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Agilität als Stärke

Wie flexible und iterative Arbeitsweisen Unternehmen und Mitarbeiter*innen widerstandsfähiger machen, war Thema bei der »Agile Austria Conference 2021«.

Bereits die Events 2017, 2018 und 2019 waren ein überwältigender Erfolg und lockten mehr als 250 nationale sowie internationale Besucher*innen nach Graz. Nach der Covid-bedingten Absage 2020 fand die »Agile Austria Conference 2021« nun Mitte Oktober in Form einer Onlinekonferenz statt.

Neben den Keynote-Sprechern Sigi ­Kaltenecker und Sohrab Salimi wurde zahlreichen Vertreter*innen von österreichischen und internationalen Unternehmen wie Raiffeisen, Dynatrace, Erste Bank, willhaben, Magenta Telekom oder Österreichische Post eine Bühne geboten.

Sie stellten das Thema Agilität unter vielseitigen Gesichtspunkten in ihren Organisationen vor. Der Reinerlös der Konferenz in einer Höhe von 8000 Euro ist der Schülerwohngruppe Graz von SOS Kinderdorf zugute­gekommen.

Wir haben Organisatoren und Sprecher der »Agile Austria Conference 2021« zu ihrer Einschätzung der Chancen und Herausforderungen rund um das Thema Agilität befragt – und warum agile Organisationen resilienter bei Marktveränderungen sind.


Report: Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen hinsichtlich Führung und Arbeitsweisen in den kommenden Jahren?

Sohrab Salimi, Gründer und CEO Scrum Academy: Wenn ich Führungskräften die Frage stelle, ob sie ihre Teams systematisch führen und entwickeln, bekomme ich in aller Regel ein »Nein« als Antwort. Auf die Folgefrage, welche Modelle sie nutzen, kommt in der Regel nur »Teambuilding«.

Warum sind so wenige Führungskräfte bis hin zu Topmanager*innen nicht in der Lage, Teams, die den Grundstein für jeden Erfolg bilden, systematisch zu entwickeln?
Die meisten kleinen und mittelständischen Unternehmen haben keinerlei Weiterbildungsprogramme für Führungskräfte.


Sohrab Salimi, Gründer und CEO Scrum Academy

Die großen Unternehmen verfügen zwar über solche Programme, diese sind aber in aller Regel so altmodisch, dass man sie am besten komplett ignoriert. Und selbst wenn Unternehmen vernünftige Leadership-Programme haben, werden die Erkenntnisse aus diesen Programmen kaum umgesetzt.

Zwar durchlaufen Unternehmen häufig Jahr für Jahr irgendwelche Change-Initiativen, jedoch verlaufen die meisten dieser Veränderungen im Sand.

Häufig geht es bei Change-Projekten auch nur darum, versteckt Mitarbeiter*innen zu entlassen und vor allem ältere Mitarbeiter*innen loszuwerden.

Den Topmanager*innen, die sich selbst häufig als Macher*innen inszenieren, fehlt es in aller Regel an Mut und Durchsetzungsfähigkeit. Es ist erschreckend, wie wenige Aufsichtsrät*innen – mit Ausnahmen der Betriebsrät*innen – und Führungskräfte eine Verantwortung gegenüber den Mitarbeiter*innen empfinden.

Sofern wir Wohlstand für die künftigen Generationen sichern und ausbauen möchten, braucht es vor allem ein Umdenken im Hinblick auf Führung.

Dieses Umdenken – ähnlich groß wie die Kopernikanische Wende – bedeutet vor allem, dass sich Unternehmen für alle Stakeholder und nicht nur für die Shareholder verantwortlich fühlen. Wir müssen auch wieder mehr Innovation in den Vordergrund stellen.

Dieser Wandel wird uns alle – jedes Unternehmen und jede Person – Kraft, Zeit und Ressourcen kosten.
Die daraus resultierende Veränderung kann dann aber nicht ohne Weiteres von Wettbewerbern kopiert werden.

Daher bin ich überzeugt, dass diese Herausforderung für Unternehmen auch die größte Chance für nachhaltiges Wachstum und Erfolg aller Stakeholder sein kann. Man muss diese Chance nur ergreifen.

 

Report: Warum sehen Sie Agilität als Stärke?

Wolfgang Richter, Agile CEO JIPP.IT: Unsere Welt und damit der Markt verändert sich immer schneller.

Unternehmen aus allen Branchen verpassen viele Gelegenheiten, unter anderem weil Unsicherheiten und eine Vielzahl an Optionen Schockstarre auslösen können.


Wolfgang Richter, Agile CEO JIPP.IT

Agilität ist für mich die Fähigkeit, auf Veränderungen zeitnah reagieren zu können, und der Mut zu reagieren, um das Beste aus einer Situation herausholen zu können. Dadurch ist langfristiger Erfolg möglich.


Report: Was assoziieren Sie mit dem Schlagwort Agilität?

Sigi Kaltenecker, Managing Director Loop Organisationsberatung:
Spontan geantwortet bedeutet Agilität, besonders beweglich zu sein.


