technologisch noch in den 90er Jahren fest«

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report erklärt Christoph Weber, Horváth & Partner Management Consulting, was Globalisierung und Transparenz mit dem Produktivitätsdefizit zu tun haben, das die Bauwirtschaft gegenüber der produzierenden Industrie aufweist. Außerdem erklärt er, warum oft gerade die großen Konzerne Probleme mit der Digitalisierung haben und wie die Baustelle und das Bauunternehmen der Zukunft aussehen werden.

Report: In einer aktuellen Studie stellen Sie fest, dass die Produktivität der Bauindustrie mit der Produktivität der produzierenden Industrie nicht mithalten kann. Woran liegt das?
Christoph Weber: Die Globalisierung und der daraus resultierende internationale Wettbewerb haben die produzierende Industrie gezwungen, deutlich effizienter zu werden. Ein wichtiger Hebel dabei war die Standardisierung von Prozessen und Arbeitsweisen. Zudem gab es ein enormes Know-How Sharing zwischen Produktionsstandorten.

In Österreich haben wir zudem festgestellt, dass speziell bei den großen Bauindustrieunternehmen die Wertschöpfungstiefe durch die verstärkte Vergabe an Subunternehmen stark ausgedünnt wurde. Dadurch wurde auch die Wertschöpfung geringer.  

Report: Unter anderem durch das Bestbieterprinzip wird versucht, diese Subunternehmerketten zu reduzieren. Sehen Sie hier ein Umdenken bei den Unternehmen?

Weber: Ich glaube, dass es zu einem Umdenken kommen muss. Die Branche hat ja auch mit einem enormen Facharbeitermangel zu kämpfen. Es gibt immer mehr Baustellen, für die man schwer einen Subunternehmen findet. Konzerne werden deshalb Know-How und personelle Ressourcen der Sub-Unternehmen stärker integrieren. Die Unternehmen, die diesen Schritt bereits gesetzt haben, schreiben auch andere Gewinne.

Das Thema Inhouse-Personalleasing wird dabei sicher an Bedeutung gewinnen, um die Wertschöpfungskette wieder zu vertiefen und Wissensträger an sich zu binden. Zusätzlich wird Wissensmanagement für Unternehmen auch im operativen Bereich immer wichtiger. Wie viel Know-how steckt auf den Baustellen und in den Köpfen der Poliere und wie kann man dieses Wissen sichern und dem gesamten Unternehmen zur Verfügung stellen? Mit diesen Themen beschäftigen sich Unternehmen noch zu wenig.

Report: Sie haben den Druck durch die Globalisierung angesprochen. Die Bauwirtschaft ist eine eher regionale Brache, der es im Moment noch dazu recht gut geht. Braucht die Branche diese Anpassungen und diesen Paradigmenwechsel, den die produzierende Industrie erlebt hat, vielleicht gar nicht?

Weber: Es liegt in der Natur des Menschen, sich dann zu verändern, wenn es notwendig ist. Das gilt auch für viele Unternehmen. Der Druck war in der Vergangenheit sicher nicht so groß wie in anderen Branchen, das wird sich aber ändern. Immer mehr Unternehmen beginnen, sich mit dem Wandel der Bauindustrie intensiver auseinanderzusetzen und sich effizienter aufzustellen. Dann bleibt den anderen gar nichts übrig als mitzuziehen.

Report: Welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung?

Weber: Der Digitalisierung kommt natürlich eine große Bedeutung zu. Wir sehen heute schon kleine und mittlere Unternehmen, die bereits relativ weit sind. Auf der anderen Seite stehen die großen Konzerne, die sich oft schwer tun, weil sie sehr dezentral aufgestellt sind. Hier eine einheitliche IT-Landschaft aufzubauen dauert natürlich entsprechend länger. Aber auch das ist nur eine Frage der Zeit.

Es bleibt den Beteilig­ten gar nichts anderes übrig. Baustellen werden digital abgebildet, die Lieferanten und Subunternehmen werden sich in die digitale Landschaft der Konzerne und ARGE integrieren müssen.

Das Problem derzeit ist, dass viele Standardisierungen noch fehlen und viele Softwareprodukte noch nicht auf die Bauindustrie zugeschnitten sind.  

Report: Was sind die größten Effizienzhebel für die Bauwirtschaft?

