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Die Bedeutung des Digitalen Produktpasses für BIM
Die dezentrale, maschinenlesbare Bereitstellung von Produkt- und Nachhaltigkeitsdaten ermöglicht ein neues Anwendungsparadigma in der Nutzung von BIM-Gebäudemodellen für Nachhaltigkeitsberechnungen.

Im Rahmen eines Vortrages beim BuildingSmart Anwenderforum in Essen durfte ich die BIM Community basierend auf den zukünftigen Bestimmungen der genannten Verordnungen und des öffentlich zugänglichen Standardisierungsauftrages der europäischen Kommission C(2024)5423 an das Joint Technical Committee JTC24 einen Überblick über die zukünftigen Möglichkeiten geben, welche sich aus der Kombination des digitalen Gebäudemodelles mit dem digitalen Produktpass ergeben werden.
Der Omnibus setzt die Gebäudeenergieeffizienzrichtlinie nicht außer Kraft
Durch die Bekanntgabe von Erleichterungen der Verfahrensbestimmungen für die Nachweise entsprechend den Verordnungen des europäischen »Green Deal« wurde das beklemmende Gefühl der Dringlichkeit von Maßnahmen zur Erfüllung der Berichtspflichten erfolgreich behoben. Und tatsächlich sind die Berichtspflichten nur mehr für wenige große Unternehmen relevant, zeitlich verschoben und schlagen nicht mehr unmittelbar auf kleinere Zulieferer durch. Die Beschränkung der Prüfpflicht der Lieferkette auf die unmittelbaren Lieferanten ist tatsächlich eine sehr wichtige Entlastung von einem vorher kaum umsetzbaren und administrierbaren Bürokratiemonster.
Die Ermittlung und Optimierung von Nachhaltigkeitskriterien wird dadurch aber keinesfalls obsolet, sondern bleibt aufgrund anderer Verordnungen weiterhin ab spätestens 2028 eine Notwendigkeit, welche je nach Unternehmenstyp umfangreicher und dringlicher Vorbereitungen bedarf. Neben der neuen Bauproduktenverordnung definiert vor allem die neue Europäische Gebäude-Energieeffizienzrichtlinie die Notwendigkeit, bezüglich Nachhaltigkeitsdaten und -berechnungen am Ball zu bleiben. Die neue Europäische Bauproduktenverordnung ist bereits seit Dezember in Kraft und erweitert die Obliegenheiten der Marktteilnehmer sowohl bezüglich Nachweis- und Prüfpflichten als auch bezüglich der betroffenen Produktgruppen. Zu den bekannten sieben wesentlichen Merkmalen gesellt sich die Nachhaltigkeit als achtes. Gleichzeitig wird die Publikation in digitaler, maschinenlesbarer Form verpflichtend, wobei mittelfristig – ab 2028 – die ersten Produktgruppen auf den Digitalen Produktpass umgestellt werden. Diese Produktpässe haben laut Verordnung entsprechend den Vorgaben der Ökodesignverordnung gestaltet zu werden und sollen auch kompatibel mit BIM umgesetzt werden.
Produkte ohne gültigen DPP dürfen nicht mehr verkauft werden
Wesentlich ist in diesem Zusammenhang der verpflichtende und sanktionierte Charakter der Bereitstellung der DPP. Produkte, für die kein gültiger, in der zentralen Registrierungsdatenbank der Europäischen Kommission hinterlegter Produktpass verfügbar ist, dürfen im gesamten Gebiet der Union nicht verkauft werden. Darüber hat die Marktüberwachungsbehörde aus eigenem und gegebenenfalls auch über Rückfrage von Konsumenten, Behörden oder anderen Marktteilnehmern überwachend tätig zu werden und im Falle festgestellter oder vermuteter Konformitätsmängel das fragliche Produkt zumindest bis zur erfolgreichen Klärung europaweit vom Markt zu nehmen. Die Verordnung ist also alles andere als zahnlos! Das gilt übrigens auch für Komponenten. Ein Konformitätsmangel von Bestandteilen überträgt sich auf das Gesamtprodukt – mit entsprechenden Konsequenzen.
