Freitag, Mai 03, 2024

Der Facharbeitermangel ist auch in der Bauwirtschaft voll angekommen. Die Gründe sind sowohl die demografische Entwicklung als auch Versäumnisse der Vergangenheit – von Politik und Wirtschaft. Jetzt soll das Ruder herumgerissen werden.

Als der Bau & Immobilien Report vor genau einem Jahr den drohenden Facharbeitermangel in der Bauwirtschaft zum Thema machte, war das für die meisten Unternehmen noch eher ein akademisches Problem. Zwar berichteten einige Unternehmen speziell in hochspezialisierten Nischenbereichen von Schwierigkeiten bei der Rekrutierung, die breite Masse der Unternehmen hatte aber noch wenig Probleme, ihre offenen Stellen zu besetzen. Bestätigt wurde diese Einschätzung auch von einer Studie des Competence Center Bau des internationalen Beratungsunternehmens Mercuri Urval.

Demnach war für gerade einmal 26 Prozent der österreichischen Bauunternehmen der Facharbeitermangel ein großes Thema. Matthias Wohlgemuth, Geschäftsführer der Vereinigung Industrieller Bauunternehmungen Österreichs VIBÖ, warnte aber schon damals, dass eine positive Konjunkturentwicklung die Relevanz des Themas in kürzester Zeit deutlich steigern könnte. Wie schnell sich das Bild drehen kann, zeigen etwa die Beispiele Deutschland und Schweiz, wo die Bauwirtschaft nach dem Aufschwung der letzten Jahre schon länger händeringend nach dem passenden Personal sucht.

Bild: »Wir haben im Jahr 2016 ein Lehrlingsprogramm gestartet und setzen verstärkt darauf, unsere Facharbeiter der Zukunft selbst auszubilden«, erklärt Helmut Oberndorfer vom gleichnamigen  Fertigteilbau-Unternehmen.

Jetzt ist der wirtschaftliche Aufschwung auch in Österreich angekommen – und damit hat das Thema Facharbeitermangel auch in der Bauwirtschaft an Brisanz gewonnen. Johannes Dinhobl, seit Juni Vorsitzender des Ausschusses für Aus- und Weiterbildung der Bundesinnung Bau, bestätigt, dass der Facharbeitermangel auch aufgrund der hohen Anforderungen bei den Bauunternehmen angekommen ist. Auch laut AMS ist sowohl in einigen Berufen des Bauhaupt- als auch des Baunebengewerbes ein Facharbeitermangel festzustellen. So waren Ende Juni beispielsweise 130 freie Stellen für Betonbauer und 465 freie Stellen für Zimmerer ausgeschrieben, die Zahl der verfügbaren Jobsuchenden in diesem Bereich lag laut AMS deutlich niedriger. Auch bei den Dachdeckern, Bautischlern und Bauspenglern ist ein Mangel an Fachkräften zu beklagen.

Bei dem weiterhin zu erwartenden Konjunkturaufschwung rechnet das AMS auch damit, dass durch die steigende Nachfrage in einzelnen Berufsbereichen die Zahl der am Arbeitsmarkt rasch verfügbaren Fachkräfte knapp wird. Ende Juni haben Österreichs Betriebe der Bauwirtschaft dem AMS insgesamt 2.400 freie Stellen gemeldet, aber nur 1.700 Stellen konnten vom AMS besetzt werden.

Die Probleme

Auch ein gewichtiger Player wie das Fertigteilbau-Unternehmen Oberndorfer sieht sich aufgrund der aktuellen Personalstruktur mit einem drohenden Engpass konfrontiert. »Wir haben aktuell zahlreiche Mitarbeiter in hohem Alter, die in den nächsten Jahre in den wohlverdienten Ruhestand gehen können. Das führt allerdings auch dazu, dass wir dringend Fachkräfte benötigen, die jedoch nur sehr schwer zu rekrutieren sind«, erklärt Helmut Oberndorfer. Sowohl bei den Arbeitern als auch bei den technischen Angestellten gäbe es nur wenig Bewerbungen. »Und leider noch weniger geeignete Kandidaten«, weiß Oberndorfer.

Auch bei einem Industrieunternehmen wie Bitbau Dörr ist der Facharbeitermangel deutlich spürbar. »Einerseits gibt es in zentralen Bereichen wie Labor, Anlagenbau, Maschinenschlosserei und Mechatronik eine beschränkte Zahl an vorhandenen Fachkräften am Arbeitsmarkt, andererseits können die fachspezifischen Anforderungen unseres Unternehmens durch die allgemeine Ausbildung nur unzureichend abgedeckt werden«, erklärt Prokurist Markus Egger.

