Friday, June 06, 2025

Mehrwert für Manager

Suzanne Berger, Leiterin der Initiative Manufacturing@MIT, spricht über den Mangel an Modernisierung in der produzierenden Industrie in den USA und die Notwendigkeit, alle Puzzlesteine zu beachten.

Die MIT-Professorin Suzanne Berger leitet die Initiative Manufacturing@MIT.

Vor welchen Herausforderungen stehen Fertigungsunternehmen in den USA heute?

Suzanne Berger: Die Globalisierung ist vorbei – zumindest wird das in der Öffentlichkeit so diskutiert. Realität ist, dass Staaten überall Barrieren errichten, besonders die Vereinigten Staaten. Die Gründe dafür sind klar: Die Globalisierung war zwar für den größten Teil der Welt großartig, sie hat das Schicksal von Millionen Menschen in Asien verändert. Aber in den USA und in anderen liberal-demokratischen Gesellschaften verloren die Menschen ihre Arbeitsplätze, weil Importe die Märkte überschwemmten. Das hat viel Wut erzeugt. Wir hatten den Brexit in England und jetzt diese extreme politische Polarisierung in den USA. Dort besteht Hoffnung, mit mehr heimischer Produktion die Arbeitsplätze wieder zurückzuholen.

Zudem waren 40 Jahre schlanke Fertigungsprozesse – das von Toyota inspirierte Lean Management – eine Katastrophe für die amerikanische Fertigung. Lean Management baut auf null Lagerhaltung. Doch über keine Lagerbestände zu verfügen, ist gleichbedeutend mit einer fehlenden Resilienz eines Unternehmens etwa in einer Pandemie. Das japanische Modell ist mit Sicherheit in wesentlichen Punkten anders, aber in den USA hat Lean Manufacturing zu einem Rückgang des Ausprobierens, zu weniger Experimenten in den Firmen geführt. Wenn in einer Fabrikhalle etwas Neues ausprobiert wird, wirkt sich das in der Regel negativ auf Produktionsprozesse aus und verursacht Kosten.

Zugleich hat die Automatisierung in der Industrie Einzug gehalten.

Berger: 2017 hatten wir die Panik, dass Roboter Arbeitsplätze vernichten würden. Die Automatisierung hat im Laufe der Zeit sicherlich eine Rolle bei der Steigerung von Produktivität gespielt, aber der größere Effekt auf Regionen wie den Mittleren Westen in den USA kam von Importen. Die USA sind nach wie vor eines der Länder mit der geringsten Anwendung von Robotik. Auch im Jahr 2024 hatte nur eines von zehn Unternehmen des produzierenden Gewerbes Roboter im Einsatz. Und die meisten Betriebe dieses kleinen Teils verwendeten nur einen einzigen Roboter. An der Spitze gibt es zwar Tesla und andere mit einem hohen Automatisierungsgrad – die Basis in der Wirtschaft hat aber so gut wie keine moderne Infrastruktur für die Fertigung. Die Hersteller, die wir besucht haben, haben immer noch Fräsmaschinen aus den 1940er-Jahren im Einsatz.

Welche Auswirkungen hat das für die gesamte Wirtschaft?

Berger: Die USA haben ein echtes Problem mit ihrer wenig leistungsfähigen Produktion. Durch das Outsourcing der letzten 35 Jahre weist diese Basis erhebliche Lücken auf. Sobald Zölle und Grenzbeschränkungen eingeführt werden, könnten wir nicht einmal mehr Socken herstellen. Ein Paar Socken, das man heute für einen Dollar kaufen kann – weil es in China hergestellt wurde –, würde im Inland produziert vielleicht 25 Dollar kosten. Das treibt die Inflation massiv an. Es geht also um eine neue Art der Produktion. Daran arbeiten wir gemeinsam am Massachusetts Institute of Technology mit Partnern.

Dann gibt es den wahrscheinlich wichtigsten Punkt: In Europa herrscht Krieg, und es besteht die Gefahr eines Krieges mit China. Die westlichen Staaten müssen also ihre Verteidigung stärken. Die Basis der produzierenden Industrie für den Verteidigungssektor in den USA sind kleine und mittlere Unternehmen. Wir haben Hersteller in Ohio befragt: 40 % haben immer wieder auch Rüstungsaufträge. Es gibt also Überschneidungen zwischen der klassischen Fertigung und der Industrie im Verteidigungssektor.

Sehen Sie eine politische Partei, die hier besonders gut argumentiert?

Berger: Präsident Trump verändert vieles in der Wirtschaft – er agiert disruptiv. Aber die Realität ist, dass selbst der ehemalige Präsident Biden die Zölle, die Trump bereits eingeführt hatte, nicht abgeschafft hat. Abgesehen davon, dass die USA hoffentlich wieder zu grundlegenden Regeln des Rechts zurückkehren, würde die Wirtschaft nicht viel anders aussehen, wenn wir einen demokratischen Präsidenten hätten. Republikaner haben ebenso wie Demokraten die Wiederherstellung der Industrie als Ziel. Das ist wahrscheinlich der einzige Bereich, in dem sich beide Parteien wirklich einig sind.

