Sonntag, Oktober 06, 2024
»Im Überwachen ist der Mensch nicht besonders gut«

Die Soziologin Astrid Weiss forscht an der TU Wien im Bereich Mensch-Roboter-Interaktion. Im Report(+)Plus-Interview erzählt sie über die Zusammenarbeit mit Robotern, die Bedeutung von Dialogen und warum der Mensch seine Problemlösungskompetenz verliert.

(+) plus: Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschungsarbeit mit der Interaktion zwischen Mensch und Maschine. Wie gehen Sie dabei vor?

Astrid Weiss: Ich forsche seit 15 Jahren an der Schnittstelle von Mensch-Maschine-Interaktion. Man kann dabei verschiedene Herangehensweisen einnehmen: den roboterzentrierten Blickwinkel, der die Maschine als Hardware betrachtet, die kognitionszentrierte Sichtweise, die sich mit dem Denken der Maschine, also der Software, befasst, sowie den menschzentrierten Ansatz. Meine Sichtweise ist menschzentriert, wobei sich der Fokus über die Jahre verändert hat. Früher hat man in der Mensch-Roboter-Interaktion den Menschen sozusagen als »Goldstandard« herangezogen – die Interaktion mit einem robotischen System sollte möglichst menschenähnlich und intuitiv sein. Jetzt geht man immer mehr dazu über, Interaktion als etwas Dynamisches zu betrachten. Wir sprechen in diesem Zusammenhang ja auch von »lernenden« Systemen.

(+) plus: Wie sollte die Interaktion idealerweise gestaltet sein?

Weiss: Es gibt einen guten Grund, weshalb Robotik schon sehr früh im Industriekontext verbreitet war: Fabriken sind kontrollierte, standardisierte Umgebungen, die Roboter sind fix an einer Position installiert. Dadurch ist Interaktion besser planbar und modellierbar als beispielsweise in privaten Haushalten, die sich voneinander doch stark unterscheiden. Anfang der 2000er-Jahre ging man in der Forschung noch davon aus, dass bei ausreichender Datenbasis aus Studien bald klar wird, wie schnell und wie nah sich ein Roboter annähern soll oder wie ein Standard-Dialog aussehen soll. Es stellte sich aber immer mehr heraus, dass es keine standardisierten Lösungssets gibt, sondern alles kontextabhängig ist – wo der Roboter zum Einsatz kommt, wie er aussieht, in welchem Kulturkreis er sich bewegt. Das macht die Forschung sehr spannend, aber auch schwierig, dezidierte Antworten zu geben.

(+) plus: Wo gibt es Probleme in der Zusammenarbeit?

Weiss: Im industriellen Kontext wissen wir schon sehr viel länger, als es intelligente Robotik gibt, dass Automatisierung zu einem De-Skilling beim Menschen führt. Wenn viele Routinetätigkeiten von der Maschine übernommen werden, verliert der Mensch bestimmte Skills. Zum Beispiel nimmt die Problemlösungskompetenz, die gebraucht wird, wenn einmal etwas nicht standardisiert abläuft, deutlich ab, weil der Einblick ins System fehlt. Was wir leicht technologisch automatisieren können, fördert also nicht unbedingt die Stärken der Menschen. Wir untersuchen deshalb, wie wir Arbeitsabläufe neu gestalten können, damit es tatsächlich eine enge Zusammenarbeit wird und kein Fragmentieren von Tätigkeiten zwischen Mensch und Maschine. Der Mensch hat sonst häufig das Gefühl, der Arbeitsrhythmus wird von der Maschine vorgegeben und er ist in den gesamtheitlichen Prozess nicht eingebunden.

(+) plus: Ein Argument für die Automatisierung lautet, dass Menschen dann mehr Zeit für kreative und hochwertige Arbeit hätten. Ist das wirklich so?

Weiss: Das können wir Menschen ja entscheiden. Beim Modellieren der Arbeitsabläufe können wir festlegen: Was möchte ich, dass der Mensch tut und was der Roboter? Wenn der Mensch nur noch überwachende Aufgaben übernimmt, wird das keine besonders wertschöpfende Tätigkeit sein. Wir wissen außerdem aus der Kognitionsforschung, dass der Mensch darin gar nicht besonders gut ist.

(+) plus: Welche Bereiche könnten noch automatisiert werden? Wo sind Roboter nützlich?

