Samstag, April 20, 2024

ChatGPT und Midjourney ­dominieren derzeit die ­Diskussion im privaten und im ­Berufskontext. Unternehmensspezifische ­KI-Lösungen gewinnen jedoch erst langsam an Bedeutung.

Technologien rund um künstliche Intelligenz und Machine Learning finden sich heute in den unterschiedlichsten Produkten: Sprachassistenten wie Siri von Apple und Amazons Alexa, Gesichtserkennung am Smartphone, Navigations-Apps und Identifizierungslösungen oder das Filtern und Aggregieren oder Clustering von News in Social Media – insbesondere auch Fake News.
KI ist zu einem festen Bestandteil des täglichen Lebens geworden.

In der Geschäftswelt sieht das noch anders aus. Laut einer Umfrage von Fraunhofer Austria erkennen Führungskräfte zwar das Potenzial von Spracherkennung, maschinellem Sehen, intelligenter Robotik, virtuellen Agenten und anderen KI-Technologien – unternehmensspezifische firmeninterne KI wird aber kaum eingesetzt. Vor allem kleinere Betriebe sehen in künstlicher Intelligenz generell keine große Relevanz. »36 Prozent der 455 bei unserer Studie teilnehmenden Firmen haben sich mit dem Thema überhaupt noch nicht auseinandergesetzt, sie messen KI keine Bedeutung für den eigenen Betrieb bei«, informiert Studienautor Benedikt Fuchs. Lediglich neun Prozent hätten KI-Anwendungen bereits im operativen Einsatz.

Als Hürde nennt Fuchs vor allem das Fehlen von Kompetenzen bei den Mitarbeitenden, er nennt weiters fehlende Use Cases sowie ausstehende gezielte Wissensvermittlung hinsichtlich des sinnvollen Einsatzes von KI. Dabei könne so gut wie jedes Unternehmen von KI profitieren, meint auch Co-Autorin Eva Eggeling, Leiterin des Fraunhofer Austria Centers für Data Driven Design. Vom selbstfahrenden Auto bis zur Krebszellen-Diagnostik, vom automatisierten Callcenter bis zum Echtzeitanalysetool ermöglicht KI eine Vielzahl an Innovationen und innovativen Problemlösungen. »Ich kann mir kein Unternehmen vorstellen, bei dem es nicht einen relevanten und sinnvollen Einsatz für KI gibt«, betont Eggeling.

»Es gibt keine KI von der Stange, die alles kann«, betont Benedikt Fuchs, Fraunhofer. (Bild: Erwin Pils)

KI-Markt wächst

Aktuell gibt es am österreichischen Markt laut Austria Wirtschaftsservice rund 200 KI-Anbieter, wobei der Markt sehr rasch wächst. »Viele der Herausforderungen, vor denen Unternehmen häufig stehen und die man mit KI lösen oder verbessern kann, sind industrie- oder unternehmensspeziell – beispielsweise, wenn ich den demografischen Wandel analysieren muss, weil ich vor einer großen Pensionierungswelle stehe«, erkennt Albert Moik, Managing Director und Leiter Bereich Applied Intelligence, Analytics and Data bei Accenture Österreich, den Bedarf für unternehmenseigene KI. Allgemeine KI-Lösungen bleiben für Unternehmen in jedem Fall sinnvoll, denn es ergibt keinen Sinn, als Unternehmen eigene Lösungen für bereits vorhandene zu entwickeln. »Für Übersetzungen oder für Handschriftenerkennung sind professionelle Lösungen vorhanden«, so Moik.

Quer durch Europa wird am Eisenbahnverkehr gearbeitet, eine Mobilitätswende soll erreicht werden. »Dafür braucht es die Taktverdichtung und eine Optimierung der Geschwindigkeit«, so Albert Moik. Dies gelänge nur mit KI. (Bild: Accenture)

»Es wird immer Sonderfälle oder Grauzonen geben, aber für klassische Fälle wie etwa Standardbewilligungen kann KI immer eingesetzt werden«, stellt er fest. In diesem Anwendungsfall prüft die KI, ob mit den eingereichten Dokumenten alle Erfordernisse für eine Bewilligung gegeben sind, und informiert die Sachverständigen über die Freigabe.