Richtlinie (EU) 2024/127 über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD)
Die neue EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) legt den Weg vom Nullemissions- zum Nullenergiegebäude bis 2050 fest. Sie regelt die Bereitstellung von Informationen für Verbraucherinnen und Verbraucher und Gebäude in Bezug auf die Gebäudeleistung, um deren Entscheidungen und Investitionen zu unterstützen. Im Gegensatz zu den oben genannten, unmittelbar in allen Mitgliedstaaten wirksamen Verordnungen handelt es sich hier um eine Richtlinie, welche bis 2026 von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden muss. Dies wird für Österreich gerade über die neue OIB-Richtlinie erarbeitet. In mehreren Stufen müssen ab 2028 neue öffentliche Gebäude und Gebäude über 1000 m² Nutzfläche, ab 2030 alle neuen Gebäude und auch alle umfassenden Sanierungen den Bestimmungen entsprechend eingereicht werden, um eine Baugenehmigung zu erhalten. Dies bedeutet, dass Nullemissionsstandard zu erreichen ist. Bis 2050 muss dann Nullenergiestandard erreicht werden, um eine Baugenehmigung zu erhalten.
Die kommenden Anforderungen an die ökologische Qualität umfassen noch weitere Themen bis hin zur Dokumentation und Bewertung der verwendeten Materialien auch in Hinblick auf die Wertstoffrückgewinnung im Fall eines Rückbaues. Der Erwägungsgrund 13 der EPBD ermöglicht eine Bewertung von Sanierungen nach mehreren Kriterien, inklusive der Gegenüberstellung von möglicher Heizkostenersparnis und Sanierungskosten in verschiedenen Ausführungen. Auch hier wird also die Tür zu Innovation und Optimierung im Variantenvergleich bei der Planung weit aufgemacht. Gleichzeitig steht aber fest, dass die Zertifizierung und digitale Bereitstellung der Bewertungskriterien keinen langen Aufschub mehr zulässt.
Der Digitale Produktpass
Der DPP ist ein digitaler Informationscontainer, welcher auf Basis der legislativen Anforderungen aus Ökodesignverordnung und Bauproduktenverordnung für alle Produkte bereitzustellen ist, für welche die Bewertungskriterien über harmonisierte europäische Normen (Standardverfahren bei Bauprodukten) oder delegierte Rechtsakte (bei Produkten, die der Ökodesignverordnung unterliegen) gültig festgelegt wurden. Der DPP ist sowohl menschenlesbar als auch maschinenlesbar, dezentral, dauerhaft kostenfrei und niederschwellig sowohl Konsumenten und Konsumentinnen als auch Behörden, Marktüberwachung, Zoll und anderen Marktteilnehmern zur Verfügung zu stellen.
Über eine eindeutige Identifikation kann jeder Produktpass, gegebenenfalls auch frühere Versionen desselben, mit Hilfe üblicher digitaler Endgeräte (Smartphones) abgerufen werden. Dazu ist am Produkt, der Verpackung oder den Begleitpapieren ein Datenträger (z. B. QR-Code) anzubringen, welcher die Konsumenten zu dem Produktpass führt, welcher menschenlesbar bereitgestellt wird und ihnen so eine »informierte Kaufentscheidung« ermöglicht.
DPP sind jederzeit kostenfrei dauerhaft menschen- und maschinenlesbar verfügbar
Über dieselbe Identifikation kann der Produktpass auch als maschinenlesbarer Datensatz abgerufen und in verschiedenen Softwaresystemen unmittelbar weiterverarbeitet werden. Hierbei wird zwischen öffentlichen und beschränkt zugänglichen Daten unterschieden. Öffentliche Daten des DPP sind immer ohne Authentifizierung zugänglich. Der Zugriff auf die öffentlichen Daten darf nicht durch kostenpflichtige Angebote, nötige Abos, Anmeldungen, Mitgliedschaften oder dergleichen behindert werden, sondern muss jedem Marktteilnehmenden und jeder Software jederzeit kostenfrei ermöglicht werden. Dies inkludiert unter anderem auch die Nutzung der öffentlichen Informationen des jeweiligen DPP in Onlineshops von Wiederverkäufern. Die beschränkt zugänglichen Daten können mit Benutzerrechten und verpflichtender Authentifizierung geschützt werden und stehen jeweils nur bestimmten Benutzergruppen zur Verfügung, z. B. Recyclingunternehmen oder bestimmten Behörden wie dem Zoll.
Die Dauerhaftigkeit und Zuverlässigkeit der Bereitstellung über die gesamte Nutzungsdauer von Produkten hinweg wird durch ein System von Back-up-Operatoren auch für den Fall der Insolvenz eines Marktteilnehmers sichergestellt. Dadurch wird der hohe Vertrauenslevel in das System des digitalen Produktpasses hergestellt, der nötig ist, um die dezentrale Datenquelle der DPP als »Single Source of Truth« akzeptabel zu gestalten. Replikation ist somit nicht mehr nötig, jede Anwendung arbeitet immer mit den live zugänglichen Originaldaten.
