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"Der Zoo wird nie fertig sein"

Foto:Als Dagmar Schratter den omnipräsenten Helmut Pechlaner als Direktorin ablöste, trauten ihr nicht alle den Job zu. Foto:Als Dagmar Schratter den omnipräsenten Helmut Pechlaner als Direktorin ablöste, trauten ihr nicht alle den Job zu.

Mit Alphamännchen kennt sie sich aus: Dagmar Schratter arbeitete an der Seite von Otto Koenig und Helmut Pechlaner. Seit zehn Jahren leitet die Biologin selbst den ältesten Zoo der Welt. Im Report(+)PLUS-Interview spricht sie über neue Umbaupläne, radikale Tierschützer und warum sie keine Vegetarierin ist.

(+) plus: Als Sie 2007 die Nachfolge von Helmut Pechlaner antraten, waren auch Zweifel zu hören, ob Sie das wohl schaffen würden. Hat man Sie diese Skepsis spüren lassen?

Dagmar Schratter: Bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Tiergartens gab es diese Skepsis überhaupt nicht. Ich war damals ja bereits 14 Jahre hier tätig. In der Öffentlichkeit spürte ich sehr wohl Vorbehalte, zum Teil auch von Fachkollegen. Die Fußstapfen waren schon riesig. Helmut Pechlaner hatte dem Tiergarten nach einer sehr schlechten Phase wieder den Aufschwung gebracht und ihm ein Gesicht gegeben. Er war die Gallionsfigur.

(+) plus: Traut man Frauen prinzipiell weniger Verantwortung zu?

Schratter: Ja, trotzdem glaube ich, dass ich es als Frau leichter hatte. Einer starken Persönlichkeit nachzufolgen, ist nie einfach. Ich hatte das zuvor auch bei Otto Koenig erlebt. Männer versuchen entweder, diese Person zu kopieren – das funktioniert gar nicht – oder alles anders zu machen. Das wäre nach dieser sehr intensiven Aufbauphase aber für die Mitarbeiter ganz schlecht gewesen. Als Frau wird man nicht 1:1 verglichen. Unterm Strich war es dadurch viel leichter.

(+) plus: Pechlaner war omnipräsent. Er galt als »Schnorrerkönig«. Mussten Sie auch in diese Rolle schlüpfen?

Schratter: Der Tiergarten war am Beginn seiner Ära wirklich am Boden. Die Menschen haben gerne gespendet, um den Tieren zu helfen und die Anlagen auf zeitgemäßen Stand zu bringen. Als Helmut Pechlaner in Pension ging, befand sich der Tiergarten schon in einer sehr guten Position. Die Spenden aus Mitleid gingen damals bereits extrem zurück. Dafür kommen jetzt mehr Wirtschaftskooperationen zustande. Ich habe die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit ausgebaut und das Marketing professionalisiert. In den 1990er-Jahren konzentrierte sich noch alles in der Person Pechlaners.

(+) plus: Das Besondere am Schönbrunner Tiergarten ist das historische Ambiente. Ist es gleichzeitig auch die größte Herausforderung im Bemühen um möglichst artgerechte Tierhaltung?

Schratter: Vor 25 Jahren war gerade der Denkmalschutz das Argument für eine Schließung des Zoos. Ich denke, wir konnten inzwischen zeigen, dass er kein »Klotz am Bein« sein muss, wie es damals hieß. Seit 200 Jahren bewältigt der Tiergarten dieses Spannungsfeld zwischen Erhaltung des kulturellen Erbes und Tierschutz.
Inzwischen zählt Schönbrunn zum

UNESCO-Weltkulturerbe, das bedeutet, der Denkmalschutz redet nicht nur bei den Bauten, sondern auch bei der Gartengestaltung mit. Das ist natürlich eine Herausforderung. Trotzdem glaube ich, dass man gerade mit diesem Ambiente den Besuchern die historische Entwicklung bewusst machen kann. Wenn sie zu den Geparden gehen und von den kleinen historischen Käfigen hinaus in die weitläufige Freianlage schauen, können sie nachvollziehen, wie sich das Verhältnis von Tier und Mensch im Laufe der Zeit verändert hat.

(+) plus: Sind die Auflagen immer erfüllbar?

