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»Kein Entsorgungssystem kann das schlucken«

Kreislaufwirtschaft ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Keine Lösungen zur Ressourcenproduktivität anzubieten, kann sich künftig kein Unternehmen mehr erlauben, meint Nachhaltigkeitsexperte Martin R. Stuchtey.

(+) plus: Sie sind Professor an der Universität Innsbruck, aber auch Gründer der Firma SYSTEMIQ. Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Unternehmen?

Martin R. Stuchtey: SYSTEMIQ ist ein Experiment, ob man als Firma erfolgreich sein kann, wenn man die Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele zum Unternehmenszweck macht. Bisher klappt das sehr gut. Wir beschäftigen 270 Personen in sieben Büros und glauben, dass wir zu wichtigen Zukunftsfragen kleine Beiträge leisten können.

Wir entwickeln Strategien, investieren aber auch selbst. Auf diese Art machen wir neue Lösungen für das große Rad der Kapitalmärkte interessant. Das Kapital ist noch in der alten Welt investiert und soll in die neue Welt kommen, dieser Prozess muss schneller und flüssiger laufen.

(+) plus: Viele Menschen verstehen unter Kreislaufwirtschaft nur Recycling. Was kennzeichnet echte regenerative Systeme?

Stuchtey: Wenn wir über Kreislaufwirtschaft reden, meinen wir die fundamentale Entkopplung unserer Wohlstandsgenerierungsmaschine vom Verbrauch nicht-erneuerbarer Ressourcen. Damit wird Ressourcenproduktivität zum Leitindikator unserer Volkswirtschaft. Wir müssen alle Systeme, die unseren Wohlstand füttern, umbauen: Das Energiesystem muss dekarbonisiert werden. Unser Ressourcensystem, also die Welt der industriellen Produktion und des Konsums, muss dematerialisiert werden.

Und wir müssen das dritte System, die Natur, regenerieren. Wenn wir diese drei Vorhaben erfüllen, sind wir bei einer vollständigen Kreislaufwirtschaft. Recycling selbst ist ein Baustein darin – in Summe aber zu energieintensiv, mit zu hohen Material- und Ertragsverlusten und massiven Entsorgungskosten verbunden und reicht auch nicht, um unseren materiellen Bedarf langfristig abzusichern. Circular Economy ist eine größere Idee, ein wirtschaftliches Paradigma und nicht nur der Versuch, Plastikbecher zu
recyceln.

(+) plus: Welche Ressourcen werden besonders stark verschwendet?

Stuchtey: Man muss jene Branchen in die Pflicht nehmen, deren Umweltkosten in der Produktion besonders hoch sind oder deren Kosten in der Entsorgung besonders hoch sind. In einigen Industriezweigen merkt man heute schon, wie sich das anfühlt, wenn die Kreislaufwirtschaft real wird. Eines ist die Kunststoffindustrie, das zentrale Thema bei allen großen Konsumgüterherstellern. Coca Cola investiert in Recycling – das hätte man früher nie für möglich gehalten.

Beim Aufbau einer Batterienindustrie wird durch die Verknappung von Kobalt, Nickel und Lithium von Anfang an zirkular gedacht werden müssen und insbesondere die Automobilindustrie erkennt das. Maschinenbauer wie Trumpf verkaufen nicht mehr bloß ihre Anlagen, sondern bieten sie als Equipment-as-a-Service an. Man sieht also, da kommt einiges in Bewegung.

(+) plus: Sind die technischen Voraussetzungen schon ausgereift?

Stuchtey: Die technischen Voraussetzungen für eine Entkopplung unseres Konsums gibt es – durch neue, vom Ressourcenverbrauch unabhängige Nutzerangebote. Für die Aufbereitung aller unserer heutigen Abfälle noch nicht. Das hat damit zu tun, dass wir zu viel und die falschen Güter produzieren. Kein Entsorgungssystem kann das schlucken. Kunststoff ist ein gutes Beispiel: Die vielen unterschiedlichen Kombinationen von Polymeren, Additiven, Hartmachern, Weichmachern, Antioxidantien, Laminaten und Pigmenten schaffen mehrere Millionen von Kunststoff- und Verpackungsarten, die alle nicht »designed to recycle«, geschweige denn »designed to re­use« sind.