Definition von Form, technischer Umsetzung und Inhalt des DPP
Die allgemeingültigen Vorgaben hinsichtlich der technischen und organisatorischen Umsetzung des DPP-Systems werden in der Standardisierungsarbeit der CEN/CLC/JTC24 als mandatiertes Projekt festgelegt. Hierzu werden acht harmonisierte europäische Normen erarbeitet. Die Definition der verpflichtenden und allenfalls auch freiwilligen Inhalte erfolgt durch die Europäische Kommission über delegierte Rechtsakte, auch harmonisierte (Produkt-)Normen sind bei Bauprodukten möglich. Die Reihenfolge der betroffenen Produktsektoren wird vom Arbeitsplan zur ESPR und vom CPR-Acquis-Prozess festgelegt, beginnend mit sehr ressourcenintensiven Produktsektoren wie Stahl, Reifen, Zement oder Textilien.
Nachhaltigkeitsoptimierung mit BIM
Wie dargestellt, ist die Ermittlung und Optimierung verschiedener Nachhaltigkeitsfaktoren, über die Frage der Emissionen hinaus, spätestens ab 2030 für alle Arten von Genehmigungsplanungen unabdingbar. Die gute Nachricht besteht darin, dass die Kombination aus digitalem Gebäudemodell und digitalem Produktpass diese Nachweisführung in Zukunft auf sehr effiziente Weise ermöglichen wird. Im sehr vereinfachten Fall prähistorischer Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren wird der CO₂-Wert pro gefahrenem Kilometer als Bewertungskriterium herangezogen. Gefahrene Kilometer multipliziert mit Menge CO₂ pro Kilometer ergibt die gesamte Belastung des Weltklimas.
Weitgehend äquivalent dazu folgen auch andere Bewertungsmethoden im Gebäudesektor dem Grundsatz »Umweltschaden pro Mengeneinheit« × »Anzahl verbauter Mengeneinheiten« ergibt den kumulierten Umweltschaden. Wie hierbei mit Bilanzgrenzen, Nutzungsdauern, zu bewertenden Phasen und allfälligen Rückbauerlösen aus der Wertstoffwiedergewinnung umzugehen ist, wird in der jeweiligen Bewertungsmethodik festgelegt, insbesondere der gerade in Überarbeitung befindlichen EN ISO 15978, doch das Grundprinzip bleibt stets dasselbe.
Summe (Menge × Bewertung) für alle verwendeten Produkte = Ergebnis
Die Mengenberechnung ist im digitalen Gebäudemodell systemimmanent bereits vorhanden und kann entweder direkt in der Modellierungssoftware oder auch nach Export – z. B. über IFC – in der Zielsoftware genutzt werden. Natürlich wäre es problematisch, die möglicherweise relativ vielen Bewertungsparameter aller verwendeten Materialien und Produkte in das Modell zu übertragen. Dies wäre weder administrierbar noch dauerhaft aktuell zu halten, in der Modellierungssoftware kaum zu bewältigen und würde die Modelle inakzeptabel groß und speicheraufwendig werden lassen.
Anzahl der Parameter = 1
Glücklicherweise ist eine vollständige Abbildung der Bewertungen im digitalen Gebäudemodell weder gewünscht noch notwendig. Sämtliche Bewertungsinformationen liegen in den digitalen Produktpässen in europaweit einheitlicher Form, maschinenlesbar und dauerhaft kostenfrei zugänglich vor. Deshalb können die Informationen jederzeit in der eigenen Software genutzt werden, ohne dass eine Replikation der Daten erforderlich ist. Die Menge der nötigen Parameter, um die Produkte im Gebäudemodell mit den Bewertungen im DPP zu verbinden, beschränkt sich somit auf einen einzigen: die eindeutige Identifikation des DPP. Alles Weitere bekommt die Software direkt vom jeweiligen DPP!
Der Autor
Baumeister Otto Handle standardisiert mit seinem Unternehmen inndata seit über 25 Jahren gemeinsam mit den Branchenverbänden VBÖ, F. B. I. und ZIB den digitalen Datenaustausch in der Baustoffwirtschaft. Er ist für die Bundesinnung Baugewerbe in verschiedenen Normengremien aktiv und leitet seit Anfang 2024 als Convenor die europäische Arbeitsgruppe CEN/CLC/JTC24 WG4 »Digital Product Passport – Interoperability«. Der Vortrag fand im Rahmen der Forschungstätigkeit des FFG-Leitprojektes »KRAISBAU« statt, welches sich mit der KI-gestützten Verwirklichung nachhaltiger und kreislauffähiger Bauweisen in Neubau und Sanierung auf Basis strukturierter Daten wie BIM und DPP beschäftigt. Unter https://www.kraisbau.at/rechtsrahmen finden Sie eine übersichtliche Darstellung der baurelevanten Rechtstexte des europäischen »Green Deal«
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