Donnerstag, April 18, 2024
Ort der Begegnung

Büros müssen künftig mehr bieten als Schreibtische. Der soziale Austausch ist der wichtigste Grund für Mitarbeiter*innen, das Arbeiten in der Firma dem Homeoffice vorzuziehen. 

Ende März 2023 bezogen die rund 1.000 Mitarbeiter*innen von Atos Österreich das neue Headquarter im IZD Tower im 22. Wiener Gemeindebezirk. Das Büro erstreckt sich mit einer Gesamtfläche von 5.100 Quadratmetern über vier Stockwerke. Nicht zuletzt aufgrund der zentraleren Lage wird der IT-Konzern verglichen mit dem früheren Standort künftig 35 Tonnen CO2 pro Jahr einsparen.

Um den flexiblen Anforderungen der neuen Arbeitswelt zu entsprechen, wurde ein völlig neues Raum- und Arbeitskonzept entwickelt, bei dessen Gestaltung die Mitarbeiter*innen mitwirkten. »Wir haben auf Basis unserer Kompetenzen im Bereich Digital Workplace sehr detailliert geplant«, betont Johann Martin Schachner, CEO Atos Österreich. »Angesichts des anhaltenden Wettstreits um die besten Köpfe ist es unsere unternehmerische Pflicht, den Menschen ein Arbeitsumfeld zu bieten, mit dem sie sich wohlfühlen und sich bestmöglich entfalten können.«

Im gesamten Gebäude wird großer Wert auf offenen Austausch gelegt – ein Merkmal, das sich durchgängig in den Räumlichkeiten wiederfindet. So entstanden nicht nur klassische Arbeitsbereiche, sondern eigene Räume für konzentriertes Arbeiten, Innovation- und Creativity-Zones, Räume für Meetings und Kollaboration, Bereiche für die Zusammenarbeit mit Kund*innen und Partner*innen sowie eine Indoor-Garden-Area. Damit die Pendeltätigkeit grundsätzlich verringert wird, unterstützt das Unternehmen Homeoffice-Tage finanziell.

Sieben Millionen Euro ließ sich Atos das neue Headquarter kosten. Das mutige Investment erfolgte zu einem Zeitpunkt, als im Zuge der Pandemie bereits vielerorts das Aussterben der Büros herbeigeredet wurde. Tatsächlich erwies sich insbesondere der Wiener Büromarkt aber als überraschend solide. »Sowohl bei Vermietungen als auch beim Fertigstellungsvolumen war 2022 ein durchschnittliches Jahr«, zog Steven Bill Scheffler, Teamleiter Bürovermietung bei OTTO Immobilien, im Februar Bilanz. Allerdings ist das Angebot stark rückläufig: Während im Vorjahr rund 125.400 m² Büroflächen fertiggestellt wurden, sollen es heuer nur rund 46.300 m² sein. Erst für 2024 sei wieder eine deutlich höhere Neu­flächenproduktion zu erwarten.

Bei drastisch gestiegenen Mieten und geringem Angebot im gehobenen Segment zeigen sich viele Interessent*innen jedoch ob einer möglichen Rezession verunsichert. Ende 2022 betrug die Leerstandsquote am Wiener Büromarkt nach Angaben des Vienna Research Forum 3,9 Prozent. Durch die Flächenknappheit rücken auch bisher weniger beachtete Bürostandorte in den Fokus, erklärt Stefan Wernhart, Geschäftsführer der EHL Gewerbeimmobilien: »Aufgrund des geringen Neubauvolumens und der starken Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Erstbezugsflächen ist es für Unternehmen aktuell immer herausfordernder, adäquate Flächen zu finden.«

Wohlfühloasen

Den Bedarf, die Büroflächen zu verkleinern, verspüren erst wenige Unternehmen. Homeoffice hat nur in wenigen Branchen zu einer Trendwende geführt. So haben einzelne Banken, wie etwa die Bank Austria und die Volksbank, sowie Versicherungen und IT-Unternehmen teilweise Büroflächen freigegeben, mehrheitlich bleibt aber das Büro als zentraler Ort des Arbeitens bestehen. Das klassische Büro mit nüchtern gestalteten Arbeitskojen hat jedoch ausgedient. Um die jungen Generationen anzulocken, setzen manche Unternehmen bereits auf flexible Räumlichkeiten mit Wohlfühlcharakter. Der Wunsch nach guter öffentlicher Anbindung hat den Autoabstellplatz abgelöst.