Aber auch dafür gibt es Lösungen: 30 Prozent des auf dem Markt befindlichen Verpackungsmaterials sind heute schon recyclierfähig, insbesondere PET-Flaschen. 10 Prozent haben in Verpackungen nichts zu suchen und sollten abgeschafft werden, das betrifft vor allem Styropor und PVC. Für rund 60 Prozent haben wir noch keine gute Antwort. Hier sollten wir neue Materiallösungen entwickeln, die recyclingfähig sind – durch Monomaterialien und bessere Kennzeichnung.

Jedes Produkt sollte einen eigenen »identity code« haben. Es gibt keinen Grund zu sagen, wir hätten die technischen Lösungen nicht. Aber es gibt einen Grund, diese Produkte so zu ändern, damit sie in den Entsorgungs- und Aufbereitungsanlagen auch behandelt werden können.

(+) plus: Letztlich ist das für Unternehmen immer auch eine Kostenfrage. Wie kann Zirkularität als Geschäftsmodell gelingen?

Stuchtey: Das schlechteste Geschäftsmodell ist, sich vor die Kunden zu stellen und zu sagen: Wir haben keine Lösung. Das kann sich kein CEO erlauben. Etwas zu tun und dafür auch höhere Kosten in Kauf zu nehmen, ist eine sinnvolle Investition in die Marke. Wenn Hersteller vollständig in Richtung Re-usable Packaging gehen würden, wäre das Verpackungsmaterial zwar teurer, es kommt aber vielleicht 20 bis 30 Mal zurück. Die Nutzung einer Verpackung wird massiv günstiger und die Customer Experience besser.

Es ist ohnehin skurril, dass ein hochwertiges Produkt in einer sehr kostengünstigen Verpackung geliefert wird. Passen hingegen das Produkt, die Verpackung und die Vermarktung zusammen, schafft das ein viel stimmigeres Gesamtkonzept, das auch ökonomisch interessant ist. Das wäre auch eine Möglichkeit, aus dem Low-Cost-Wettbewerb herauszukommen und eine intensivere Kundenbeziehung aufzubauen.

(+) plus: Die öffentliche Diskussion entzündet sich an Themen wie CO2-Steuer und Plastikpfand. Ist das zu eindimensional gedacht?

Stuchtey: Eine CO2-Steuer verändert Verhalten nicht nur in der Mobilität und im Energiesektor, sondern zunehmend auch in der Industrie. Zusätzlich wird in der EU gerade die Möglichkeit einer Plastiksteuer von 800 Euro pro Tonne diskutiert. Das wird von vielen kritisch gesehen, weil es bessere Regulierungsinstrumente gibt, nämlich über sogenannte Hersteller-Verantwortungsverfahren.

In Deutschland gibt es beispielsweise den »Grünen Punkt«: Wenn man eine Tonne Kunststoffverpackungen in den Markt bringt, zahlt man dafür etwa 400 Euro. Sind die Verpackungen aus recyclierfähigem Material, ist der Betrag geringer, bei vollständig recycliertem Material sogar null. Dadurch ergeben sich positive Steuerungseffekte.

In Europa könnte das Pfandsystem helfen, die Rückführung von PET-Flaschen deutlich zu erhöhen, was ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz wäre. Für das weltweite Vermüllungsproblem ist es leider keine Lösung. Auf den mit Plastik überschwemmten Stränden Indonesiens finden sich keine PET-Flaschen, sondern laminierte, metallisierte Einzelverpackungen, sogenannte »Flexibles«, die nicht recyclierbar und zu klein sind, um sie in einem Pfandsystem zu erfassen.

