Eine effiziente Baustellenabwicklung zeichnet sich durch eine vernetzte Echtzeit-Kommunikation zwischen Menschen, Maschinen und Materialien aus. Digitalisierung bringt einen entscheidenden Vorsprung. Mit ihren Potenzialen beschäftigt sich die Studie »Potenziale der Digitalisierung im Bauwesen« an der TU Wien.
Die Bauwirtschaft trägt einen erheblichen Teil zur Wirtschaftsleistung in Europa bei, sichert damit Millionen MitarbeiterInnen Arbeitsplätze und Lebensunterhalt. Trotzdem sieht sich die Baubranche nach wie vor vielfach mit gesellschaftlichen Vorurteilen und einem schlechten Image konfrontiert. In der Digitalisierung der Bauwelt liegt der Grundstein für einen radikalen Imagewandel. Transparenz, durchgehende Prozesse und digitale Aufklärung können dem Baubetrieb einen Modernisierungsschub verleihen. Die TU Wien befasst sich derzeit in einer Studie mit den Potenzialen der Digitalisierung im Bauwesen. Hier braucht es noch einiges an Arbeit. Laut ersten Erhebungen der TU Wien im Rahmen der Wiener Gespräche – Wissenschaft & Bauwirtschaft setzen erst vier Prozent der Bauprojektbeteiligten BIM aktiv ein. Eine Studie von Roland Berger, durchgeführt 2016 in Österreich, Deutschland und der Schweiz, bestätigt mit sechs Prozent diese Ergebnisse. »Entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung der Digitalisierung im Bauwesen ist, dass von gleichen Annahmen ausgegangen wird und national an einem Strang gezogen wird«, analysiert Studienleiter Gerald Goger vom Institut für interdisziplinäres Bauprozessmanagement. Denn jeder versteht unter Digitalisierung etwas anderes. Für den einen bedeutet es, keine Zettel mehr zu schreiben, für den anderen die Übergabe eines digitalen Gebäudemodells.
Studien-Initiative
Die Studie an der TU Wien läuft seit Oktober 2016. Als Projektzeitraum ist ein Jahr vorgesehen. Auftraggeber sind je zur Hälfte das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie sowie die Wirtschaftskammer Österreich. »Das Ministerium will aktiv eruieren, wie Digitalisierung in der Branche umgesetzt werden kann, welche Veränderung sie in den derzeitigen Prozessen bringt und darauf entsprechende Forschungskonzepte ausrichten«, berichtet Melanie Piskernik, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Interdisziplinäres Bauprozessmanagement. Im Studienzeitraum sind Befragungen und Workshops mit den wesentlichen Stakeholdern und Fachexperten vorgesehen.
Gerald Goger: »Wir versuchen, eine gebündelte und strukturierte Vorgangsweise zu erreichen und insbesondere die Politik aufmerksam zu machen. Die BIM-Strategie der Deutschen nach dem Motto ›Erst virtuell und dann real bauen‹ muss auch bei uns aktiv von den politischen Verantwortungsträgern wahrgenommen werden.« Konkret wurde etwa ein gemeinsam von der Plattform und dem Institut initiierter Workshop am 23. Februar 2017 zum ÖBB Projekt Bahnhof Lavanttal veranstaltet. Thema war, wie das Thema der Digitalisierung bei diesem Projekt im Detail umgesetzt wurde, Schnittstellen und Probleme wurden analysiert und Lösungen gesucht. Im Juni 2017 soll ein weiterer Workshop mit der ASFINAG zu einem Straßenbauvorhaben stattfinden, im Herbst wird ein Hochbauprojekt behandelt. Parallel werden im Forschungsbereich Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik drei Forschungsschwerpunkte rund um das Thema der Digitalisierung vorangetrieben. In der Vernetzung mit der Bauindustrie und eigenen wissenschaftlichen Leistungen sehen Goger und Piskernik ein gut abgerundetes Bild. Sie verweisen auf ein in Bearbeitung befindliches Forschungsprojekt mit eguana, dessen Ziel die Entwicklung einer automatischen Echtzeitanalyse von Injektionsarbeiten ist, um die Bauabwicklung transparenter und effizienter zu gestalten.
Status quo
Kleinere Betriebe beobachten derzeit die Entwicklung aus einer Warteposition. Im Wesentlichen beschränkt man sich auf digitales Versenden, Ablegen und Ausdrucken von Datensätzen. Große Konzerne wie Strabag und Porr mit eigenen Stabstellen für Forschung und Entwicklung wollen Digitalisierung dagegen aktiv vorantreiben. »Jedes Unternehmen, egal, welcher Größe hat aber Innovationspotenzial, das gehoben und gefördert werden kann«, betont Henrietta Egerth, Geschäftsführerin der FFG. Im Bauwesen wird Digitalisierung zwar wahrgenommen, aber es sind vielfach Insellösungen. Das Ziel der Durchgängigkeit fehlt. Baustellen sind komplexe Projekte mit einer Vielzahl an Schnittstellen. Jeder Baubeteiligte sieht in diesen Entwicklungsschritten bis dato nur seinen Teilbereich. Mit BIM wird dagegen digital geplant und eine synchronisierte Datenbasis hergestellt, die alle Abläufe und Teilaspekte verbindet und auf die alle Projektbeteiligten zugreifen können.
Erste Ergebnisse
»Derzeit befinden wir uns in der Konzeptionsphase der Roadmap«, informiert Melanie Piskernik und berichtet von den ersten Workshops. Einig sind sich die Workshop-Teilnehmer in Bezug auf die Vermeidung von Medienbrüchen, von erhöhter Termin- und Kostensicherheit sowie verbesserten Ausführungsqualitäten durch Digitalisierung. Bislang wird aus Zeitnot heraus oft auf Basis einer unfertigen Ausführungsplanung gestartet, die Optimierung erfolgt erst im Zuge der Ausführung. Das sollte künftig der Vergangenheit angehören. Durch das digitale Gebäudemodell muss man sich viel früher Gedanken machen. Als Problemschwerpunkte rund um Digitalisierung werden v.a. die Implementierung neuer Prozesse genannt, Probleme mit der Software, die teilweise noch zu wenig an die Branche angepasst ist, Urheberrechtsfragen und Probleme beim Datenaustausch angeführt.
Hintergrund
Digitalisierung muss vorangetrieben werden. Die Vergabe der Studie »Potenziale der Digitalisierung im Bauwesen« an das Institut für Interdisziplinäres Bauprozessmanagement ist u.a. eine der Initiativen der Bundesinnung Bau. Darüber hinaus wurde ein Folder zum Thema »Building Information Modeling – BIM« herausgegeben, ebenso ein Bau-TV-Video. Mit der Brancheninitiative »BRA.IN Bauforschung 2020« soll die Digitalisierung am Bau ebenso vorangetrieben werden. Sie wird in den Jahren 2017 bis 2020 abgewickelt. Um das technische BIM-Know-how zu steigern, bietet die BI Bau weiters BIM-Beratungsschecks zur Analyse der Einsatzmöglichkeiten für BIM im Unternehmen und zur Prüfung der organisatorischen, technischen und finanziellen Seite.