Saturday, June 14, 2025

Mehrwert für Manager

Bau | Immobilien

Eine Masterarbeit am Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft an der TU Graz zeigt, dass eine stärkere prozessuale Ausrichtung und gezieltes Prozessmanagement die Kollaboration auf Baustellen verbessern und die Chancen auf einen Projekterfolg erhöhen können.

Bild: iStock

 

Große Bauprojekte können sehr herausfordernd sein. Sie dauern lange, durchlaufen mehrere Phasen und haben viele, oft wechselnde Beteiligte mit individuellen Zielsetzungen. Um Risiken so weit wie möglich zu minimieren, versuchen Bauunternehmen schon in der Akquisitions- und Vorbereitungsphase, alle Eventualitäten in Verträgen zu regeln. Ziel ist es, im Störfall auf der sicheren Seite zu sein – finanziell wie rechtlich. Es wird »vorgesorgt«, indem Verantwortung klar verteilt, Risiken pönalisiert und Aufgaben detailliert vorab definiert werden. Das Resultat: ein hoher Planungsaufwand, langwierige Vertragsverhandlungen – und ein Klima des gegenseitigen Misstrauens von Projektbeginn an.

Kollaboration: Vom Gegeneinander zum Miteinander
Neue Ansätze wie Lean Construction, Building Information Modeling (BIM) oder Projektallianzen setzen einen Kontrapunkt zu dieser tradierten Praxis. Sie propagieren echte Kollaboration statt bloßer Kooperation. Während bei Kooperationen Teilaufgaben unabhängig voneinander abgearbeitet werden, zielt Kollaboration auf ein gemeinsames Ziel, das alle Akteure aktiv und gleichwertig verfolgen. Entscheidungen werden nicht autoritär durchgesetzt, sondern gemeinsam getragen. Risiken und Gewinne werden geteilt, Probleme partnerschaftlich gelöst – zum Vorteil des Gesamtprojekts. Gerade bei großen, komplexen Vorhaben mit hoher Unsicherheit ist diese Denkweise besonders wirksam. Denn wer ohnehin mit permanenten Störungen rechnen muss, sollte Strukturen schaffen, die in der Lage sind, flexibel und resilient zu reagieren. Eine »Best for project«-Kultur ersetzt das Kirchturmdenken einzelner Gewerke oder Unternehmen. Die Folge: weniger Nachforderungen, weniger Streit, weniger Reibungsverluste.

Kollaboration braucht Struktur
Doch Zusammenarbeit auf Augenhöhe entsteht nicht von allein. Sie braucht funktionierende Prozesse – und jemanden, der sie koordiniert. Doch in vielen Bauprojekten fehlen standardisierte, klar geregelte Abläufe. Stattdessen dominiert »Personenbezogenheit«: Der Projektverlauf hängt stark davon ab, wer gerade welche Rolle besetzt. Das erschwert verlässliche Planung, fördert Ineffizienzen und macht Projekte anfällig für Stillstand bei Personalwechseln. Eine stärkere Prozessorientierung kann Abhilfe schaffen – gestützt durch ein klares Governance-Modell.

Prozessgovernance: Ein Rahmen für effektive Abläufe
Ein strukturierter Ansatz des Geschäftsprozessmanagements (GPM) beschreibt, wie Prozesse identifiziert, geplant, umgesetzt und gesteuert werden. Noch weiter geht das Konzept der Prozessgovernance: Es schafft die organisatorischen Rahmenbedingungen für effizientes Prozessmanagement. Dazu gehören klare Rollen, Entscheidungswege, Werkzeuge, Standards und Messgrößen. Richtig angewendet, verbindet die Prozessgovernance strategische Ziele mit der operativen Umsetzung. Allerdings stammen die meisten etablierten Modelle aus der Unternehmenswelt und lassen sich nur schwer auf temporäre Bauprojektorganisationen übertragen. Deshalb wurde im Rahmen der Masterarbeit »Entwicklung eines Prozessgovernance-Frameworks zur Verbesserung der interorganisationalen Kollaboration auf Baustellen« ein spezielles Prozessgovernance-Framework entwickelt, das genau auf die Anforderungen der Bauwirtschaft zugeschnitten ist – und hier insbesondere auf kollaborative Projekte.

Ein Framework für die Baustelle aus sechs Kernelementen

1. Prozessarchitektur: Welche Kern-, Führungs- und Unterstützungsprozesse sind projektrelevant? Welche Notfallprozesse braucht es?

2. Standards & Tools: Wie werden Prozesse dokumentiert (z. B. Prozesslandkarten)? Welche Tools kommen zum Einsatz?

3. Prozessrollen: Wer übernimmt welche Verantwortung? Neben bekannten Rollen wie dem Bauleiter braucht es ggf. neue Rollen wie den Prozesseigner.

4. Entscheidungsfindung: Wer entscheidet wann, wie und auf welcher Ebene? Ziel ist die Dezentralisierung von Entscheidungen, um schneller reagieren zu können.

5. Prozesscontrolling: Wie werden Abläufe überwacht, Kennzahlen erhoben und bei Bedarf angepasst?

6. Prozesskultur: Wie kann ein gemeinsames Verständnis für Abläufe, Verantwortung und Zusammenarbeit geschaffen werden?
Diese sechs Elemente sind in drei Dimensionen eingebettet: Organisation, Koordination und Kontrolle – also die Bereiche, in denen erfolgreiche Projekte ihre Strukturen klären müssen.

Flexibilität gefragt
In Fokusgruppen mit Branchenexperten wurde das Modell auf Praxistauglichkeit geprüft. Ergebnis: Das Bedürfnis nach besserer Prozessorientierung ist vorhanden – besonders in Hinblick auf die vielen Projektbeteiligten und deren häufige Wechsel. Die Experten bestätigten die Relevanz gemeinsamer Prozessdefinitionen, klarer Entscheidungsregeln und strukturierter Überwachung. Gleichzeitig betonten sie aber auch: Die Anwendung des Frameworks muss flexibel bleiben. Nicht jedes Projekt braucht alle Elemente in gleicher Tiefe. Eine modulare, situationsangepasste Umsetzung erscheint daher sinnvoller als ein »Alles-oder-nichts«-Ansatz.

Fazit: Vom Prozessverständnis zum Projekterfolg
Bauprojekte brauchen heute mehr als gutes Handwerk – sie brauchen gutes Management. Wer Prozesse bewusst gestaltet, schafft die Grundlage für verlässliche Abläufe, klare Zuständigkeiten und eine konstruktive Projektkultur. Die hier vorgestellte Prozessgovernance bietet dafür ein praxisnahes Werkzeug – speziell für kollaborative Bauvorhaben. Ihr Einsatz kann nicht nur die Effizienz erhöhen, sondern auch die Zusammenarbeit verbessern und das Risiko des Scheiterns deutlich senken. 46_47_lean2.jpg

Grafik: Mögliche Lean- und Prozessmanagement-Werkzeuge zur praktischen Implementierung des Prozessgovernance-Frameworks bei Bauprojekten.

Tipp
Masterarbeit »Entwicklung eines Prozessgovernance-Frameworks zur Verbesserung der interorganisationalen Kollaboration auf Baustellen«, Thomas Brada, Institut für Baubetrieb und Bauwirtschaft TU Graz.

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