Auch große Mengen an Dokumenten, Daten und Transkriptionen lassen sich mit bestehender KI bearbeiten. Einst wurde jeder per Post eingetroffene Brief von einer Person gelesen und in einem Ordner abgelegt. »Heute kommen täglich tausende Mails und Schriftstücke an und das wird immer mehr, weil diese automatisch produziert werden können«, betont Ross King, Leiter der Forschungsgruppe Data Science & Artificial Intelligence des Centers for Digital Safety & Security im AIT. Hier brauche es KI, um die exponentiell wachsenden digitalen Inhalte bearbeiten zu können.

»Die Einsatzmöglichkeiten von KI besonders in der Analyse großer Datenmengen und der datenbasierten Entscheidung sowie Prognose sind vielfältig«, sagt Ross King, AIT. (Bild: Johannes Zinner)

»Wir haben uns in den letzten Monaten in einer Hype-Phase von KI befunden«, betont King. Diese Einschätzung teilt Sebastian Kollmann von Capgemini. »ChatGPT hat einen Vorführeffekt. Unternehmen erkennen, was alles möglich ist.« Derzeit setzen Österreichs Unternehmen KI-Technologien noch primär ein, um Texte in geschriebener Form beziehungsweise Daten automatisiert zu analysieren. Zudem werden KI-Technologien genutzt, um Prozesse zu automatisieren oder Entscheidungshilfen zu erstellen. Zunehmend wird aber auf maßgeschneiderte KI-Lösungen vertraut.

Das Berliner Technologieunternehmen Tucan.ai bietet eine Plattform für Transkriptionsprozesse. Seine Gründer setzen auf die laufende Weiterentwicklung der KI-Lösung mit selbstlernenden Systemen und Algorithmen, die immer wieder verbessert werden. Im letzten halben Jahr konnte Tucan.ai seine Kundenzahl um 60 Prozent steigern. Es ist ein starkes Indiz, dass Unternehmen quer über alle Branchen den enormen Nutzen von KI im Sprachbereich erkannt haben. Tucan.ai nutzt zwar auch externe Daten zum Training seines KI-Systems, die Spracherkennungsalgorithmen sind aber gänzlich hauseigen und werden intern weiterentwickelt.

Die manuelle Transkription und das Anfertigen von Notizen bindet viele Ressourcen, was oft zu Fehlkommunikation und fehlerhafter Dokumentation führt. (Bild: Oliver Magda/Tucan.ai)

Maßgeschneiderte KI

Tobias Eljasik-Swoboda, zuständig für künstliche Intelligenz von der Forschung bis hin zur Umsetzung von KI-Systemen bei Ontec, nennt einige Anwendungen, die für Unternehmen bereits entwickelt wurden: Software zur Erkennung unbekannter Anomalien im Cybersecurity-Kontext, Betrugserkennung im Bewerbungsprozess, Stellenmarktanalyse für Personalvermittler, Wissenssicherung bei Fluktuation oder Pensionierung für die öffentliche Verwaltung, Beantwortung von Bürger*innenfragen aus unübersichtlichen Quellen für die öffentliche Verwaltung oder die Generierung von Content für Marketingaussendungen.