Bild: »Dem Facharbeitermangel entgegenwirken könnten wir durch ein Schließen der Einkommensschere zwischen Arbeitern und Angestellten, einer Attraktívierung der Weiterbildung und bessere Rahmenbedingungen für die Lehre«, sagt Schöck-Prokurist Peter Jaksch.

Aber auch im nicht-produzierenden Bereich tun sich Unternehmen oft schwer.  Manfred Blöch, Geschäftsführer beim FM-Spezialisten Facilitycomfort, berichtet von großen Schwierigkeiten, »Fachkräfte mit guten IT-Kenntnissen und kunden- und serviceorientierter Grundhaltung« zu finden. Auch Kältetechniker kämen aktuell einer aussterbenden Spezies gleich.

Aktuell noch wenig Probleme mit fehlenden Fachkräften hat hingegen Schöck Bauteile. Das liegt laut Prokurist Peter Jaksch auch am Produktionsstandort Pucking in Oberösterreich. »Wenn man im unmittelbaren Einsatzbereich eines gro­ßen Konzerns liegt, sieht die Sache anders aus. Dann findet man weder Facharbeiter noch Lehrlinge«, weiß Jaksch. Weil die Großkonzerne das Fachpersonal förmlich aufsaugen und KMU damit vor enorme Probleme stellen, nimmt Jaksch auch die Politik in die Pflicht. »Wenn sie Möglichkeiten für die Industrie schafft, sich in einem bestimmten Gebiet anzusiedeln und das auch dementsprechend fördert, ist das prinzipiell ja zu befürworten. Allerdings sollte dann schon auch darüber nachgedacht werden, wie es mit Personalressourcen im Einzugsgebiet aussieht. Die Lösung sollte nicht sein, dass bereits angestammten Betrieben dann die Mitarbeiter abhanden kommen«, so Jaksch.

Wenig Lehrlinge

Wenn man über das Thema Facharbeitermangel spricht, muss man auch über die Lehrlingsausbildung sprechen.  Laut Statistik der BUAK hat die Zahl der Lehrlinge in der Bauwirtschaft in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen. Wurden im Jahr 2010 österreichweit noch 7.900 Lehrlinge ausgebildet, waren es 2016 nur noch 6.015. Das entspricht einem Rückgang von 23,86 Prozent. Im Mai 2017 beschäftigte die österreichische Bauwirtschaft exakt 133.587 Mitarbeiter. Damit liegt die Lehrlingsquote in der Bauwirtschaft bei 4,5 Prozent. Zum Vergleich: Im Handwerk liegt die Lehrlingsquote laut Wirtschaftskammer bei 6,9 Prozent.

Dennoch lässt der Lehrlingsbeauftragte der Bundesinnung Bau, Johannes Din­hobl, den Vorwurf nicht gelten, dass die aktuelle Situation auch ein Stück weit hausgemacht ist. »Davon kann keine Rede sein«, sagt Dinhobl. Die Initiativen der Baubranche mit dem trialen Ausbildungssystem, Weiterbildungsmöglichkeiten und der aktuellen Lehrlingskampagnen könnten sich mehr als sehen lassen. »Erst im Juni wurde die Lehrlingsprämie für ausbildende Betriebe erhöht«, sagt Dinhobl. Mitgliedsbetriebe der Bundesinnung Bau und des Fachverbandes der Bauindustrie erhalten künftig 2.000 Euro pro Bau-Lehrling und Lehrjahr. 

Es sind vor allem die demografische Entwicklung und der Trend zur weiterführenden Schulausbildung, die das Potenzial an geeigneten Lehrlingskandidaten immer kleiner werden lassen. »Dieser Schulwahn muss gebremst werden«, fordert Dinhobl. Die Lehre biete hervorragende Karrierechancen. Dennoch scheint der Trend zu weiterführenden Schulen unaufhaltbar zu sein. Dinhobl nimmt deshalb auch die Politik in die Pflicht. »Wenn es in der Unterstufe keine negative Beurteilung mehr gibt und Schüler einfach in die Oberstufe durchrutschen, muss man das sehr kritisch sehen.«

Dinhobl räumt aber auch ein, dass viele Unternehmen aufgrund der konjunkturellen Lage der letzten Jahre vorsichtiger bei der Aufnahme von neuen Lehrlingen wurden. »Zwar stimmen die aktuellen Wirtschaftsdaten deutlich positiver, allerdings ist diese Entwicklung erst seit kurzem spürbar«, so Dinhobl. Dazu komme, dass die vielen ausländischen Firmen in Österreich kaum Lehrlinge ausbilden.

