Donnerstag, März 28, 2024
»Wir streben eine vertrauenswürdige Wirtschaft an«
Sebastian Holler, hae.sh, will mit seiner Software die Basis für Informationssicherheit in der Wirtschaft schaffen. (Bild: hae.sh)

Sebastian Holler, Mitgründer der hae.sh GmbH, hält Wirtschaftsprüfung nicht für ein »super-sexy Thema« und hat dennoch ein fälschungssicheres Kontrollsystem mitentwickelt, um dieses Paradigma zu verändern. Im Report(+)PLUS-Interview erklärt er, warum Betrugsfälle wie Wirecard mit seiner Software nicht mehr möglich wären. 


(+) plus: Was macht DICE so besonders?

Sebastian Holler: Bei unserem Produkt handelt es sich um eine Automatisierung der internen sowie externen Wirtschaftsprüfung. Wir haben gemerkt, dass dieses Thema bisher immer einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen glich, wenn es um das Aufdecken von Betrugsfällen oder Fehlern ging. Die Blockchain-Technologie wurde bislang meist mit digitalen Währungen in Verbindung gebracht – sie gibt aber viel mehr her. Wirtschaftsprüfer*innen können nicht nur wie bisher bloß ca. ein Prozent als Stichproben analysieren, sondern über 90 Prozent.

(+) plus: Wie läuft das ab?

Holler: Wir integrieren DICE in die Enterprise-Software-Systeme der Betriebe. Alle Unterlagen, die ein Wirtschaftsprüfer manuell anschauen würde, werden in Echtzeit abgefragt und mit einem sogenannten »Hash«, einem Fingerabdruck der Daten, auf der Blockchain verankert. Wenn bestimmte Geschäftspolitiken nicht eingehalten werden oder Unregelmäßigkeiten auftauchen, machen wir unmittelbar darauf aufmerksam. 

(+) plus: Welchen Vorteil bringt die Blockchain?

Holler: Die Bitcoin-Blockchain war in der Vergangenheit zum Beispiel noch recht unflexibel. Durch weitere Blockchain-Innovationen kann man inzwischen »Smart Contracts«, also die Logiken, die in einer Blockchain abgebildet werden, viel umfangreicher nutzen. In unserem Fall sind das Freigaben, die der jeweiligen Unternehmenspolitik entsprechen.

Darüber hinaus speichern wir »Fingerabdrücke« von kontroll- und prüfrelevanten Daten so ab, dass sich nicht zurückverfolgen lässt, was dieser Hash-Wert darstellt. Wir vergleichen das immer mit einem Fleischwolf – unten kommt Faschiertes heraus, das nie wieder zum ursprünglichen Stück Fleisch werden kann. Bei einem »gehashten« Datensatz ist es ebenso: Die zugrundeliegenden Daten können nicht mehr zurückverfolgt werden, somit ist die Sicherheit in der Verschlüsselung gewährleistet. 

(+) plus: Jahresabschlüsse werden meist erst im Frühjahr veröffentlicht, mit DICE könnten Bilanzen jederzeit erstellt werden. Stellt das die Wirtschaft auf den Kopf?

Holler: Derzeit braucht man ca. ein Quartal, um Bilanzen zu prüfen. Wir können diesen Zeitraum bereits auf eineinhalb Monate reduzieren und die Wirtschaftsprüfung um bis zu 50 Prozent effizienter machen. Die Wirtschaftsprüfung hat heute ein riesiges Haftungsrisiko und ist einem enormen Kostendruck ausgesetzt. Mit unserer Software kann sie eine unlimitierte Anzahl von Kontroll- und Prüflogiken anwenden und sich trotzdem auf wertschaffende Aufgaben konzentrieren, beispielsweise die Risikobeurteilung.

Für Unternehmen ist ein internes Kontrollsystem gesetzlich vorgeschrieben. In großen Betrieben macht das die interne Revision oder das Qualitätsmanagement. Für eine kleine GmbH, die für diese Tätigkeiten eine Person abstellen muss, ist das ein erheblicher Aufwand. Deshalb machen Unternehmen hier oft Abstriche und nehmen ein gewisses Restrisiko in Kauf.

(+) plus: Auf welche Länder fokussieren Sie sich?

Holler: Wir konzentrierten uns bisher vorwiegend auf prüfpflichtige Unternehmen im DACH-Raum. Wegen der strengen Gesetzgebung legen wir den Fokus künftig auch stark auf die USA, Großbritannien und Australien. In den USA gilt seit 2002 aufgrund mehrerer Bilanzfälschungsfälle der Sarbanes-Oxley-Act, ein Gesetz, das die Geschäftsführung für Schadensfälle persönlich haftbar macht. In Österreich gab es 2020 ein entsprechendes OGH-Urteil. In der EU wird eine ähnliche Gesetzgebung wie in den USA diskutiert. Das würde sehr viel Bürokratie mit sich bringen, die wir mit DICE wesentlich verringern können. 

(+) plus: Werden solche Kontrollsysteme und Echtzeit-Lösungen zum Standard?

Holler: Die Digitalisierung ist nicht zu stoppen, auch die Blockchain-Technologie wird sich durchsetzen. Meine Mitgründer und ich bringen schon jetzt eine fertige Lösung auf den Markt. Wirecard ist nur ein Fall unter vielen – er zeigt aber die großen Herausforderungen in der Wirtschaftsprüfung. 

