Freitag, April 19, 2024
»Wir erleben gerade so etwas wie einen Gründerboom«
Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig über Wandel, die Krise und seine Vorstellungen für die Zukunft der Stadt.

Report(+)PLUS hat mit dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig über Veränderungen in der Stadt, Lehren aus der Krise und sehr persönliche Momente gesprochen. Er verrät, was sein wichtigster politischer Moment war, was im Krisenmanagement gut gelaufen ist und was er heute anders machen würde.  


(+) plus: Der Report Verlag feiert heuer seinen 25. Geburtstag. Wie hat sich die Stadt Wien in diesem Vierteljahrhundert verändert?

Michael Ludwig: Unglaublich vieles hat sich verändert, aber im Kern ist Wien dasselbe geblieben: eine Stadt, in der man gut und gerne lebt. Aber wenn wir uns diese Entwicklung genauer anschauen, dann sehen wir, dass Wien noch in den 1980er Jahren eine graue, schrumpfende Stadt war. Dann kamen die enormen Umwälzungen durch den Fall des Eisernen Vorhangs, die Wien wieder an seinen angestammten Platz im Zentrum von Europa gebracht haben. Das hat insbesondere die 1990er Jahre geprägt.

Seitdem kamen weitere Umwälzungen hinzu: von der stetig voranschreitenden Globalisierung bis hin zur Digitalisierung. Wien wurde zu einer internationalen Metropole und einem wirtschaftlichen Zentrum in Mittel- und Südosteuropa. Am stärksten merkt man das bei der Bevölkerungsentwicklung. Wien wächst und wird voraussichtlich 2027 wieder zwei Millionen Einwohner haben, so viele wie zuletzt vor dem 1. Weltkrieg und dem Zusammenbruch des Habsburger Reichs.

Deswegen ist es auch so wichtig, vorausschauend Sorge zu tragen, dass genügend Wohnraum und moderne Infrastruktur vorhanden ist. Und dafür sorgen wir. So ist Wohnen in Wien im Vergleich zu anderen Millionenstädten nach wie vor leistbar. Und das soll auch in Zukunft so bleiben.

(+) plus: Die letzten eineinhalb Jahre waren geprägt von der Coronakrise. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Ludwig: Wir sind immer noch mitten in der Pandemie, der größten weltweiten Gesundheitskrise seit Jahrzehnten. In den vergangenen Monaten bereits haben uns das Coronavirus und seine Auswirkungen allen sehr viel abverlangt. Die extremen Herausforderungen im Gesundheitsbereich belasten nicht nur die dort Beschäftigten, die Ärztinnen und Ärzte, die Pflegerinnen und Pfleger, die mit schier übermenschlichen Kräften arbeiten und immer noch intensiv gefordert sind.

Sie haben auch zur Folge, dass wir alles unternehmen müssen, um einen massiven Anstieg des Infektionsgeschehens zu unterbinden. Doch durch die inzwischen zur Verfügung stehenden Impfstoffe können wir uns weitgehend vor schweren Erkrankungen schützen. Und wir können damit auch die unkontrollierte Weiterverbreitung des Virus hintanhalten. Nützen auch Sie die Möglichkeit, sich impfen zu lassen. Schützen Sie sich vor schwersten Erkrankungen und tragen auch Sie dazu bei, das Infektionsgeschehen einzudämmen. Denn nur durch die Einhaltung der geltenden Regeln, nur so können wir drastische Maßnahmen wie einen Lockdown oder einen Zusammenbruch unseres Gesundheitssystems verhindern.

Nutzen Sie Ihr Impfangebot und schützen Sie damit sich und Ihre Gesundheit! Dann bin ich zuversichtlich, dass wir diese herausfordernde Zeit hinter uns lassen. Je mehr Menschen sich impfen lassen, desto schneller wird es gehen. Die Bewältigung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen wird uns dann noch beschäftigen, wenn die unmittelbare Gesundheitskrise bewältigt ist.

(+) plus: Sind Sie schon »pandemiemüde«?

Ludwig: Es ist eine große Verantwortung, oberster Krisenmanager der Stadt zu sein. Aber ich komme dieser Aufgabe sehr gerne nach. Weil es mir darum geht, eine bestmögliche medizinische Versorgung für die Wienerinnen und Wiener sicherzustellen und diese Stadt durch diese schwierige Zeit zu bringen. Das ist einfach eine Frage der persönlichen Verantwortung, der ich mich stelle.



»In Wien hat die Krise Politik und Wirtschaft noch enger zusammengeschweisst.«

(+) plus: Wenn Sie auf die letzten eineinhalb Jahre zurückblicken. Was würden Sie im Nachhinein anders machen?