Aktive Unternehmen

Tatsächlich scheinen die Unternehmen die Erholung der Wirtschaft zu nutzen, um die Ausbildung zu forcieren. Bei Oberndorfer wurde ein eigenes Lehrlingsprogramm gestartet, um »Facharbeiter der Zukunft selbst auszubilden und den Stellenwert des Lehrlings bzw. der Mitarbeiter mit einer Lehrausbildung noch mehr zu heben«. Weiters bietet Oberndorfer zahlreiche Sozialleistungen und attraktive Angebote für Bewerber. »Die Ausbildung zum Facharbeiter und auch die Berufe selber müssen wieder attraktiver gehandelt werden«, so Oberndorfer.

Auch bei Bitbau Dörr weiß man, dass seitens der Unternehmen ein Umdenken nötig ist. »Ein Paket bestehend aus intensiver und gut organisierter Einschulung, Eigenverantwortung, gutem Betriebsklima und entsprechendem Qualifizierungsangebot kann das Interesse wecken und in Folge dem Fachkräftemangel entgegenwirken«, so Egger. Die Besetzung von Spitzenpositionen durch eigene, im Unternehmen ausgebildete Mitarbeiter und die Möglichkeit, auch innerhalb des Unternehmens den Arbeitsbereich zu wechseln, schaffe Vertrauen und motiviert.

Auch bei der Facilitycomfort will man künftig verstärkt Lehrlinge ausbilden und den Fokus auf die interne Weiterbildung legen. Außerdem will man auch ver­stärkt Frauen für technische Berufe gewinnen. »Leider ist es immer noch so, dass wir kaum weibliche Bewerber haben, viele Frauen immer noch klassische Berufe bevorzugen«, kritisiert Blöch.

Um mehr Frauen für einen technischen Bildungsweg zu begeistern, sei auch die Politik gefragt. »Wir müssen das gesellschaftliche Bild und das tradierte Rollenverständnis ändern, das muss in den Schulen und sogar schon im Kindergarten beginnen.« Noch etwas radikaler fällt die Forderung von Karl Hofer, Geschäftsführer des Spezialisten für Flüssigabdichtungen und Kaltplastiken Triflex, aus. »Schulbildungssys­tem und Facharbeiterausbildung gehören völlig neu aufgesetzt. Man könnte etwa vor dem Studium ein Jahr Pflichtpraktikum einführen, das dann bei späterer Berufswahl angerechnet wird.«

Das macht das AMS

Um gegen den Fachkräftemangel anzukämpfen, startet das AMS das größte Qualifizierungsprogramm seiner Geschichte. Insgesamt 30.000 Jobsuchende werden über die AMS-Qualifizierungsoffensive vom Hilfsarbeiter zu Fachkräften ausgebildet. 64 Prozent, also fast zwei Drittel der insgesamt rund 30.000 Personen, die 2017 durch eine AMS-Förderung die Möglichkeit erhalten, einen Lehrabschluss zu machen, sind Jugendliche.

36 % sind erwachsene Arbeitslose mit maximal Pflichtschulabschluss. Dabei fördert das AMS die Lehrausbildung in überbetrieblichen Einrichtungen oder auch direkt in den Betrieben.

Für viel Aufsehen und auch Kritik hat zudem ein Vorschlag von AMS-Chef Johannes Kopf geführt, den Lehrstellenmarkt für Asylwerber zu öffnen. Im Kurier sprach er sich »für eine generelle Öffnung des Lehrstellenmarktes für alle Asylwerber unter 30 Jahren, die eine hohe Anerkennungswahrscheinlichkeit haben«, aus. Eine Verdrängung fürchtet er nicht, schließlich gäbe es in Österreich aktuell 1075 mehr freie Lehrstellen als im Vorjahr, aber 13 weniger lehrstellensuchende Jugendliche.

Dass dieses Modell speziell in Mangelbranchen wie der Bauwirtschaft durchaus sinnvoll ist, hat ein Pilotprojekt in der Steiermark gezeigt. Dort haben 34 unbegleitete Jugendliche eine fachspezifische baupraktische Ausbildung von Experten der Bauakademie erhalten als Vorbereitung auf die Baulehre. Für Josef Pein vom Fachverband der Bauindustrie ist dieses Projekt eine Triple-Win-Situation.  »Anstatt dass der Flüchtling der öffentlichen Hand finanziell zur Last fällt, leistet er durch seine Arbeit und seinen Lohn einen Beitrag zum Sozialsystem und integriert sich in die Gesellschaft. Die Bauwirtschaft bekommt gut ausgebildete Fachkräfte, die wir dringend benötigen, und der Flüchtling kann sich eine Existenz aufbauen.«

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