(+) plus: Warum wäre ein Betrugssystem wie bei Wirecard oder der Commerzialbank Mattersburg nicht möglich?

Holler: Bei sehr hoher krimineller Aktivität gibt es immer ein Restrisiko, auf das wir aber in Echtzeit hinweisen hätten können. Jahrelang immer vor Weihnachten noch schnell Dokumente zu fälschen und dem Wirtschaftsprüfer vorzulegen, wäre sicher nicht möglich gewesen. Den Schadensfall hätten wir somit wesentlich verringert. Wenn sich die Blockchain weiter durchsetzt, wird es in Zukunft gar nicht mehr möglich sein, solche Transaktionen zu tätigen, weil man die Fälschungssicherheit der Technologie einfach nicht umgehen kann. Da Enterprise­Systeme noch nicht auf einer Blockchain laufen, gibt es hier noch eine Lücke. Zudem handelt es sich nicht immer um absichtliche Betrugsfälle. Überall sind Menschen tätig, denen auch Fehler passieren können.

(+) plus: Wie schwierig ist die Software handzuhaben?

Holler: Unser Ziel ist es, jeder Gesellschaft ein internes Kontrollsystem zu ermöglichen. Das Produkt ist so aufgesetzt, dass es auch für KMU Sinn macht. Das Gesetz unterscheidet ja nicht nach der Größe des Unternehmens. Wir bieten eine kinderleichte Lösung auch für Nutzer*innen, die noch nicht ewig in der Wirtschaftsprüfung arbeiten, damit sie Kontroll- und Prüflogiken selbst bilden und für das Unternehmen anwenden können. Natürlich ist Wirtschaftsprüfung nicht das super-sexy Thema – so ehrlich muss man schon sein. Der Mehrwert der Wirtschaftsprüfung liegt auch nicht darin, Zahlen und Unterschriften zu vergleichen, sondern Prozesse aus Risikosicht zu analysieren.

(+) plus: Ihr Unternehmen hat im Dezember bei einer Finanzierungsrunde 1,3 Millionen Euro generiert. Wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?

Holler: Das war tatsächlich ein großer Meilenstein. Das Wichtige ist aber nicht nur das Geld dahinter, sondern auch das Wissen der Investoren. Mit Paul Achleitner haben wir einen Experten gewonnen, der im Bereich Corporate Governance sehr viel Einblick hat. Auch Martin Klässner, der mit seiner has-to-be GmbH eine erfolgreiche B2B-Lösung entwickelt hat, bringt wertvolle Erfahrung mit.

Wir wollen mit unserem Team noch weiter wachsen, vor allem im Business Development und im Marketing. Diese Aktivitäten sind jetzt vorrangig. Bis die Lösung technologisch ausgereift und die Finanzierung abgeschlossen war, mussten wir uns in der Öffentlichkeit bedeckt halten. Nun wollen wir in den Zielmärkten mehr präsent sein und uns nicht mehr verstecken.

Die Finanzierungsrunde wird nicht die letzte sein. Durch die starke Nachfrage sehen wir ein rasantes Wachstum und wollen weiter vorne mitlaufen. Wir sind Tüftler, die Entwicklungsarbeit hört nie auf. Damit unser Produkt nicht selbst als Sicherheitsrisiko gesehen wird, durchlaufen wir ebenfalls Zertifizierungsprozesse. 

(+) plus: Welche Vision treibt Sie dabei an?

Holler: Ich habe mich schon mit 13 Jahren gefragt, warum börsennotierte Unternehmen nur viermal pro Jahr ihre Zahlen veröffentlichen. Damals habe ich schon – zugegeben hauptsächlich Spielgeld – investiert, aber ich wollte natürlich jeden Tag wissen, wie es den Unternehmen geht. Da bin ich sicher nicht der Einzige. Wenn man in der Lage ist, kontinuierlich zu prüfen, könnte man auch kontinuierlich Unternehmenszahlen präsentieren. Wir streben eine vertrauenswürdige Wirtschaft an – mit einer mühelosen, absoluten Sicherheit, die auf Knopfdruck abrufbar ist. 

Die zentrale Frage ist doch: Wie compliant ist ein Unternehmen? Auch die ESG-Ziele sind nur erreichbar, wenn man sie auch messen und kontrollieren kann. Längerfristig wird man an der Börse sicher öfter Zahlen liefern müssen. Kapitalgeber, Assetmanager und Behörden würden es begrüßen, wenn sie aktuelle Entwicklungen jeden Tag abrufen können. Der Sog wird so groß sein, dass sich Unternehmen dem nicht entziehen können. Investoren werden Unternehmen bevorzugen, die diese Informationssicherheit bieten. Die Basis dafür schaffen wir.


Zur Person

Sebastian Holler studierte Accounting an der Penn State University und ist Spezialist für Interne Kontrollsysteme (IKS), Wirtschaftsprüfung und Blockchain-Strategien. Im September 2020 gründete er gemeinsam mit Nicolas Kirchmayr und Stefan Lew die hae.sh Gmbh. Im Dezember 2021 schloss das Linzer Unternehmen mit 1,3 Millionen Euro eine der größten Seed-Finanzierungsrunden in Österreich ab. 

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