Ludwig: Für die Fehlerbewertung wird nach der Pandemie noch genug Zeit sein. Jetzt gilt mein Fokus ganz dem Krisenmanagement, das unmittelbar zu leisten ist. Aber natürlich wird es ganz wesentlich sein, die richtigen Lehren zu ziehen. Denn solche Gesundheitskrisen können auch in Zukunft immer wieder auftreten. Aber es war sicherlich richtig, dass ich gleich am 27. Jänner 2020 einen medizinischen Krisenstab eingerichtet habe, dass wir dann im April letztes Jahr einen psychosozialen Expertenkreis eingerichtet haben und auch, dass wir jetzt vor den Sommerferien die Coronamaßnahmen in der Stadt nicht komplett gelockert haben, war richtig – obwohl ich mir dafür sehr viel Kritik anhören musste.

Eine wirklich große Zäsur war für mich die Wienwahl im Herbst 2020. Bis dahin war ich der Meinung, in einer Pandemie sollte man über die Bundesländergrenzen, aber auch über die Parteien hinweg zusammenhalten. Im Vorfeld der Wienwahl hat dann aber der türkise Teil der Bundesregierung aus parteipolitischen Gründen massiv gegen Wien geschossen. Jeden Tag ist ein anderes türkises Regierungsmitglied ausgerückt, um sich als »Wellenbrecher« zu inszenieren – obwohl Wien keine schlechteren Coronazahlen hatte als andere Bundesländer.

(+) plus: Es wird davon geredet, dass »Corona die Gesellschaft spaltet«. Wie hat sich Ihrer Einschätzung nach das Klima in der Stadt durch das Virus und die Gegenmaßnahmen verändert?

Ludwig: In Wien waren das Miteinander und die Solidarität schon vor der Pandemie groß. Das hat uns vor allem in der Zeit des ersten, besonders einschneidenden Lockdowns geholfen. Aus dieser Zeit, wo die Verunsicherung am größten war, sind mir der spontane Applaus, die Balkonkonzerte und all die kleinen Gesten des Miteinanders sehr positiv in Erinnerung geblieben. Da hat sich gezeigt, wie viel Zusammenhalt in Wien herrscht. Und das spürt man seitdem immer noch: Alle Maßnahmen wurden – wenn diese auch klar kommuniziert wurden – stets mit viel Disziplin befolgt. Man kann den Wienerinnen und Wienern nur einmal mehr Danke dafür sagen!

(+) plus: Was werden die wichtigsten Maßnahmen für eine erfolgreiche Post-Corona-Zeit sein – sowohl für die Wirtschaft der Stadt als auch für die Bewohner*innen?

Ludwig: In Wien haben wir seit Beginn der Coronakrise ein großes Ziel verfolgt: die negativen Auswirkungen für die Wienerinnen und Wiener so gut wie möglich abzufangen. Wir haben umgehend rasch und unbürokratisch geholfen. Vier Corona-Hilfspakete sind es mittlerweile. Ich erinnere nur an Maßnahmen wie die Gastro-Gutscheine, die 600 Millionen Euro an Investitionen in die technische und soziale Infrastruktur oder die Beteiligungen der Stadt an wichtigen Unternehmen, die unzählige Arbeitsplätze erhalten haben.
Unser oberster Grundsatz lautet weiter: Wir kämpfen um jeden einzelnen Arbeitsplatz und jeden Wiener Betrieb! Einen solchen Einsatz wünsche ich mir auch von der türkisgrünen Bundesregierung. Es braucht endlich eine spürbare Erhöhung des Arbeitslosengeldes und keine Steuersenkungen für Konzerne, wie jüngst angekündigt.

(+) plus: Wien hat bei den Coronamaßnahmen meist einen strengeren Weg als die Bundesregierung eingeschlagen. Hat das Ihr Verhältnis zu den Vertreter*innen der Wirtschaft belastet?

Ludwig: Nein, im Gegenteil. Ich pflege mit der Wirtschaftskammer Wien seit jeher eine enge Zusammenarbeit. Die Krise hat uns alle noch enger zusammengeschweißt, weil wir alle dasselbe wollen: Wien so rasch wie möglich aus dieser Krise führen. Arbeitsmarkt und Konjunkturmotor sollen so rasch wie möglich wieder anspringen. Und das passiert gerade. Wir erleben sogar gerade so etwas wie einen Gründerboom: Im ersten Halbjahr 2021 gab es in Wien 4.856 Unternehmensgründungen, um 19 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des ersten Coronajahrs 2020! Daran sieht man, dass sich die maßgeschneiderten Hilfen ausgezahlt haben.

Gleichzeitig tun wir weiter alles dafür, dass noch mehr Menschen wieder in Beschäftigung kommen und niemand zurückbleibt. Heuer finanzieren wir 4.100 Wiener Jobsuchenden die Ausbildung zum Zukunftsberuf und investieren 13 Millionen Euro in ein Lehrlingspaket, mit dem die Lehrlinge auf dem Weg zum positiven Lehrabschluss und die Ausbildungsbetriebe bei der Aufnahme von Lehrlingen unterstützt werden. Diese Anstrengungen werden natürlich fortgeführt.