Sigi Kaltenecker, Managing Director Loop Organisationsberatung

Agile Organisationen sind fähig, schnell auf veränderte Anforderungen zu reagieren und neue Angebote rasch umzusetzen. Ich sehe agile Organisationen in einem Wettbewerbsvorteil – auch, weil dadurch attraktivere Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter*innen entstehen können.

Prinzipiell ist dadurch Unternehmen eine höhere Anpassungs- und Veränderungskompetenz gegeben – was ich gerade während Covid beobachtet habe.

Report: Wo kann eine agile Vorgangsweise beim Finden von Innovationen unterstützen?

Kaltenecker: Eine Unterstützung sehe ich durch den kreativen Freiraum, der durch die Selbstorganisation innerhalb bewegungsfreundlicher Rahmenbedingungen geboten wird – etwa bei einer Verteilung von Entscheidungsautorität.

Ein weiterer positiver Effekt entsteht durch die Fähigkeit, Innovationen rasch umsetzen zu können – Stichwort »Lean Startup« und »Minimal Viable Product«.

 

Report: Was macht eine agile Organisation aus?

Christoph Platzer, CEO von Parkside Interactive: Agilität ist etwas Lebendiges, Dynamisches – das sind gelebte Werte und Prinzipien innerhalb einer Gruppe.

Eine Organisation muss nicht in allen Teilen zu 100 Prozent agil sein, um als agil zu gelten. Der Grad der Agilität sollte dabei so gewählt werden, dass er für die Erreichung der Ziele der Gruppe ideal ist.

Genauso wie eine Organisation nicht gleich agil ist, weil sie agile Prozesse und Praktiken einsetzt. Agile Prozesse sollten nur die Konsequenz einer intrinsischen Agilität sein. 


Christoph Platzer, CEO von Parkside Interactive

Report: Warum sehen Sie Agilität als Stärke?

Platzer: Als Dienstleister mit unterschiedlichsten Projekten und Kund*innen können wir uns durch die agile Arbeitsweise bestmöglich auf den Kunden einstellen.

Gleichzeitig stellt agiles Arbeiten einen Rahmen dar, innerhalb dessen wir uns gemeinsam mit dem Kunden bewegen können. Das schafft Sicherheit und klare Erwartungen an die Zusammenarbeit und legt somit den Grundstein für erfolgreiche Projekte.

Report: Warum und wie können aus Ihrer Sicht flexible und iterative Arbeitsweisen mein Unternehmen und die Mitarbeiter*innen widerstandsfähiger machen?

Platzer: Iteratives Vorgehen allein macht die Mitarbeiter*innen noch nicht per se widerstandsfähiger. Unserer Erfahrung nach nimmt diese Vorgangsweise aber Stress und Druck aus den Projekten und entlastet so die Mitarbeiter*innen:

Indem die einzelnen Iterationen entsprechend geplant sind, dass sowohl das Sprint-Ziel als auch das Gesamtziel des Projekts erreicht werden können. 

Report: Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen hinsichtlich Führung und Arbeitsweisen in den kommenden Jahren?

Platzer: Für Unternehmen, die bisher klassisch geführt wurden und eine agile Transformation anstreben, wird es darum gehen, ein neues Verständnis von Führung in allen Ebenen zu etablieren.

Prinzipien wie verteilte Führung werden so auf das Unternehmen anzupassen sein, dass durch diese mehr Klarheit bezüglich Verantwortungen von einzelnen Rollen entsteht.

Gleichzeitig müssen Themen wie Selbstverantwortung und Selbstorganisation im Unternehmen gelernt werden, damit die entsprechenden Mitarbeiter*innen eigenständig Entscheidungen für ihre Teams treffen können.
Das braucht explizite Unterstützung und auch eine aktive Fehlerkultur.

Report: Wo kann eine agile Vorgehensweise beim Finden von Innovationen unterstützen?

Platzer: Agil meint in diesem Zusammenhang vor allem das Fail-Fast-Prinzip, bei dem sich viele der agilen Werte und Prinzipien widerspiegeln. Dabei geht es darum, schnell und effizient ein gewisses Ziel zu erreichen.

Innovationen haben ebenfalls immer etwas mit einem mehr oder weniger hohen Grad an Ungewissheit, mit hoher Geschwindigkeit, Anpassungsfähigkeit und Wettbewerb zu tun. Für solche Voraussetzungen ist eine agile Vorgehensweise prädestiniert.

 

Report: Was bedeutet für Sie eine agile Organisation?

Gerhard Hammer, CEO von APUS Software: Mit Agilität verbinden wir schnelle, flexible Adaption an neue und sich ständig ändernde Anforderungen – an uns und an unsere Kund*innen. Eine agile Organisation lässt von ihrer Struktur her diese Adaption zu und fördert sie.

Im Fall von APUS zeigt sich das beispielsweise in einer flachen Hierarchie, einer guten Fehlerkultur und dem Bewusstsein, dass eine agile Organisation ständig lernt und sich weiterentwickelt. Sie ist fest verankert und gleichzeitig flexibel.