Weber: Die größten Hebel sehe ich im Einkauf, in  der Operation Excellence und in der Schaffung vonTransparenz.

Report: Was genau verstehen Sie unter Transparenz?

Weber: Dass man auf der Baustelle zu jeder Zeit weiß, wer was wie zu tun hat, dass man den aktuellen Baufortschritt in Echtzeit kennt. Das betrifft sowohl die Baustellen Logistik, den Materialaufwand, als auch den Personal und den Geräteeinsatz. Wenn diese Informationen laufend digital erfasst, können Baustellen viel effizienter geplant und Fehler und Wartezeiten minimiert werden. Da muss die Zettelwirtschaft, wie sie jetzt herrscht, bald digitalen Lösungen weichen.

Was die produzierende Industrie stark gemacht hat, sind continuous improvement-Programme. Die Basis dafür sind Transparenz und eine entsprechende Fehlerkultur. Da ist die Bauindustrie meilenweit von der produzierenden Industrie entfernt. Dort wird großer Wert darauf gelegt, Fehler zu identifizieren, um sich zu verbessern. Das sehe ich in der Bauwirtschaft kaum.

Report: Wie kann diese Fehlerkultur Einzug halten in die Bauwirtschaft?

Weber: Es muss ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass man aus Fehlern lernen kann, dass durch die Identifizierung von Fehlern Potenziale gehoben werden können. Dieser Kulturwandel wird nicht von heute auf morgen stattfinden. Umso wichtiger ist es sofort damit zu beginnen.
 

Report: Ein weiteres wichtiges Thema Ihrer Untersuchung ist die Standardisierung. Jetzt argumentiert die Bauwirtschaft aber gerne damit, Prototypen zu schaffen.

Weber: Auch im Anlagenbau ist jede Großmaschine ein Prototyp. Dennoch sind viele Tätigkeiten standardisiert. Das bedeutet viel mehr Aufwand in der Planung und Bauvorbereitung, aber niemand würde auf die Idee kommen, eine neue Raffinerie ohne Stücklisten und exakte Pläne aufzusetzen und kein Kunde würde es abnehmen. Das ist in der Bauwirtschaft nicht so.

Baustellen werden noch viel zu oft als einzigartig angesehen, obwohl die Tätigkeiten seit vielen Jahrzehnten ähnlich geblieben sind.  Aber Standardisierung ist auch am Bau möglich, vor allem dort, wo es repetitiv ist. Gerade im Infrastrukturbereich, beim Straßen- und Schienenbau, gibt es enormes Potenzial. Fairerweise muss man aber auch dazu sagen, dass sich gerade in diesen Bereichen auch schon einiges tut. 

Report: Sie haben jetzt einige Punkte angesprochen, wo die Bauwirtschaft Aufholbedarf hat. Wie hoch schätzen Sie diesbezüglich die Anpassungsfähigkeit und Lösungskompetenz der Branche ein?

Weber: Anpassungsfähigkeit und Lösungskompetenz sind hoch. Jede Baustelle ist fast schon ein agiles Projekt. Die Frage ist aber vielmehr, wie kann ich gewisse Regeln einführen, um damit  eine Standardisierung zu erzielen. Die Freiheitsgrade reduzieren, um effizienter zu werden. 

Report: Wie sehen aus Ihrer Sicht die Baustelle und das Bauunternehmen der Zukunft aus?

Weber: Auf jeden Fall zentralisierter. Das bedeutet nicht eine Zentralisierung von Verantwortung, sondern eine Zentralisierung von Wissen, Methodik, Prozessen und Information. Die Baustelle selbst wird besser geplant sein, mit einer besseren Wissensübergabe von der Kalkulation bis zur Ausführung. Und die Baustelle wird auf jeden Fall automatisierter sein. Die Baugeräte selbst werden ihre Arbeitsstunden und Auslastung dokumentieren und automatisch Wartungs- und Instandhaltungspläne erstellen.

Pläne dafür gibt es in den Unternehmen viele, man blickt zum Teil auch schon weit in die Zukunft. Die meisten Bauunternehmen stecken jedoch in vielen Fragen der IT noch in den 90er Jahren. Dadurch gilt es, die IT Grundlagen für eine saubere Erfassung aller notwendigen Informationen im ersten Schritt aufzubauen.

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