»Wir kämpfen um jeden einzelnen Arbeitsplatz und jeden Wiener Betrieb! Einen solchen Einsatz wünsche ich mir auch von der türkisgrünen Bundesregierung.«

(+) plus: Was war das politisch prägendste Ereignis Ihrer Karriere? Welche Auswirkungen hatte es auf Sie?

Ludwig: Ich bin bei einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen, die untertags in der Fabrik gearbeitet und dann noch Heimarbeit mit nach Hause gebracht hat. Mir hat sie vorgelebt, dass Arbeit und Bildung für den sozialen Aufstieg ganz zentral sind. Geprägt hat mich auch das Aufwachsen im Gemeindebau. Das war eine Zeit des sozialen und wirtschaftlichen Aufschwungs, ganz eng verbunden mit der Sozialdemokratie. Seit damals ist Bruno Kreisky mein politisches Vorbild. Das hat mich alles motiviert, selbst in die Politik zu gehen.

(+) plus: Mit der letzten Wahl wechselte auch Ihr Koalitionspartner. Regiert es sich mit den wirtschaftsaffinen NEOS leichter?

Ludwig: Die Entscheidung für die NEOS war keine Entscheidung gegen die Grünen, sondern für etwas Neues, das es so in Österreich noch nicht gegeben hat: Eine sozialliberale Koalition, die etwa in Deutschland in den 1970er Jahren die gesellschaftliche Modernisierung vorangetrieben hat. Nun haben wir so eine Konstellation auch in Österreich und ich bin zuversichtlich, dass das Modellcharakter in der Zukunft haben wird. Denn die Zusammenarbeit mit den NEOS gestaltet sich sehr professionell und sachorientiert. Und das ist mir ganz besonders wichtig. Ich bin mir sicher, dieser Fortschrittskoalition werden große Würfe in allen Bereichen gelingen. Mit diesem Anspruch sind wir ja auch angetreten.

(+) plus: Muss die Nutzung des öffentlichen Raums angesichts der Überhitzung der Städte neu gedacht werden?

Ludwig: Das tun wir bereits. Denn wenn es um globale Herausforderungen wie den Klimawandel geht, müssen wir an den großen Schrauben drehen. Und das wiederum betrifft alle Felder, von der Stadtentwicklung über nachhaltigen Wohnbau bis hin zu Energiefragen. Zu den wichtigsten Maßnahmen, die wir ergriffen haben, zählen der Ausbau erneuerbarer Energien, neue oder erneuerte Parks und Grünflächen, Abfallvermeidung und Kühlungsmaßnahmen in der Stadt. Damit Wiens grüne Lunge künftig noch tiefer durchatmen kann, entstehen alleine bis 2025 rund 400.000 m² neue Parkflächen und 25.000 neue Bäume werden gepflanzt. Das ist eine wichtige Investition in den Klimaschutz, aber auch in die Lebensqualität der Wienerinnen und Wiener. Auf diese Weise wird Wien bis 2040 CO2-neutral. Das ist das große Ziel.

Außerdem verfolgen wir ganz konsequent unser eigenes Klimaschutzprogramm – und zwar schon seit den 1990er Jahren. Aber zurück zu Ihrer Frage: Wir haben in Wien seit den 1980er Jahren Wohnungen für 400.000 Menschen geschaffen, gleichzeitig konnten wir aber auch den Grün- und Freiraumanteil in der Stadt erhöhen. Waren es in den 1980er Jahren noch weniger als 50 Prozent Grünflächen, so liegt dieser Anteil inzwischen bei 54 Prozent.

(+) plus: Wie sieht Ihre Vision für Wien aus? Wie soll sich Wien 2030 seinen Bewohner*innen und Besucher*innen präsentieren?

Ludwig: Wien soll auch in Zukunft eine leistbare und soziale Metropole sein, wo eine qualitätsvolle Grundversorgung für alle gewährleistet ist. Auch soll das Wien der Zukunft eine Stadt sein, in der Zusammenhalt und Miteinander so großgeschrieben werden, wie das heute der Fall ist. Und es geht mir darum, dass jene Stärken, die Wien schon jetzt auszeichnen, künftig noch mehr Früchte tragen. Deshalb machen wir Wien zur Digitalisierungshauptstadt, unterstützen Start-ups und fördern die Entwicklung innovativer Technologien. Davon werden alle Wienerinnen und Wiener gleichermaßen profitieren, sei es durch mehr berufliche Chancen oder einen einfacheren Alltag. Und darauf kommt es mir an.
 

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