Dienstag, April 23, 2024
Mission Zukunft
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Vorgefertigte, starre Konzepte bringen im schnelllebigen Business wenig. Ganz ohne Strategie geht es aber auch in Zukunft nicht. Wie es gelingt, ein Big Picture für das Unternehmen zu entwerfen und die großen Zukunftsthemen – Innovation, Nachhaltigkeit, Digitalisierung – erfolgreich zu meistern.

Harte Zeiten für den Autohersteller Audi: Der Vorstand hat eine Lis­te mit geplanten Einsparungen vorgelegt. Im Mai wird die Nachtschicht im Stammwerk Ingolstadt eingestellt, mehrere tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren ihre Jobs. Der Betriebsrat zeigte sich naturgemäß verärgert, seine Kritik geht aber tiefer: »Wir können noch nicht nachvollziehen, wie wir Audi mit diesen Mitteln wieder an die Spitze bringen wollen«, sagte der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Jörg Schlagbauer. »Die Zeit der schönen Worte und großen Reden ist vorbei – jetzt müssen Perspektiven und verlässliche Entscheidungen her.« Vorstandschef Bram Schot habe keinerlei Zukunftsstrategie, in der E-Mobilität, Batterie- und Brennstoffzellen, Carsharing und der Wandel zum Mobilitätsdienstleister verankert seien.

Bild oben: Simone Ashoff, Good School: »Es braucht gar keinen CDO, sondern eine ganze Bande von Playern, um die Digitalisierung voranzutreiben.«

Nun, »keine Strategie« stimmt nicht ganz. Der Holländer hat sogar ein ganzes Bündel an Vorhaben präsentiert, die das Unternehmen wieder vorwärts bringen sollen. Zehn Prozent der Führungskräfte müssen gehen, auch die Produktpalette wird kräftig reduziert. Etliche Nischenmodelle will man künftig einsparen, ebenso die kleinen Spielereien und edlen Gimmicks, die der Marke einen Hauch von Luxus verliehen. Doch so sehr die neue Führung um Kalmierung bemüht ist, der Betriebsrat hat zumindest in einem Punkt recht: Zukunftsthemen wurden verschlafen – auch im neuen Strategiepapier fehlen konkrete Inhalte. Der einstige »Vorsprung durch Technik« ist dahin, der Technologieführer im VW-Konzern hat den Anschluss verloren.

Nachjustieren notwendig

Bild oben: Barbara Liebermeister, IFIDZ: »Kein Computerprogramm der Welt ersetzt agile Führungspersönlichkeiten.«

Der Vorwurf wiegt schwer, zeigt doch ein souveränes Management gerade anhand seiner Strategie, wie sicher es das Unternehmensschiff durch den stürmischen Markt zu steuern vermag. Die Verunsicherung der Belegschaft spricht Bände. Das Beispiel Audi legt zwei eklatante Versäumnisse in der Führungsarbeit offen: Offensichtlich ist es nicht gelungen, die Maßnahmen transparent zu kommunizieren und die MitarbeiterInnen von deren Notwendigkeit zu überzeugen.

Die Entwicklung und Umsetzung einer Strategie galt im Management seit jeher als Königsdisziplin. Gemessen an dem hohen Stellenwert wenden Führungskräfte jedoch nur einen geringen Teil ihrer Zeit für die strategische Ausrichtung des Unternehmens auf, obwohl sich das Business schneller ändert denn je. Neue Geschäftsfelder und Technologien machen eine Standortbestimmung und gegebenenfalls eine Nachjustierung in kürzeren Abständen notwendig.

