Change braucht Klarheit – nicht Konsens Alle mitnehmen. Alle überzeugen. Alle einbinden. Klingt im ersten Moment gut, führt aber selten zum Projekterfolg. Denn wenn Veränderung davon abhängt, dass sich alle einig sind, passiert oft: nichts. Damit Entscheidungsscheu nicht zur Innovationsbremse wird, braucht es Führung mit Mut zur Verantwortung.

Im Projekt-Update sitzen alle am Tisch: Geschäftsführung, Bereichsleitung, Projektteam, Kommunikation. Die Stimmung ist sachlich, die Worte gewählt. Doch auf die entscheidende Frage – „Wie gehen wir mit dem Widerstand um?" – folgt betretenes Schweigen. Dann jemand: „Vielleicht warten wir noch, bis wir alle abholen können. Lasst uns da noch eine Schleife drehen." Zustimmung, weiter im Text.

Solche Szenen spielen sich täglich in Transformationsprojekten ab. Und sie zeigen ein zentrales Missverständnis: Dass Veränderung erst dann erlaubt ist, wenn Einigkeit besteht. Doch Wandel funktioniert nicht, wenn er niemandem wehtut. Und Führung heißt nicht, alle stets an Bord zu haben. Vielmehr zählt, Widerspruch auszuhalten und trotzdem Orientierung zu geben.

Nicht jede Entscheidung braucht Applaus
In vielen Organisationen gilt Harmonie als höchste Währung. Entscheidungen werden so lange diskutiert und weichgekocht, bis niemand mehr Einspruch erhebt – und bis auch niemand mehr Verantwortung trägt. Was beim Gulasch gut ist, schadet der Transformation: Sie verliert an Schärfe, Richtung und Wirkung.

Um dem entgegenzuwirken, braucht es Strukturen, die Handlungsfähigkeit schaffen – etwa aus dem agilen Werkzeugkasten. Agile Methoden setzen bewusst auf Klarheit im Kleinen, statt auf Sicherheit im Großen: Es wird entschieden, was heute notwendig ist, nicht, was in sechs Monaten vielleicht sein könnte. Inkrementelle Planung, kurze Feedbackzyklen und eine klare Rollenverteilung bieten Orientierung, auch wenn das Zielbild noch im Wandel ist. Nicht jede Frage muss sofort beantwortet werden, aber jede Entscheidung sollte nachvollziehbar sein.
Klarheit bedeutet also nicht, kompromisslos durchzuregieren. Sie heißt, Entscheidungen transparent zu machen, Verantwortung klar zu benennen und Prioritäten sichtbar zu setzen. Gerade in Change Prozessen gibt das Menschen Halt, auch wenn sie nicht mit jeder Entscheidung einverstanden sind.

Dazu gehört auch, Grauzonen zu benennen: „Wir wissen noch nicht alles, aber das ist unser aktueller Stand." Oder: „Das ist unsere Richtung, auch wenn es unterwegs Anpassungen geben wird." Solche Aussagen schaffen Vertrauen, weil sie Führung sichtbar und greifbar machen. Und sie zeigen: Change Management ist kein Instrument zur Kontrolle, es bietet vielmehr einen Rahmen für Orientierung.

Führung wirkt, wenn sie ankommt
Führung beginnt mit klaren Entscheidungen, Orientierung und Haltung. Doch Transformation entfaltet ihre Wirkung nicht im Vorstandsbüro, sondern im Alltag der Teams. Genau hier kommen Transformation Guides ins Spiel: Menschen, die den Wandel auf Teamebene vorantreiben und neue Arbeitsweisen erlebbar machen.

Damit diese Rolle wirksam wird, reichen gute Absichten nicht. Transformation Guides brauchen ein klares Mandat und Sichtbarkeit innerhalb des Unternehmens. Sie ersetzen Führung nicht – sie übersetzen sie. Dort, wo Strategie auf Praxis trifft, halten sie die Richtung, wenn es unübersichtlich wird. Sie sind keine Zufallshelden, sondern gezielt benannte Verstärker für Veränderung.

Studien zeigen: Mitarbeitende orientieren sich bei persönlichen Veränderungen vor allem an ihrer direkten Führungskraft und erwarten strategische Signale vom Top-Management. Diese Erkenntnis macht deutlich: Es geht nicht um Konsens auf allen Ebenen, sondern um glaubwürdige Führung an den richtigen Stellen.

Weg mit der Gießkanne in der Kommunikation
Oft wird angenommen, dass Widerstand durch „mehr Kommunikation" entschärft werden kann. Doch es ist nicht die Menge der Worte, die Vertrauen schafft. Gute Kommunikation in der Transformation braucht gezielte Orchestrierung und Kontext. Das bedeutet: klare Sprache statt Konsensformeln. Echte Dialogräume statt weiterer Newsletter.

Ebenso wichtig wie das Reden ist das Zuhören. Zu oft wird Kommunikation mit reiner Informationsweitergabe verwechselt. Wer Rückfragen und Zweifel ernst nimmt, zeigt Haltung und kann auf dieser Basis tragfähiger weiterarbeiten. Transformation Guides nehmen als Multiplikatoren von Botschaften auch hier eine wichtige Rolle ein.

Klarheit statt Konsens – ein Paradigmenwechsel
In der Beratungsarbeit zeigt sich immer wieder: Nicht der Widerstand lässt Transformation scheitern, sondern das Zögern, ihn ernst zu nehmen. Eine klare Haltung zu Entscheidungen, Rollen und Prioritäten kann stärker wirken als jede Beteiligungsmaßnahme. Gute Führung zeigt sich dort, wo Entscheidungen auch ohne Gewissheit getroffen werden. Wer auf vollständige Einigkeit wartet, riskiert Stillstand. Manchmal reicht schon ein erster Schritt, um Richtung zu geben.

Über den Autor
Thorben Schmidt ist Practice Lead für den Bereich Transformation Consulting bei Nagarro. Er begleitet Organisationen in komplexen Veränderungsprozessen mit einem Fokus auf nachhaltige Verankerung, kulturelle Wirksamkeit und strategische Führung. Dabei verbindet er systemische Perspektiven mit pragmatischer Umsetzungserfahrung im unternehmerischen Alltag.  

Bilder: AdobeStock, Nagarro