Sonntag, Oktober 13, 2024

Hand aufs Herz: Ist Ihnen als Führungskraft der Unterschied zwischen Position, Funktion und Rolle ganz geläufig? Auch für »coole« Start-ups könnte es sich mit gutem Grund lohnen, hier etwas genauer hinzuschauen.

Ein Gastkommentar von Herbert Strobl.

Die Position beschreibt den formalen Platz, den jemand in einer Firma, in einer Organisation einnimmt, also Sachbearbeiter, Abteilungsleiter, CEOs. Funktionen beschreiben dagegen den Zweck und die inhaltlichen Aufgaben, die mit diesen Positionen verbunden sind. Funktionen definieren den Beitrag zur Gesamtaufgabe der Organisation, der an einem bestimmten Platz in der Organisation zu leisten ist. So machen die hierarchisch gleichgestellten Abteilungsleiter für Rechnungswesen und für IT inhaltlich etwas völlig anderes. Beides, Position und Funktion, lassen sich im Organigramm der Organisation festmachen.

Das ist bei der Rolle nicht der Fall. Sie ist gänzlich informell, aber von hoher faktischer Bedeutung und unabhängig von der Firmenstruktur. Rollen beschreiben nämlich die Summe von Verhaltenserwartungen, die an den Inhaber von Positionen und Funktionen gerichtet werden – Erwartungen in Bezug auf Aufgabenerfüllung, Benehmen, Gesinnung, Werte, wechselseitige Beziehungsgestaltung usw. Abstrakt gesprochen geht es um systematische Normierung von Verhalten in einem sozialen System durch einen bestimmten Erwartungskontext. Diese Rollenzuschreibungen stehen jedoch in keinem Organisationshandbuch. Sie müssen von Neueinsteigern oft auch erst schmerzhaft herausgefunden werden und haben viel mehr mit der Kultur einer Organisation als mit ihren Strukturen zu tun.

Rollen sind aus zwei Gründen so wichtig. Einerseits geht es um die prinzipielle Kooperation zwischen Organisation und Individuum: Organisationen sind aufgabengesteuerte Systeme, d.h. ihr ultimativer Daseinszweck ist die Erfüllung von bestimmten Aufgaben. Das gilt für einen karitativen Verein genauso wie für eine profitmaximierende Hedgefonds-Gesellschaft. Menschen hingegen sind immer bedürfnisgesteuerte Systeme; die Befriedigung von Bedürfnissen steht also im Zentrum ihres Seins. Menschen gehen einer Arbeit nach, weil sie ihre Existenz sichern wollen, einen bestimmten Sozialstatus oder Selbstverwirklichung anstreben und Sinn suchen. Die faktische Kooperation zwischen den Systemen Organisation und Mensch erfolgt über die Rolle. Die gegenseitigen Erwartungshaltungen sind gleichsam der Transmissionsriemen, der die Energie ins jeweils andere System überträgt und ein bestimmtes (jedoch nur teilweise erwartbares) Verhalten produziert.

Andererseits sind Rollen nicht ein für allemal festgeschrieben, sondern die »Rolle« entsteht in einem kontinuierlichen Prozess rund um die Kernfrage »Wer bin ich (hier) und was soll und darf ich (hier) tun?« Diese permanente Abklärung ist auch eine zentrale Aufgabe von Führung per se. Es kommt nicht von ungefähr, dass das Spannungsfeld zwischen »Role taking« (Annehmen der Rollenerwartungen) und »Role making« (aktive Gestaltung der Rolle) irgendwann zu einem zentralen Punkt in nahezu jedem Führungskräfte-Coaching wird. Gerade wenn sich Unternehmen nach außen besonders lässig, informell und unbürokratisch präsentieren, um attraktiv für »High-Potentials« zu erscheinen, sollte der Abklärung von Erwartungshaltungen aus gutem Grund besonders viel Raum gegeben werden. Sonst ist es nicht weit zur nächsten Enttäuschung. Heißt es doch auch nicht zufällig: »Erwartungen sind einseitige Verträge, von deren Existenz der andere nichts weiß.«

Der Autor: Herbert Strobl ist Managementberater und Entwicklungsbegleiter mit Schwerpunkt auf Führung, Veränderung und Unternehmenskultur. Er verfügt über 20 Jahre Führungserfahrung in internationalen Konzernen und arbeitet seit vielen Jahren als systemischer Unternehmensberater.

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