Sebastian Kollmann ergänzt den Bereich Konsumgüterhersteller: Die KI prüft visuell, wo ein Produkt am effektivsten ist und wodurch der Materialeinsatz optimiert wird. »Früher haben sich Experten, die zehn Jahre studiert haben, diese Bilder angesehen, heute werden sie automatisiert ausgewertet.«



Predictive Maintenance

Sensoren ermitteln an Maschinen Daten, intelligente Softwarelösungen analysieren diese und nutzen die Informationen, um etwa einen Alarm an eine*n Anlagenbediener*in zu senden – mittels Predictive Maintenance. Kollmann verweist auf Roboter mit unternehmenseigener KI, die durch Pipelines fahren und Rost oder Risse erkennen. »Durch Predictive Maintenance können Probleme nun automatisiert erkannt werden, welche vorher durch die manuelle Sichtung von bis zu 6000 Bildern pro Tag durch Mitarbeiter geschah.«

»Mit KI bei Kontaktsportarten wie Rugby wird jeder Zug sowie die einzelnen Ballkontakte und Ballbewegungen analysiert«, betont Sebastian Kollmann. Capgemini ist globaler Partner für digitale Transformation des World Rugby-Verbandes. (Bild: Capgemini)

Ein deutscher Autobauer kontrolliert via visueller Inspektion, ob Gurte und Schrauben korrekt festgezogen sind, was davor visuell von Menschen oder von Kamerasystemen erledigt wurde und Millionen Euro gekostet hat. Früher war die Wartung von Maschinen eine reaktive Aufgabe und mit hohen Kosten verbunden. »Eine Einzelperson kann nicht Daten und Videos 24 Stunden täglich überwachen, etwa ob Schnee oder Blätter auf einer Photovoltaikanlage liegen«, ergänzt Accenture Öterreich-Experte Albert Moik.

Predictive Analytics

Ein weiterer Fachbereich, der stark auf KI setzt ist Predictive Analytics. Historische Daten werden hier verwendet, um zukünftige Ereignisse vorherzusagen, unter anderem in den Bereichen Finanzen, Meteorologie, Sicherheit, Wirtschaft, Versicherungen, Logistik, Mobilität und Marketing. Dadurch kann erkannt werden, wie sich der Bedarf bestimmter Produkte im nächsten Quartal entwickeln wird und wo ein Materialengpass droht. »Einen Börsenmarkt vorherzusagen, halte ich für unrealistisch, die Vorhersagen von Autopreisen auf Basis historischer Daten sind aber ziemlich gut«, nennt Forscher Ross King ein konkretes Beispiel, woran am AIT gearbeitet wurde. Dieses System kann für alle internen Fragen hilfreich sein, wie zum Beispiel Material- und Geldflüsse, wo eine Menge historischer Daten zur Verfügung steht. Natürlich könne ein unerwartetes Ereignis eintreffen, was Marktkonsequenzen mit sich bringt, aber das System hätte sich generell als zuverlässig erwiesen.

Anomalien-Erkennung

Die Beispiele für KI-Lösungen, die bereits umgesetzt worden sind, ließe sich noch lange fortsetzen. Ontec mit Sitz in Wien hat in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk-Security-Unternehmen schoeller network control die Security-KI L.A.R.A. entwickelt, die der Anomalie-Erkennung in Rechenzentren dient. Automatisierte Überwachung von Maschinen und Geräten durch Software war auch hinsichtlich Qualitätssicherung und Erhöhung der Effizienz noch nie so wichtig wie heute. Abschließend nennt Studienautor Benedikt Fuchs eine KI-Lösung zur Vermeidung von Fehlern in der Halbleiter­industrie. »KI unterstützt Mitarbeitende beim Auffinden von Fehlern und bei der Dokumentation von Ausfällen.«

Die Technologie hilft Ressourcen einzusparen, erhöht die Qualität und Sicherheit von Prozessen und Produkten und ist letztlich für den Menschen da – für den Menschen am Arbeitsplatz ebenso wie in der Anwendung im  privaten Umfeld. KI hat das Zeug, zum Gamechanger für unsere Gesellschaft zu werden.


Förderung für KI und Machine Learning

Das aws unterstützt seit Februar 2023 mit der neuen Förderung »AI Unternehmen und Wachstum« Unternehmen bei der Entwicklung und dem Einsatz von vertrauenswürdiger künstlicher Intelligenz. Der Fonds Zukunft Österreich stellt sechs Millionen Euro bereit.

(Titelbild: iStock)

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