Schratter: Bei der neuen Giraffenanlage gab es mit dem Bundesdenkmalamt eine längere Diskussion. Die Giraffen konnten wir im Winter kaum in die Außenanlage lassen, weil sie auf gefrorenem Boden leicht ausrutschen. Ein Beinbruch ist für Giraffen oft ein Todesurteil. Das historische Haus stammt aus dem Jahr 1828. Meine Intention war, die bestehende Veranda zu vergrößern. Dieser Vorschlag wurde aber abgelehnt. Wir hätten die Giraffenhaltung somit aufgeben müssen. Schließlich fanden wir doch noch einen Kompromiss und durften hinter dem Gebäude einen Wintergarten anbauen.

(+) plus: Wie ist der Spagat zwischen Artenschutz und Wirtschaftlichkeit zu schaffen?

Schratter: In meiner Amtszeit konnten wir bereits fünfmal einen Gewinn verbuchen, es ist also zu schaffen. Ein moderner Zoo hat die Aufgaben Bildung, Artenschutz und Forschung zu erfüllen. Nachhaltiges Wirtschaften ist die Voraussetzung dafür. Wir leben von den Besuchern. Sie liefern über 80 % des Budgets. Der Tiergarten muss deshalb möglichst attraktiv sein. Die Besucher müssen das Gefühl haben, dass es den Tieren hier gut geht. Das bedeutet: Immer wieder Umbauten nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, das ist eine Grundprämisse – der Zoo wird nie fertig sein. Es müssen nicht immer neue Anlagen oder spektakuläre Nachzuchten sein. Natürlich sind Pandazwillinge toll, aber das kann ich nicht beeinflussen. Attraktionen können auch Spezialführungen, Kindergeburtstagspartys, kommentierte Fütterungen, oder Artenschutztage sein. Diese Angebote werden besonders stark von Jahreskartenbesitzern angenommen.

(+) plus: Heuer wurde der neue Giraffenpark eröffnet. Ist die Liste der großen Umbauten damit abgeschlossen?

Schratter: In dem historischen Ensemble war das Giraffenhaus das vorletzte Gebäude. Gestern haben wir mit dem Umbau der Außenanlage für die Flusspferde begonnen. Die Tiere bekommen ein neues Becken mit Filteranlage und Flachwasserbereich. Es gibt immer etwas zu verbessern. 1999/2000 wurde das Aquarium renoviert. Der Grundstock stammt von 1959, damals war die Bausubstanz leider sehr schlecht – jetzt fällt es uns bald über dem Kopf zusammen. Wir planen daher ein neues Aquarium. Das wird rund 15 Millionen Euro kosten, für die Renovierung des Terrariums fallen noch einmal fünf Millionen an. Das ist ein ganz schöner Brocken. Wenn die Finanzierung steht, könnte der Baubeginn 2020 erfolgen. Wir sparen schon darauf!

(+) plus: Sie moderierten seinerzeit gemeinsam mit Otto Koenig die legendäre TV-Sendereihe »Rendevous mit Tier und Mensch«. Würde diese Art der Wissensvermittlung heute noch funktionieren?

Schratter: So eine Sendung wäre schon aus Gründen des Tierschutzes nicht zeitgemäß, weil man heute keine Tiere mehr ins Studio bringt. Das Bedürfnis, Tiere anzugreifen, ist aber nach wie vor groß. TV-Teams, die bei uns drehen, bringen immer den Wunsch vor, etwas direkt mit Tieren zu machen. Wenn ein Pfleger mit einem Tier interagiert, wirkt das gleich viel interessanter. Ich glaube, mit einer charismatischen Persönlichkeit würde das durchaus funktionieren. Man bräuchte einen Thomas Brezina für Erwachsene – er macht das bei den Kindern mit Bravour.

(+) plus: Sie sind auch Präsidentin des Vereins »Tierschutz macht Schule«. Wie kann man Kinder und Jugendliche für Tierschutz sensibilisieren?

Schratter: Das gelingt am besten durch Wissensvermittlung, indem wir den Kindern über die Bedürfnisse der Tiere erzählen. Wir nehmen eine Vermittlerrolle zwischen Tier und Mensch ein, mit dem Vorteil, dass wir lebende Tiere zeigen und Emotionen einsetzen können. Wer einmal Kinder beobachtet hat, die sich an der Glasscheibe die Nase plattdrücken und den Robben oder Eisbären beim Tauchen zusehen, weiß, dass hier Beziehungen entstehen. Da muss das Berühren gar nicht im Vordergrund stehen. Natürlich würde jeder gerne einmal einen Panda streicheln. Aber den Panda ganz nahe zu sehen, wenn er Bambus frisst, kann ebenso zur Bewusstseinsbildung und Begeisterung für die Natur beitragen.