Das höhere Hygienebewusstsein infolge der Pandemie wirkt sich nach wie vor auf die Raumaufteilung aus: ÖRAG-Geschäftsführerin Elisa Stadlinger sieht »Großraumbüros und den geteilten Arbeitsplatz auf dem absteigenden Ast«. Die Erfahrung zeige, dass Menschen, die zwar am selben Standort arbeiten, dort aber keine Möglichkeit zum persönlichen Kontakt haben, die Arbeit im Homeoffice bevorzugen. Wenn das gemeinsame Brainstorming und der informelle Austausch wegfallen, biete das Büro keinerlei Vorteile.

Flexible Räumlichkeiten mit Wohlfühlcharakter sollen das Büro zu einem Ort der Begegnung und des kollaborativen Austauschs machen.

In Österreich bieten neun von zehn Firmen ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit zum Homeoffice, wie die Unternehmensberatung Deloitte in einer Befragung von knapp 600 Führungskräften und Firmenchefs erhob. In acht von zehn Betrieben wird diese Arbeitsweise von mindestens der Hälfte des Personals in Anspruch genommen – üblich sind zwei bis drei Tage pro Woche. Gleichzeitig gibt es aber noch immer Arbeitgeber, die generell kein Homeoffice erlauben. Durch mangelnde Leistung ist dies nicht begründbar: Knapp 60 Prozent der Befragten verzeichneten sogar einen Anstieg der Produktivität.

Tipp: Wie Unternehmen mit der neuen Flexibilität im Homeoffice umgehen können, erforscht das Team des Forschungsprojekts NERD der Fachhochschule Wiener Neustadt und der Universität Graz - zum Artikel: Die neue Arbeitsrealität

Verwaiste Büros

Die Präsenzkultur gehört endgültig der Vergangenheit an. Trotzdem bemühen sich die Unternehmen sichtlich um eine Balance zwischen Homeoffice und Büro. Wie der im Herbst 2022 präsentierte »Office Report 2022« des Beratungsunternehmens teamgnesda verdeutlicht, befindet sich die Arbeitswelt in einem kulturellen und strukturellen Umbruch. In jenen Unternehmen, die Homeoffice ermöglichen, zeichnet sich eine Verlagerung der Präsenztage zur Wochenmitte ab. An Montagen und Freitagen ist die Anwesenheit im Büro sehr gering – Homeoffice begünstigt eine tendenzielle Verlängerung des Wochenendes.

»Wer an einem Freitag durch ein Bürogebäude spaziert, wird dort vor allem eines finden: gähnende Leere«, verweist teamgnesda-Geschäftsführer Andreas Gnesda auf die hohen Energiekosten für Warmwasser, Belüftung, Kühlung oder Heizung, die in ungenutzten Bürogebäuden dennoch anfallen. Das noch nie dagewesene Minimum an Anwesenheit führe dazu, dass allein in Wien bis zu acht Millionen Quadratmeter Bürofläche teilweise ungenutzt bleiben. Auf ganz Österreich hochgerechnet, betrifft das bis zu 25 Millionen Quadratmeter, also rund 70 Prozent Bestandsflächen.

Dauerhaft leere Büros nehmen unnötig Fläche ein - und das in Städten, wo (Wohn-)Raum doch dringend benötigt wird.