Worin unterscheidet sich die US-Fertigungsindustrie von der europäischen?

Berger: Sie ist in mehrfacher Hinsicht anders. Die USA haben eine viel dynamischere Wirtschaft. In jenen Bereichen, die an das verarbeitende Gewerbe angrenzen, hat sich eine enorme Dynamik entwickelt. Neue Produktionsunternehmen – Tesla, Rivian oder Redwood Materials – sind entstanden. Diese Unternehmen kehren zu einer Struktur zurück, wie wir sie in den letzten 40 Jahren in der Wirtschaft nicht mehr gesehen haben. Damals waren die großen amerikanischen Unternehmen wie IBM, Texas Instruments und DuPont vertikal integrierte Betriebe, in denen sie von der Grundlagenforschung bis zum Verkauf ihrer eigenen Produkte alles selbst gemacht haben.

Aber das industrielle Ökosystem der USA ist mittlerweile ausgehöhlt. Wer jetzt Neues ausprobieren will, findet keine Zulieferer. Einer unserer Forscher des MIT hat für die Produktion von neuartigen Mag­neten einen Partner gesucht. Er hat sogar die benötigten seltenen Erden ausfindig gemacht – aber es gibt kein US-Unternehmen, das Magnete herstellt.

Sehen Sie eine Qualifikationslücke in den USA?

Berger: Ich glaube nicht, dass ein Mangel an ausgebildeten Arbeitskräften das Problem ist. Aber viele Unternehmen können mit den Qualifikationen gar nichts anfangen. Sie suchen Leute, die pünktlich am Arbeitsplatz erscheinen und mit einem Stundenlohn von 13 Dollar auskommen. Wenn ein Amazon-Lagerhaus in der gleichen Straße einzieht, dann müssen sie etwas mehr zahlen. Wir fragen dann: Warum stellen Sie nicht Leute ein, die in den Schulen Robotikkurse belegt haben oder mit 3D-Druck umgehen können? Die Antwort ist oft, dass eher Menschen gesucht werden, die mit der vorhandenen Maschinenbasis arbeiten können. Wir stecken also in der vertrackten Situation von Low-Tech, geringer Qualifikation und niedrigen Löhnen. Die Produktivität insgesamt ist ebenso wie der Durchschnittslohn in der Fertigung gesunken.

Bildung ist natürlich wichtig. Früher konnten die großen Unternehmen in ihrer unmittelbaren Umgebung Partner und Zulieferer finden. Firmen wie Kodak hatten umfangreiche Lehrlingsprogramme – die gut ausgebildeten Arbeitskräfte sind dann auch in kleinere und mittlere Unternehmen gewechselt. Mit der Auslagerung der Produktionen wurden bei den Großunternehmen auch die Ausbildungsprogramme eingestellt.

Letztlich geht es also um mehr Investitionen?

Berger: Wir brauchen Investitionen in die Industrie und vor allem in modernere Maschinen. Der Staat sollte hier auch als größter Auftraggeber in der Verteidigung ein Hebel für Erneuerung sein. Wir wissen aus unseren Gesprächen, dass Unternehmen nicht wegen einer irgendwann zu erwartenden Kapitalrendite – dem Return on Investment (ROI) – in neue Anlagen investieren. Aber sie investieren in neue Maschinen, wenn diese in einer Ausschreibung gefordert sind. Ein Unternehmen in Ohio hat uns berichtet, dass es einen Schweißroboter wegen eines »defence contract« gekauft hat. Die Navy als Kunde wollte aus Qualitätsgründen Schweißnähte, die mit einem Roboter gemacht werden. Also wurde die Maschine eingekauft – und prompt ein gut ausgebildeter Absolvent eingestellt, der sich mit der Programmierung des Roboters auskennt.

 

Zur Person
Suzanne Berger ist Professorin für Politikwissenschaften am MIT. Zu ihren Schwerpunkten zählen die Analyse der Globalisierungsstrategien asiatischer, amerikanischer und europäischer Unternehmen, Forschungsarbeiten zu Entwicklung und Produktion in der Region Île-de-France sowie historische Analysen früher Globalisierungsphasen (1870–1914). Berger ist Co-Direktorin der Initiative for New Manufacturing (INM).

Die Initiative
Manufacturing@MIT ist ein interdisziplinäres Projekt des Massachusetts Institute of Technology, um die Zukunft der Produktion zu gestalten. Das Manufacturing@MIT Industry Consortium bietet eine Plattform, um Fertigungsunternehmen mit Forschung und der Wirtschaft in Kontakt zu bringen. Im Fokus stehen Aus- und Weiterbildung, Kooperationen und die Zusammenarbeit mit am MIT gegründeten Start-ups.

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