(+) plus: Viele Tierschützer vertreten eine sehr radikale Argumentation und lehnen jegliche Tierhaltung – zu Nahrungszwecken und im Zoo – strikt ab. Sind Sie häufig mit Angriffen konfrontiert?

Schratter: Generelle Zoogegner wird man nicht überzeugen können. Den Großteil der Kritiker kann man aber mit guter Tierhaltung überzeugen. Wir haben wenig Gegenwind. Wenn jemand das Argument bringt, ein Zoo sei nicht zeitgemäß, muss ich sagen: mehr denn je. Ein Zoo unterliegt strengen gesetzlichen Richtlinien. Wir unterstützen und betreiben Nachzuchtprogramme und Artenschutzprojekte in der ganzen Welt wie zum Beispiel zur Rettung der Batagur-Schildkröte in Bangladesch. Ich möchte die Menschen für Tiere begeistern. Das gelingt hier viel besser als mit Tierdokumentationen im Fernsehen. Es ist einfach ein Unterschied, eine Giraffe mit allen Sinnen wahrzunehmen, sie zu riechen und zu sehen, wie groß sie wirklich ist.

(+) plus: Warum werden im Tiergarten auch Nutztiere gehalten?

Schratter: Unser Tiroler Bauernhof ist einer meiner Lieblingsplätze. Wir halten hier nur gefährdete Nutztierrassen. Dass ein Tiger vom Aussterben bedroht ist, verstehen die meisten Besucher. Warum aber ein Tuxer Rind gefährdet ist, müssen wir erklären. Diese Rasse wurde nur wegen des Fleisches gezüchtet, entspricht aber nicht mehr den Anforderungen der heutigen Landwirtschaft. Ich habe Respekt vor Menschen, die vegan leben – aber es soll nicht zu einer Religion werden. Viele Tiere würde es sonst gar nicht geben.

(+) plus: Sind Sie Vegetarierin?

Schratter: Nein. Ich esse aber sehr wenig Fleisch. Rindfleisch kaufe ich nur bei einem bestimmten Landwirt in Niederösterreich, der mit dem Österreichischen Tierschutzpreis ausgezeichnet wurde.

(+) plus: Zu Ihrem Amtsantritt nahmen Sie sich eine tägliche Runde durch den Zoo vor. Sind Sie dabei geblieben?

Schratter:  Es ist leider bei dem Vorsatz geblieben. Ich versuche, es einmal pro Woche zu schaffen. Regelmäßige Runden mache ich schon, um die Bodenhaftung nicht zu verlieren und mit den Mitarbeitern zu kommunizieren. Die Morgenrunde, die als Kuratorin noch mein tägliches Ritual war, ist aber leider Illusion.

Zur Person

Dagmar Schratter, geb. 1954 in Klagenfurt, promovierte an der Karl-Franzens-Universität in Graz in Zoologie mit Nebenfach Botanik. Bis 1981 arbeitete sie mit Otto Koenig am Institut für Vergleichende Verhaltensforschung und moderierte mit ihm die ORF-Serie »Rendezvous mit Tier und Mensch«. Zudem war sie Mitarbeiterin des Tierparks Herberstein. Bis 1993 leitete Schratter das von Koenig gegründete Institut für angewandte Öko-Ethologie in Staning/OÖ. 1993 wurde sie von Helmut Pechlaner als zoologische Abteilungsleiterin und später stellvertretende Direktorin an den Tiergarten Schönbrunn berufen. 2007 folgte sie ihm in der Funktion der Alleingeschäftsführerin nach.

1752 auf Initiative von Kaiser Franz I. angelegt, ist der Tiergarten Schönbrunn der älteste Zoo der Welt. Die historische Anlage, Menagerie genannt, bestand aus zwölf Gehegen. 1770 kam der erste Elefant in den Zoo, 1828 löste die Ankunft der ersten Giraffe einen Mode-Hype aus. 1778 wurde der Park für alle Besucher geöffnet. Beide Weltkriege setzten dem Tiergarten schwer zu, eine Auflösung oder Verlegung stand im Raum.

1991 wurde der Tiergarten als GmbH aus der Bundesverwaltung ausgegliedert. Unter Direktor Helmut Pechlaner gelang in der Folge ein Imagewandel. Fast alle Gehege wurden erneuert und erweitert, moderne Anlagen errichtet. Das Ensemble Schloss und Park Schönbrunn zählt seit 1996 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Der Tiergarten wurde viermal zum besten Zoo Europas gekürt.

Last modified onMittwoch, 20 Dezember 2017 13:08

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