Gut möglich, dass die Teuerung bei Mieten und Energiepreisen mittelfristig doch auch Auswirkungen auf dem Büromarkt zeigt. Unternehmen, die das New-Work-Konzept praktizieren, benötigen im Schnitt 20 Prozent weniger Fläche pro Mitarbeiter*in. Experte Gnesda leitet daraus ein erhebliches Potenzial zur Verringerung der Gesamtbüroflächen von 20 bis 40 Prozent ab und erwartet »eine mittelfristige Büroflächenreduktion in Wien von 500.000 Quadratmeter, für ganz Österreich von einer Million Quadratmeter«. In New York beginnen Immobilienunternehmen bereits, leerstehende Bürotürme aufzukaufen und zu Wohngebäuden mit Appartements umzubauen. 

Bessere Kommunikation

Auch die Nutzung der Büroräumlichkeiten ändert sich. Wurden früher 80 Prozent der Flächen für Konzentrationsarbeiten, 15 Prozent für Kommunikation und fünf Prozent alternativ genutzt, so lautet heute die gewünschte Aufteilung meist 40 Prozent Konzentration, 30 Prozent Kommunikation und 30 Prozent Kollaboration. Die Einsamkeit im Homeoffice wird somit durch gemeinschaftlichen Austausch und Zusammenarbeit im Büro kompensiert.

Dem »Work Trend Index« von Microsoft zufolge wünschen sich 73 Prozent der Mitarbeiter*innen die Möglichkeit zur Remote-Arbeit, aber auch mehr Kontakt zu ihren Kolleg*innen. Auch 82 Prozent der befragten Führungskräfte ist es ein Anliegen, die Beschäftigten wieder ins Büro zu holen. Allerdings braucht es dafür gute Gründe, meint Katja Edlinger, Business Group Lead for Modern Work & Security bei Microsoft Österreich: »Das Büro ist kein Muss mehr, sondern ein Hebel für den Aufbau sozialen Kapitals. Eine authentische digitale Kommunikation wird essenziell sein, um Menschen im und außerhalb vom Büro zu verbinden.«

In der neuen Arbeitswelt werden Hierarchien aufgehoben und Arbeitsstrukturen flexibel gestaltet.

Insbesondere die intensiv umworbene Generation Z erwartet sich in erster Linie Freiheit bei der Gestaltung der Arbeitszeit und bei der Wahl des Arbeitsortes. Unternehmen, die zusätzlich ein ansprechendes Umfeld bieten, das für jede Arbeitsweise – physisch, digital und hybrid – optimal ausgestattet ist, können im Recruiting durchaus punkten.

Multifunktionale Gebäude, in denen nach Büroschluss Yoga-Stunden stattfinden, Coworking-Spaces oder Sharing-Konzepte, wo sich die eingemieteten Unternehmen Besprechungsräume und Teeküche teilen, erfreuen sich indessen immer größerem Zuspruch. Diese Provider bieten fertig eingerichtete Räumlichkeiten und flexible Pakete mit Services wie Empfang, Catering und je nach aktuellem Bedarf skalierbaren Büroflächen, zugeschnitten auf die individuellen Bedürfnisse der Firmen. Auch so könnten die Bürowelten der Zukunft aussehen. 

Mehr zum Thema »New Work«: Anders arbeiten


Die neue Arbeitsrealität

Flexible Arbeitsbedingungen und Remote Work lassen die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben verschwimmen. Wie Unternehmen und ihre Mitarbeitenden damit gut umgehen können, erforscht das Team des Forschungsprojekts NERD der Fachhochschule Wiener Neustadt und der Universität Graz mit fünf Partnerunternehmen. 

Die Möglichkeit, orts- und zeitunabhängig zu arbeiten, soll für Unternehmen und Mitarbeiter*innen eine Chance für individualisierte Arbeitsweisen darstellen und nicht zur Belastung werden. Wie das ermöglicht werden kann, ist das Forschungsthema des FHWN-Projekts NERD, das vom Zukunftsfonds der Arbeiterkammer Niederösterreich gefördert wird. Dafür arbeitet das Projektteam mit renommierten Unternehmen wie Andritz, der EVN, der Kirchdorfer Group GmbH, der Schoeller-Bleckmann Medizintechnik GmbH, einem Unternehmen der »Syntegon company« und dem Flughafen Wien zusammen.