Bild oben: Lena Papasabbas, Zukunftsinstitut: »Um das Thema Innovation ist ein gigantischer Blindspot entstanden.«

Vorgefertigte Strategiekonzepte helfen dabei nicht weiter. Die Trial-and-Error-Methode, wie sie viele disruptive Start-ups im Zuge eines kreativen Ausprobierens praktizieren, kann aber »für verantwortliches Management in etablierten Unternehmen keine Maßgabe sein«, so Oliver Greiner, Strategieberater bei Horváth & Partners: »Natürlich sind monolithische Strategien, die mit planwirtschaftlicher Genauigkeit aus den Daten der Vergangenheit ausgearbeitet und verfolgt werden, nicht mehr zeitgemäß. Neue Erkenntnisse müssen dazu genutzt werden, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und nicht statisch den immer gleichen Vorgehensweisen zu folgen. Dies sollte aber nicht mit aktionistischer Hektik und dem Verzicht auf Strategie gleichgesetzt werden.«

Auch Laurence Fink, CEO des weltweit größten unabhängigen Vermögensverwalters BlackRock, mahnte kürzlich in einem Brief an die Vorstandsvorsitzenden der größten börsennotierten Unternehmen deren Sorgfalts- und Loyalitätspflicht ein: »Am wichtigsten ist, dass sie ihre Strategie für ein nachhaltiges langfristiges Wachstum klar und effektiv formulieren.«

In der Komfortzone

Vertrauen sollten Führungskräfte dabei auf jene Werte, für die das Unternehmen steht. Jeder Strategieprozess sollte dieses Leitbild im Blick behalten. Meist stehen jedoch Technologien und deren Anwendung im Mittelpunkt. Auf die Einbindung der MitarbeiterInnen wird vergessen. Dabei kommen gerade von ihrer Seite oftmals kreative Impulse, da sie näher am Kunden agieren. Lena Papasabbas, die für das Zukunftsinstitut die Trendstudie »Future Products« leitete, ortet einen »gigantischen Blindspot« rund um das Thema Innovation: »Es geht fast ausschließlich um die technologische Machbarkeit. Der tatsächliche Nutzen des neuen Produkts oder Services, was und ob es dem Einzelnen oder der Gesellschaft etwas bringt, diese Frage wird gar nicht mehr ernsthaft gestellt.« Es brauche eine neue Perspektive auf Produkte und Innovationen.

»Erfolgsstrategien und Geschäftsmodelle werden nicht von Unternehmen, sondern von Menschen entwickelt. Der Mensch ist naturgemäß wenig veränderungsbereit und verharrt am liebsten in einer Komfortzone – so lange wie möglich«, erklärt Christoph D. Albrecht, Geschäftsführer der Strategie- und Markenberatung AC Consulting.

In einer 2017 durchgeführten wissenschaftlichen Arbeit zur Marken- und Unternehmensidentität von inhabergeführten Unternehmen identifizierte Albrecht fehlenden Weitblick, mangelnde Beobachtung des Marktes und das Negieren kritischer Einflussfaktoren als häufigste Gründe, die den zukunfts­orientierten Wandel in Familienbetrieben verhindern. Familienbetriebe verspielen damit leichtfertig ihre bisherige Stärke, die umsichtige und nachhaltige Unternehmensführung: »Wenn nun die Hälfte aller Familienunternehmen von einer Person gelenkt werden und diese bewusst oder unbewusst Risiken nicht erkennt, wer übernimmt dann den strategischen Wandel?« Die Entscheidungskraft liege letztlich aber beim Management, meint Strategieexperte Oliver Greiner.

»Viele gute Ideen kommen von Mitarbeitern, die nah am Geschehen sind, aber das entbindet Führungskräfte nicht von ihrer Rolle, aufgrund ihrer Erfahrung, ihres Markt- und Überblickwissens und hoffentlich auch aufgrund ihrer Kreativität neue Wege aufzeichnen zu können.«

Verzahnung Strategie – Innovation

Dem Autoproduzenten Henry Ford wird das Zitat zugeschrieben: »Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.« Neue Wachstumschancen muss sich ein Unternehmen also selbst erarbeiten – durch ein Geschäftsmodell, das Kunden einen Mehrwert bietet und sich vom Leistungsangebot der Mitbewerber unterscheidet.