(+) plus: Braucht es zusätzliche Anreize?

Stuchtey: Wir brauchen künftig eine Kennzeichnungspflicht für Produkte. Österreich arbeitet derzeit unter der Leitung der European Brands Association an dem Projekt »HolyGrail« mit, bei dem es um die Entwicklung digitaler Codes für Verpackungen geht. Solche intelligenten Lösungen sind auch für Batterien, Autos oder Textilien denkbar. Die Logik dahinter: Jeder Hersteller bleibt über den ganzen Lebenszyklus für sein Produkt verantwortlich. Dann würde sich nämlich jedes Unternehmen überlegen, ob es wirklich für darin enthaltene Toxine und schnellen Verschleiß verantwortlich sein will.

Der zweite Aspekt: Die europäische Volkswirtschaft wird längst von digitalen Geschäftsmodellen abgehängt. Jedes unserer Produktangebote steht mittlerweile in Konkurrenz zu einem dematerialisierten, digitalen Zwilling von Anbietern, die nicht aus Europa kommen und an den Börsen höher dotiert sind. Auch wenn es den Klimawandel gar nicht gäbe, sind wir gezwungen, auf neue Geschäftslogiken zu springen.

Zu einem guten Teil korrelieren diese auch mit der Dematerialisierung, die für den Klimaschutz so wichtig ist. Wir sprechen in diesem Kontext von einer »Industrie 5.0«, die eine europäische, industriepolitische Antwort sein könnte und »Eco Prosperity« auch wettbewerblich interessant macht.

(+) plus: Hat die Corona-Pandemie ein Umdenken bewirkt?

Stuchtey: Auf der mental-kulturellen Ebene war es schon eine Zeit der Rückbesinnung, die den Raum für Debatten über unser zukünftiges Konsumverhalten weitet. Zudem hat die Pandemie zu einer Verkürzung der Wertschöpfungsketten geführt. Wir haben gemerkt, wie kritisch die Abhängigkeit von chinesischen Massenproduzenten ist. Was absolut sicher ist: Nachhaltigkeit ist ein fundamentaler Trend, der die Pandemie überlebt und sich sogar verstärkt hat.

Nachhaltige Investments an den Kapitalmärkten, große strategische Initiativen – das ist unumkehrbar. Die Kapitalmärkte sind hellwach, was dieses Thema angeht. Über die ESG-Bewertung ergibt sich eine eigene Dynamik: Welches Unternehmen muss man im Portfolio haben, um Nachhaltigkeitskriterien zu erfüllen? Nestlé, Unilever, Pepsi usw. konkurrieren darum, wer die Aufmerksamkeit der Branche auf sich zieht und sozusagen als »grüne Aktie« in der Peer-Group bewertet wird.

BASF stellt nicht mehr bloß Chemikalien her, sondern präsentiert sich als Dekarbonisierungsagent und hilft seinen Kunden, die Klimaziele zu erreichen. Branche für Branche wacht nämlich auf und fragt: Könnt ihr uns helfen?


Zur Person

Martin R. Stuchtey, geb. 1968 in Würzburg, studierte Geologie und Betriebswirtschaft und arbeitete als Geologe in Südafrika. Danach war er 20 Jahre für McKinsey & Co als Managing Partner des Münchener Büros tätig. Er ist Mitgründer und Managing Partner von Systemiq Ltd., einer Beratungs- und Beteiligungsgesellschaft für neue Landnutzungs-, Kreislauf- und Energiesysteme.

Stuchtey war sieben Jahre lang strategischer Berater des World Economic Forum und veröffentlichte mehrere Reports zu »Circular Industrial Systems« sowie das Buch »A Good Disruption – Redefining Growth in the Twenty-first Century«. Seit 2016 ist er Professor für Ressourcenstrategie und -management an der Universität Innsbruck. Er lebt am Starnberger See und in Osttirol, wo er einen biologischen Bauernhof bewirtschaftet.  

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