Weiss: Bisher waren Roboter vorwiegend in sogenannten Start/Stopp-Tasks eingesetzt, d.h. der Roboter verrichtet eine Tätigkeit, dann macht der Mensch weiter, bis wieder der Roboter übernimmt. Diese Formen fördern nicht wirklich die Kollaboration oder flexible Zusammenarbeit. Man überlegt jetzt, von diesem seriellen Denken wegzukommen. Wie könnten Mensch und Roboter an einem gemeinsamen Ziel arbeiten? Das wird in Forschungsprojekten für jeden Anwendungsfall speziell untersucht. Eine Zukunftsvision ist es, diese flexibleren Cobots in einem Klein- oder mittelständischen Betrieb einsetzen zu können.

(+) plus: Welche Einsatzgebiete sehen Sie für Robotik abseits der Industrie?

Weiss: Ein Bereich, in dem in Europa derzeit viel geforscht wird, ist der Pflegebereich. Mit viel Fördergeld wurden einige Ideen für Pflegerobotik bereits erprobt, nichts davon hat sich aber in Betreuungseinrichtungen oder der mobilen Pflege dauerhaft integriert. Man muss sich daher die Frage stellen: Was macht gute Pflege aus und wie können Pflegekräfte tatsächlich entlastet werden? Roboter können sehr gut Transportwege übernehmen. Aber wir fanden heraus, dass Pflegekräfte gerade diese Wege brauchen, um einmal zwischendurch abschalten zu können. Man kann nicht acht Stunden lang hochqualitative und emotionale Arbeit leisten.

Wir haben lange Zeit stark dialogbasiert gearbeitet, weil man Dialoge in der Robotik gut vorbereiten kann. Gerade in der Pflege ist dieser Bereich essenziell. Pflegekräfte haben eigene Schulungen, wann sie was zu Patienten sagen oder mit Berührungen verbinden sollen. Das kann Robotik nicht leisten. Der Ansatz, gerade den Dialog auf die Maschine auszulagern, ist also vielleicht gar nicht der richtige Weg.

(+) plus: Gibt es kulturelle Unterschiede in der Akzeptanz von Robotern? Japan gilt z.B. als sehr technikaffin, bei uns scheint die Skepsis noch recht groß.

Weiss: Wir sehen kulturelle Unterschiede auch innerhalb Europas und zu den USA, unabhängig vom Alter. Der Grund liegt aber darin, dass es noch keine Anwendungsweisen gibt, die für alle Betroffenen zufriedenstellend und nützlich sind. Es reicht eben nicht, beispielsweise Pflegeroboter wie die Roboterrobbe »Paro« anzuschaffen – das Personal muss sich überlegen, wo diese im Arbeitsalltag zum Einsatz kommen können. Auch KMU, die sich flexible Cobots anschaffen, erwarten sich oft schnelle Anwendungen. So leicht ist das aber nicht, da braucht es mehr Hilfestellung.

(+) plus: Werden sich humanoide Roboter durchsetzen?

Weiss: Der humanoide Roboter mit Kopf, Armen und Beinen ist schon noch einmal eine spezielle Sache. Gerade im Bereich Serviceroboter werden anthropomorphe, also menschenähnliche, Roboter auf Interaktionsparadigmen zurückgreifen. Der Serviceroboter ist ja eigentlich ein multifunktionales, intelligentes Gerät. Wenn ich eine Fernbedienung in die Hand nehme, habe ich eine Ahnung davon, was ich mit den Tasten tun kann. Wenn ich im öffentlichen Raum einem Serviceroboter begegne, kommuniziert der nicht unbedingt durch sein Erscheinungsbild, was er kann.
Das ist mit intuitiven Interaktionsweisen gemeint: Man muss kommunizieren, wie dieses Gerät überhaupt genutzt werden kann. Dafür können menschliche Verhaltensweisen als Grundlage herangezogen werden. Ob es unbedingt ein multifunktionaler Serviceroboter wie im Film »I, Robot« sein muss – davon bin ich persönlich nicht überzeugt. Ich sehe eher für den jeweiligen Anwendungsfall optimierte Roboter.

Zur Person

Astrid Weiss studierte Soziologie an der Universität Salzburg, wo sie zu adaptiven intelligenten Systemen promovierte. Seit 2013 forscht sie am Institut für Visual Computing & Human Centered Technology der TU Wien. Ihr Projekt »Shared Space« wird durch das Elise-Richter-Programm des Wissenschaftsfonds FWF finanziert und befasst sich mit langlebigen Verbindungen zwischen Menschen und Service- bzw. Gefährtenrobotern. Auslandsaufenthalte führten sie nach Japan, Deutschland, Frankreich und in die Niederlande. 2018 wurde sie in die Junge Akademie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gewählt. 

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