Bild oben: Das Internet der Dinge hält in der Baubranche Einzug. Hilti entwickelt intelligente, smarte Lösungen für Geräte und Services.

Erst in Kombination mit einer klare Vision und Überzeugungskraft, getragen durch eine starke Unternehmenskultur, ergibt sich jedoch die nötige Schlagkraft, um im Wettbewerb die Nase vorn zu haben. Der auf Befestigungstechnik in Bauwirtschaft und Industrie spezialisierte Hilti-Konzern hat nach einigen schwierigen Jahren den Karren sprichwörtlich selbst aus dem Dreck gezogen. Die Richtung gab 2014 die Unternehmensstrategie »Champion 2020« vor: Die Produkt- und Dienstleistungspalette sollte ausgeweitet und die Expansion vorangetrieben werden.

Was sich einfach anhört, setzte einen umfangreichen strukturellen Umbau des Unternehmens voraus. Die Prozesse, Daten- und IT-Infrastruktur wurden weltweit vereinheitlicht; Prototypen sind nun schneller verfügbar. Um besser auf die Bedürfnisse der Kunden einzugehen, führte Hilti ein Direktvertriebssystem mit Leasing und langfristigen Wartungsverträgen ein. Gleichzeitig wurden durch ein »Fleet Management Program« die Ausfallzeiten auf ein Minimum reduziert.

Über dezentrale Hilti-Center sind die jeweils benötigten Maschinen verfügbar.  Das Liechtensteiner Unternehmen mauserte sich somit vom Werkzeughersteller zum Anbieter einer umfangreichen Lösungspalette und verzeichnet inzwischen ein zweistelliges Umsatzwachstum. Auch innovative Konzepte wie Big Data Analytics, maschinelles Lernen oder IoT-Anwendungen finden Platz. Im Werk Thüringen in Vorarlberg testet Hilti die Fertigungstechnologien von morgen: Roboter, die Hand in Hand mit Menschen Elektrowerkzeuge herstellen, oder 3D-Druck für Bauteil-Designs.

Knackpunkt Digitalstrategie

An umfassenden digitalen Change-Prozessen wie diesem sind schon so manche Unternehmen verzweifelt oder in Sackgassen geraten. Die Strategie gibt in diesen Fällen Halt. Trotzdem empfiehlt es sich, flexibel zu bleiben: Schon beim Aufbau der Strategie sollte einkalkuliert werden, dass sich einige Punkte der Umsetzung ändern könnten.

Neue Geschäftsideen sollten ebenso Spielraum bekommen wie dafür erforderliche IT-Anforderungen. Je nach Größe und Struktur benötigt ein Bereich vielleicht nur digitale Unterstützung, während komplexere Abläufe grundlegend optimiert werden müssen.

Bild oben: Oliver Greiner, Horváth & Partners: »Viele ehemalige Platzhirsche haben Neuerungen zu früh mit dem Stigma des Unsinns abgetan.«

Die Informationsverarbeitung und -vernetzung spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Viele Fragen können durch eine Analyse der bestehenden Prozesse geklärt werden: In welchem Bereich wird viel Zeit mit manueller Arbeit oder Systempflege zugebracht? Wo gibt es hohe Fehlerquoten, die zeit- und kostenintensive Nacharbeiten erfordern? Besser als jedes Analysetool wissen oft die MitarbeiterInnen, wo die Schwachstellen liegen. »Kein Computerprogramm der Welt ersetzt agile Führungspersönlichkeiten, die für die Menschen in ihrem Umfeld Impuls- und Ideengeber sowie Motivatoren sind«, bestätigt Managementberaterin und Rednerin Barbara Liebermeister.

