Dienstag, April 23, 2024
Report: Der russische Atomenergieminister Alexander Rumjanzew sagte zu den Anschlägen in den USA, auf russische AKW könne auch ein mit Sprengstoff beladener Jumbo stürzen, ohne dass es zu einer Katastrophe käme.
Kromp: Es gibt kein Kernkraftwerk auf der Welt, das dem gezielten Anprall eines Jumbos Stand hielte, noch dazu, wenn dieser vollgetankt ist. Auch wenn das Containment nicht durchschlagen wird, gibt es empfindliche Anlagen, wie etwa Kühlmittelleitungen, deren Ausfall zu nicht mehr beherrschbaren Situationen führen könnte. Die Folge kann ein Kernschmelzunfall sein, mit einem massiven Austritt an Radioaktivität. Die Terroristen hätten am 11. September auch AKW attackieren können. Three Mile Island in Pennsylvania etwa wäre leicht erreichbar gewesen. Dennoch wurden andere Ziele bevorzugt. Es gab Berichte, die bei Pittsburgh abgestürzte Maschine hatte ein AKW zum Ziel. Auf der offiziellen Website des russischen Geheimdienstes hieß es, Bin Laden halte 400 Kamikazepiloten für den Angriff auf Kernkraftwerke bereit. Das mag eine Spekulation sein. Aber AKW haben leider auch einen hohen Prestigewert. Sie sind das Fortschrittsymbol des Atomzeitalters.

Alle Welt redet von der Verwundbarkeit von AKW. Werden dadurch Terroristen nicht geradezu eingeladen, anzugreifen?
Ich würde auch nicht davon reden, wenn solche Szenarien nicht ohnehin in der öffentlichkeit kursierten. Es gab bereits mehrfach Angriffe auf AKW. Im Jahr 1982 wurde die Baustelle des französischen Reaktors Superphénix mit Raketen attackiert. Die Israelis zerstörten in den achtziger Jahren den irakischen Osirak, der glücklicherweise noch nicht in Betrieb war. Die Tschetschenen drohten 1994 mit der Sprengung russischer Nuklearanlagen. Während des bosnisch-serbischen Krieges tönte ein Serbengeneral, er werde westliche AKW bombardieren. Wer Terrorakte durchführt oder unterstützt, muss nun mit deutlich heftigerer Vergeltung rechnen, als das bisher der Fall war. Ich halte von dieser Strategie wenig. Man muss die sozialen Ursachen des Terrors bekämpfen. So lange die reichen Länder immer reicher werden und die armen Länder immer ärmer, wird es Fundamentalismus und in der Folge Terror geben.

Ist es mit dem heutigen Stand der Wissenschaft möglich, ein Kernkraftwerk zu bauen, bei dem das Restrisiko vernachlässigbar ist?
Ich glaube das nicht und halte es nicht für wünschenswert. Die Kernenergie ist eine übergangstechnologie, die unbedingt auslaufen soll. Ich bin nicht für eine hysterische Vorgangsweise. Für manche Gebiete wäre ein plötzlicher Ausstieg nicht zu verkraften, weil sie damit ihre Energieversorgung verlieren würden. Aber das Phase-out sollte rasch erfolgen. Der Beitrag der Nukleartechnologie zur Energieversorgung der Welt ist ja gering. Verglichen damit ist das Risiko unvertretbar. EU-Energiekommissarin Loyola de Palacio sagte kürzlich, das einzige Problem mit der Atomkraft sei die Endlagerung des Atommülls. Und da seien die Forschungen so weit, dass in einigen Jahren mit einer endgültigen Klärung der Frage zu rechnen sei. Von einer Lösung ist keine Rede. Lager zu finden, die über die nächsten paar Millionen Jahre sicher sind, ist absurd. Wir können zwar sagen, diese und jene Formation war in den vergangenen zwei, drei Millionen Jahren stabil. Aber wir können nicht sagen, ob sie die nächsten paar tausend Jahre auch übersteht. Es gibt keinen Platz auf der Erde, wo wir ein Erdbeben mit Sicherheit für alle Zukunft ausschließen können. Palacio sagte auch, Deutschland werde schon sehen, wie weit es mit dem Atomausstieg komme. Gerade im Hinblick auf die Verletzlichkeit unserer Zivilisation ist es nötig, sich von gefährlichen Prestigeobjekten zu verabschieden. Ohne in Panik zu verfallen, sollten wir zügig aus der Atomkraft aussteigen. Auch riesige Wasserkraftwerke müssen wir mittelfristig loswerden und zu einer dezentralen Energieversorgung übergehen. Das würde bedeuten, die Kraft-Wärme-Kopplung zu forcieren und von den fossilen auf erneuerbare Energieressourcen umzusteigen. Der Menschheit wird nichts anderes übrig bleiben, wenn sie nicht relativ rasch von diesem Planeten verschwinden will. Auch die Bevölkerungszahlen und -dichten müssen dringend reduziert werden, natürlich auf der Basis von Freiwilligkeit und Einsicht.

Wie viel Zeit bleibt uns noch?
Es ist fünf vor zwölf, wenn nicht fünf nach zwölf. Wir müssen die Gebiete des Planeten, die immer chaotischer werden, sanieren. Und das nicht, um unsere Profite zu maximieren, sondern um die dortigen Lebensbedingungen zu verbessern. Dafür brauchen wir entsprechende Technologien. Wenn wir die Veränderung nicht evolutionär schaffen, wird sie katastrophal über uns hereinbrechen. Die Konsequenzen wären unabsehbar.

Welche Maßnahmen wären unmittelbar nötig?
Man muss nicht das Rad neu erfinden, nur die vielen Ansätze ernst nehmen. Das geht von ökosteuern bis zu einem humanistischeren Verhalten den Armen gegenüber. Die Solidarität, die die USA jetzt vom Rest der Welt verlangen, müssten sie auch selbst zeigen, etwa bei den Kiotozielen. Da geht es auch um mehr Gerechtigkeit, Beseitigung von Armut und Unwissenheit. Auch die USA müssen weg vom immensen Ressourcenverbrauch, der nicht auf die ganze Menschheit umlegbar ist. Derzeit werden Techniken untersucht, das beim Verbrauch fossiler Brennstoffe emittierte CO2 zu verflüssigen und unterirdisch zu lagern, um so die Atmosphäre zu schützen. Das geht, wenn überhaupt, nur mit großem Aufwand. Wir müssen mit der Natur ins Gleichgewicht kommen. Die Natur wird sich nicht an den Menschen anpassen. Die Technologien sind weitgehend da, sie müssten nur optimiert werden. Würden mit den Geldern, die in die Kernkraft und in Technologien auf der Basis fossiler Brennstoffe inves-tiert werden, die erneuerbaren Energieträger gefördert, hätten wir einige Sorgen weniger. Die FPö macht Ernst mit ihrem Anti-Temelín-Volksbegehren und droht mit einem Veto gegen den EU-Beitritt Tschechiens. Politisch möchte ich das nicht beurteilen. Technisch gesehen, hätte Temelín auf Grund der in den EU-Staaten geltenden Sicherheitsbestimmungen nicht einmal mit Kernbrennstoff beladen, geschweige denn in Betrieb gehen dürfen. Die Frage der Erdbebensicherheit ist nicht geklärt, die Tauglichkeitsnachweise für sicherheitsrelevante Komponenten fehlen. n

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