Dadurch kann sie mit Störimpulsen gut umgehen, sich selbst wieder aufrichten und gestärkt weitermachen.


Gerhard Hammer, CEO von APUS Software

Report: Warum und wie können aus Ihrer Sicht iterative Arbeitsweisen Unternehmen widerstandsfähiger machen?

Hammer: Iterative Arbeitsweisen ermöglichen, Fehler früh zu erkennen und diese Erkenntnisse unmittelbar in die nächsten Schritte einfließen zu lassen. Dadurch wird in jedem Iterationsschritt das Ergebnis besser – besonders auch qualitativ.

Das allein bringt schon eine gewisse Widerstandsfähigkeit mit sich. Fehler bringen uns nicht aus der Ruhe, sondern sind Möglichkeiten, zu lernen und nachhaltig Verbesserungen zu schaffen.

Durch Flexibilität gelingt es uns, mit Hindernissen und Störungen im Projektverlauf oder im Unternehmensalltag besser umzugehen. Wir überprüfen Planungen ständig und passen sie an, lassen neue Marktgegebenheiten in unsere strategischen Überlegungen miteinfließen.

Die Teamverantwortung wird jeden einzelnen Tag gestärkt. Unsere Mitarbeiter*innen sollen nicht alleine große Last auf ihren Schultern tragen – durch die Verteilung von Kenntnissen und Wissen wachsen wir gemeinsam.

Report: Welche Herausforderungen sehen Sie für Unternehmen?

Hammer: Mit dem Klimawandel und den in dessen Fahrwasser gewachsenen sozialen Krisen werden nur jene Unternehmen überleben, die widerstandsfähig sind.

Diese bestehen aber aus ihren Mitgliedern und allen ihren Stakeholder*innen – sowie deren Beziehungen. Agile Vorgehensweisen stärken diese Beziehungen nachhaltig.

Das ist nicht Freunderlwirtschaft und Postenschacher, sondern rücksichtsvolles und wahrhaft nachhaltiges Beziehungs- und Projektmanagement.

 

Report: Wofür steht eine agile Organisation für Sie?

Andreas Mitter, Head of Agile Advisory BearingPoint: Agilität heißt für uns Wandelbarkeit: Wir möchten auf Veränderungen für unsere Mitarbeiter*innen und Kund*innen reagieren können.
Eine agile Organisation beobachtet, lernt und adaptiert auch ohne große bürokratische Hemmnisse.


Andreas Mitter, Partner, Head of Agile Advisory BearingPoint

Report: Sie sehen Agilität ebenfalls als Stärke?

Mitter: Agilität stärkt vor allem die Menschen in einer Organisation.
Oftmals wird Agilität mit dem Einsatz von Methoden und Rahmenwerken wie Scrum oder Kanban gleichgesetzt, aber es geht viel mehr um das Zusammenarbeiten von Menschen an einer konkreten Vision und einem gemeinsamen »Purpose«.

Durch das Fördern und Fordern von Fähigkeiten und die Ermöglichung, Prozesse und Produkte mitzugestalten, erleben wir sehr oft, dass die individuellen Stärken von Personen in Teams zu einer gesamtheitlichen Stärke der Organisation werden.

Es gibt keine pauschale Antwort, wieso Agilität gleichzusetzen ist mit Stärke, aber durch die Werte und Prinzipien stärkt Agilität den Weg hin zu einer menschenzentrierteren Organisation, die durch die individuellen Stärken der Menschen innerhalb dieser einzigartig wird.

Report: Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen hinsichtlich Führung und Arbeitsweisen in den kommenden Jahren?

Mitter: Das Führungsverhalten muss empathischer, offener und transparenter werden.

Es muss zu einer Führungskultur kommen, die es als Stärke sieht, nicht alles Wissen im Management zu vereinen. Weniger »Command and Control«, mehr »Trust and Value«.
Auch jüngere Menschen wollen Flexibilität, mehr Menschlichkeit, eine sinnvolle Arbeit und die Freiheit, mitgestalten zu können.

Lange Planungsvorhaben und risikoscheue Entwicklung werden dazu führen, dass bestehende Marktführer von kleineren, flexibleren und agileren Unternehmen vom Podest vertrieben werden.

Report: Wo kann eine agile Vorgangsweise beim Finden von Innovationen unterstützen?

Mitter: Agile Arbeitsweisen lassen mehr kreativen Freiraum zu, in dem man empathisch und neugierig auf die Bedürfnisse von Menschen eingehen kann. Oft wird Innovation als etwas Brandneues missverstanden.

Letztlich ist Innovation das Produkt von Gelegenheit und Notwendigkeit – und wenn man in kleineren iterativen Zyklen arbeitet, dann ist es viel leichter, diese Gelegenheiten auch zu erkennen.

Organisationen sind gut beraten, ihren Mitarbeiter*innen entsprechende Frei- und Gestaltungsräume einzuräumen, ansonsten kann Innovation nicht stattfinden.

Man sollte künftig mehr Wert darauf legen, zuerst Prototypen statt fertige Produkte zu entwickeln und diese danach sehr eng mit dem Kunden weiterzuentwickeln.

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