Viel beschworener Hoffnungsträger im Kontext der Digitalisierung ist der Chief Digital Officer (CDO) – derzeit die meistgesuchte Personalressource. »Dabei braucht es gar keinen CDO«, sagt Simone Ashoff, Gründerin des Digital Transformation Club der Hamburger Good School. Sie rät Unternehmen, stattdessen in die digitale Bildung der eigenen MitarbeiterInnen zu investieren: »Ein CDO und überhaupt eine einzelne Person kann ein Unternehmen nicht transformieren. Es braucht eine richtige Führungsbande von Playern – vom CEO bis zum HR-, IT- und Marketingchef –, die die Digitalisierung des Unternehmens vorantreibt.«

Bild oben: Christoph D. Albrecht, AC Consulting: »Erfolgsstrategien und Geschäftsmodelle werden nicht von Unternehmen, sondern von Menschen entwickelt.«

Aktuelles Digitalwissen sei natürlich erforderlich, vor allem aber innovative Wege, Organisationen zu verändern, die Vorstände, KollegInnen und MitarbeiterInnen mitzunehmen und das Spannungsfeld zwischen altem und neuem Business auszubalancieren, so die Digitalexpertin. Für eine funktionierende Digitalstrategie gebe es keine Blaupause. Der Wissensaufbau funktioniere vor allem über das Teilen von Erfahrungen.

Tatsächlich ist die in vielen Unternehmen geübte Praxis, die digitale Transformation einem mehr oder weniger vom übrigen Gefüge isolierten Team oder der IT-Abteilung zu übertragen, längst umstritten. Vielmehr sollte das Bewusstsein dafür die gesamte Organisation gleichermaßen durchdringen und nicht von außen oktroyiert werden. Spätestens bis 2025 sollte jede Führungskraft – idealerweise auch jede/r MitarbeiterIn – digitales Verständnis mitbringen. 

Chief Digital Officers selbst sehen ihre Rolle ohnehin nur als Job auf Zeit, wie eine im Vorjahr veröffentlichte Studie der Personalberatung Kienbaum ergab. Die dafür befragten ExpertInnen gaben sich bezüglich der Halbwertszeit ihrer Funktion keinen Illusionen hin, wie beispielsweise Elke Katz, CDO bei ratiopharm: »Wenn wir unseren Job gut machen, gibt es uns nicht mehr.« Anders formuliert: Die CDOs schaffen sich selbst ab.


Tipp: Einbeziehung der MitarbeiterInnen

Variante 1: Informieren und anweisen

Ziel: Die MitarbeiterInnen sind über die neue Strategie informiert und sollen die Veränderungen umsetzen.

- Information durch das Management
- nur Verständnisfragen möglich
- MitarbeiterInnen müssen die Strategie unverändert akzeptieren und umsetzen

Variante 2: Verständnis schaffen

Ziel: Die MitarbeiterInnen haben die neue Strategie verstanden und tragen sie mit.

- Information durch das Management
- MitarbeiterInnen werden ermuntert, Fragen zu stellen
- Erklärungsschleifen, intensive Verständnisarbeit
- MitarbeiterInnen müssen die Strategie unverändert mittragen und umsetzen

Variante 3: Identifikation erreichen

Ziel: Die MitarbeiterInnen haben die neue Strategie verstanden und machen sie zu ihrer Sache.

- Information durch das Management
- MitarbeiterInnen werden ermuntert, Fragen zu stellen
- Erklärungsschleifen, intensive Verständnisarbeit
- MitarbeiterInnen können Veränderungen vorschlagen
- Unternehmensleitung akzeptiert die Veränderungen, sofern sie nicht den Kern der Strategie berühren

Variante 4: Gemeinsam entwickeln

Ziel: Alle haben die neue Strategie entwickelt, es ist ein gemeinsames Vorgehen.

- Management und MitarbeiterInnen legen Entscheidungsregeln fest
- Strategie (Unternehmensziele, Geschäftsmodell, Positionierung, Markenemotion, etc.) wird gemeinsam entwickelt
- Umsetzung der Strategie (Internetseite, Marketing, Haltung gegenüber den Kunden etc.) wird gemeinsam realisiert

Quelle: Olaf Hinz

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