Sonntag, Mai 12, 2024

Am 1. Jänner 2005 begann im EU-Raum das Kyoto-Zeitalter und damit die Diskussion um die Vergabe der CO2-Zertifikate. Die Forderung der EU-Verwaltung nach verbindlichen Wachstumsprognosen ist seriös nicht erfüllbar.

Die Folgen sind Ungleichverteilung und Wettbewerbsverzerrung. Deshalb muss die Zuteilung auf neue Beine gestellt werden.
Ein Gastkommentar von Felix Friembichler, Geschäftsführer Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie VÖZ


In der Probeperiode von 2005 bis 2007 wurde die Zuteilung der CO2-Zertifikate an die Industrie weitgehend den Mitgliedsstaaten überlassen. Grundlage dafür waren historische Daten, wirtschaftliche Entwicklungen blieben weitgehend unberücksichtigt.
Heute wissen wir, dass es in vielen Branchen enorme Streuungen zwischen Zuteilung und Bedarf gab. Insgesamt wurden den europäischen Unternehmen mehr Zertifikate zugeteilt, als sie benötigt haben. Als Reaktion darauf hat die EU-Kommission in die Zuteilung der Zertifikate für die Folgeperiode von 2008 bis 2012 rigoros eingegriffen. Die von den Mitgliedsstaaten vorgeschlagenen Allokationen wurden durchwegs gekürzt. Im Gegensatz zur Vorperiode wurde in Österreich und auch in einigen anderen Mitgliedsstaaten die wirtschaftliche Entwicklung der Industrie zumindest ansatzweise ins Kalkül mit einbezogen.

Unhaltbare Prognosen
Damit komme ich zu einem Punkt, den die österreichische Zementindustrie von Anfang an kritisiert hat: Die EU-Verwaltung forderte von den Unternehmen verbindliche Prognosen des Wachstums von 2006 bis 2012. Ein Wirtschaftszyklus, der in der Realität Schwankungen unterliegt und nicht seriös überschaubar ist. Sowohl unsere Bemühungen, die Unmöglichkeit der konkreten Abschätzung des Wachstums über diesen Zeitraum darzustellen, als auch die Berücksichtigung der Wachstumsprognosen der Baubranche wurden nicht gehört. Das Ergebnis ist bekannt. Die österreichische Zementindustrie war im Jahr 2008 als einzige Industriebranche Österreichs massiv unterallokiert.
Wie haltbar Prognosen sind, erfahren wir täglich aus den Medien. Auch die Weisen der Wirtschaft haben sich in ihren Annahmen durchwegs geirrt. Wir erleben einen Wirtschaftsabschwung quer über Europa. Das Ergebnis führt zu einer paradoxen Situation: Die geforderte Langfristprognose, die zur fixen Zuteilung der Zertifikate führte, ist nicht variabel hinsichtlich der  wirtschaftlichen Entwicklung. Der aktuelle Abschwung wird in vielen Branchen zumindest kurzfristig zu einer Überallokation führen.
Das könnte die Kritiker der Industrie bestärken, die schon immer eine Bevorzugung der Industrie erkannt haben wollen. Und wie so oft werden Schlagzeilen mehr Aufmerksamkeit bekommen als die Darstellung seriöser Sachverhalte. Die europäische Industrie wird gut beraten sein, umgehend mit einer Informationskampagne über das Wesen und den derzeitigen Stand der Verhandlungen zum Emissionshandel zu beginnen. Gelingt es nicht, die aus dem aktuellen Abschwung resultierenden Kurzzeiteffekte außer Frage zu stellen, sehe ich die reale Gefahr, dass das Reduktionsziel bis zum Jahr 2020 ohne viel Aufhebens von 20 auf 30 Prozent erhöht wird.

 


Schlechte Treffsicherheit
Welche Schlüsse können wir aus der bisherigen Umsetzung der Emissionshandelsrichtlinie ziehen? Quer durch alle Zuteilungspläne zieht sich das Problem der Menge der zugeteilten Zertifikate. Das bisherige Mengengerüst zur Ermittlung der Zuteilung ist auf einer Kombination historischer Daten und nicht haltbarer Wachstumsannahmen aufgebaut. Die Diskrepanzen zwischen Zuteilung und Bedarf von Zertifikaten zeigen, dass die Treffsicherheit schlecht ist und diese nicht die wirtschaftliche Situation abbilden. Dazu setzt der aktuelle wirtschaftliche Abschwung den Emissionshandel außer Kraft, weil in Zeiten wie diesen der Bedarf an Zertifikaten nicht wie prognostiziert gegeben ist. So gesehen ist vorstellbar, dass der wirtschaftlichste Weg zur Einhaltung der Allokationsvorgaben ist, die Hände in den Schoß zu legen. Deutlicher könnte eine der größten Schwächen des derzeitigen Systems, nämlich die Distanz zur wirtschaftlichen Realität, wohl nicht mehr zutage treten. Mit den heutigen Erfahrungen wären wir gut beraten, die Zuteilung der Zertifikate auf neue Beine zu stellen. So schwierig die Gespräche auch sein mögen, in einem europäischen Markt können wohl nur vergleichbare Leistungszahlen Abhilfe schaffen. Gleichzeitig ist die Frage zu stellen, ob es nicht klug wäre, längerfristig gültige Branchenziele zu erarbeiten und im Gegenzug die Zuteilung auf zeitlich absehbare Grundlagen wie die Berücksichtigung des wirtschaftlichen Umfelds und realisierbare Benchmarks abzustützen.

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