Karin Wegenstein von der FH Wiener Neustadt leitet das Forschungsprojekt NERD. (Bild: FHWN)

Gemeinsam wurde in einer ersten Projektphase ermittelt, wie die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite mit flexiblen Arbeitsbedingungen, Homeoffice und Erreichbarkeit zu unterschiedlichen Zeiten umgehen und wo Verbesserungsbedarf besteht. Erste Empfehlungen dafür werden nun in einem Leitfaden aufgezeigt. »Bereits wenige gezielt gesetzte Maßnahmen können wesentlich zu einem sinnvollen Umgang mit flexiblen Arbeitszeiten beitragen«, kommentiert Projektleiterin Karin Wegenstein.

Die erste Umfrage unter Mitarbeiter*innen der Partnerunternehmen zeigt, dass sich mit flexibilisierten Arbeitsbedingungen auch das Verhalten in der arbeitsfreien Zeit verändert hat. Werden beispielsweise berufliche E-Mails auf das private Smartphone weitergeleitet, werfen Mitarbeitende oft auch in der Freizeit schnell einen Blick darauf. Eine weitere Erkenntnis einer Befragten: »Was arbeitsrechtlich und kollektivvertraglich festgelegt ist, das ist noch ein bisschen zu starr für dieses flexible, moderne Arbeiten.«


Anders arbeiten

Der Begriff »New Work« geht auf den deutsch-amerikanischen Philosophen und Sozialwissenschafter Frithjof Bergmann zurück, der in den 1970er-Jahren ein Konzept entwickelte, das eine nachhaltige, menschenzentrierte und zukunftsorientierte Arbeitsumgebung zum Ziel hatte. Im Zuge der Globalisierung und Digitalisierung wurde dieses Konzept weiterentwickelt.

New Work bezeichnet ein neues Verständnis von Arbeit, das nicht nur veränderte Strukturen und Prozesse beinhaltet – auch das klassische Rollenverständnis von Mitarbeiter*innen und Führungskräften wird aufgehoben. Die Beschäftigten sollen ihre persönlichen und fachlichen Stärken entfalten können und sich mit dem Unternehmen identifizieren. 

New Work umfasst fünf zentrale Dimensionen:

  1. Technologie: Neue digitale Technologien ermöglichen neue Arbeitsmethoden, die auf Zusammenarbeit, Effizienz und Flexibilität ausgerichtet sind. Arbeitsabläufe werden optimiert und gleichzeitig die Kommunikation und Transparenz verbessert.

  2. Arbeitsstruktur: Hierarchien und Arbeitsstrukturen werden neu definiert. Durch flexible Organisationsstrukturen können Arbeitsweisen individuell angepasst werden, Agilität wird gefördert. Mitarbeiter*innen arbeiten autonomer und effizienter zusammen, übernehmen aber auch mehr Verantwortung.

  3. Arbeitsplatzgestaltung: Die physische Umgebung spielt eine wichtige Rolle bei der Gestaltung einer angenehmen Arbeitsatmosphäre. Das New-Work-Konzept sieht Arbeitsplätze vor, die funktional sind, Komfort bieten und Kreativität, Innovation und Zusammenarbeit fördern.

  4. Unternehmenskultur: New Work versteht Führung als partnerschaftlich, empathisch und unterstützend. Führungskräfte fungieren nicht als alleinige Entscheidungsträger, sondern als Coaches und Mentor*innen, die ihre Teams auf Augenhöhe unterstützen. Mitarbeiter*innen sollen ihre Potenziale voll ausschöpfen können. Eine offene, transparente und vertrauensbasierte Unternehmenskultur ist die Basis dafür.

  5. Work-Life-Balance: Das Gleichgewicht zwischen Beruf und Privatleben soll das Wohlbefinden der Mitarbeiter*innen steigern. Vor allem Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Arbeit unterstützen die Zufriedenheit. Was Arbeitszeitregelungen – Viertagewoche, Homeoffice, fixe Dienstpläne – anbelangt, fallen die Bedürfnisse und Wünsche der Mitarbeiter*innen allerdings oft sehr unterschiedlich aus.

(Bilder: iStock)

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