Donnerstag, April 25, 2024
Führen in unruhigen Zeiten
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Die starre Organisationsform der Unternehmen weicht Teams und Netzwerken, die in einem zunehmend komplexeren und volatilen Umfeld flexibler agieren können. Doch wer hält die Zügel in der Hand? Und lohnt es sich überhaupt noch, langfristig zu planen?

Der technologische Wandel verändert das Umfeld der Unternehmen – ihre Wettbewerbssituation, das Kundenverhalten, den Arbeitsmarkt. Er verändert aber auch die Erwartungshaltung an die Führungsebene. »Digitalisierung ist längst mehr als nur ein Technologiethema. Sie wird auch die Führung von Unternehmen drastisch verändern«, sagt Klaus Schatz, IT-Advisory Partner bei KPMG Österreich. »Führungskräfte müssen den digitalen Wandel proaktiv vorantreiben und so die Zukunftschancen der Unternehmen verbessern.«

Der Schlüssel dazu ist eine zukunftsweisende IT. CIOs und CDOs müssen in strategische Entscheidungen eingebunden werden, um Innovationen im Betrieb voranzutreiben. Gemäß der Studie »CIO Survey 2017« – von den Beratungen KPMG und Harvey Nash unter 4.500 IT-Führungskräften weltweit in 86 Ländern durchgeführt, rund 2.100 davon nahmen in Europa teil – gelingt dies bisher nur zum Teil. Durchaus erfreulich ist der positive Trend: 41 % der Befragten gaben an, ihr Unternehmen habe eine digitale Strategie; dieser Anteil stieg in den vergangenen zwei Jahren um mehr als die Hälfte. Jedoch nur 17 % bezeichnen ihre Bemühungen, digitale Technologien zur Verbesserung der Unternehmensstrategie zu nutzen, auch als »sehr effektiv«. Eine klare digitale Strategie macht sich jedenfalls unmittelbar bezahlt. Sogenannte »Digital Leader« haben im Wettbewerb die Nase vorn, weiß Michael Schirmbrand, IT-Advisory Partner bei KPMG Österreich: »Im Vergleich zu anderen Unternehmen liefern sie in einer Reihe von Schlüsselbereichen eine signifikant bessere Performance.«

Innovationstreiber gesucht

Bild oben: Sonja Türk, Iventa. »Ein neuartiges Verständnis von Organisation und Führung ist erforderlich.«

Eine digitale Strategie kann jedoch nur umgesetzt werden, wenn die technologischen Potenziale im Unternehmen erkannt werden. Größter Hemmschuh ist oftmals die unternehmenseigene Kultur. »Widerstände gegenüber Veränderungen« sowie die Schwierigkeit, »neue Technologien leicht zu implementieren«, wurden von europäischen CIOs am häufigsten als Herausforderung genannt. Die IT-Verantwortlichen gewinnen unternehmens­intern zunehmend an Einfluss. 62 % der Befragten sind bereits in die Geschäftsführung aufgerückt. Sie sehen ihre Rolle derzeit aber noch eher als Umsetzer der technischen Veränderungen, weniger als Innovationstreiber.

Mit der Digitalisierung hält ohnehin ein anderer Führungsstil Einzug. Die einsamen Entscheider in der Chefetage werden von Netzwerkern abgelöst, die dazu stehen, nicht alles selbst zu können und zu wissen, sondern auf die kollektive Intelligenz ihrer Teams zurückgreifen. »Treiber sind die Digitalisierung und die Herausforderungen am Arbeitsmarkt, u.a. der Generationenwechsel. Das Agieren in einer unsicheren und unplanbaren Komplexitätslandschaft erfordert ein neuartiges Verständnis von Organisation und Führung«, ist Sonja Türk, Senior Consultant bei Iventa, überzeugt: »Neue Sichtweisen und innovative Zugänge, Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt, Eigenverantwortung und Kommunikation auf Augenhöhe prägen den Führungsalltag.«

Innovative Produkte, mehr Kundenorientierung, besserer Service gelingen durch leidenschaftliche, mitdenkende und kreative Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese Leistungen können nicht erzwungen, bestenfalls ermöglicht werden. »Das hohe Ausmaß an Kundennähe und Kundenorientierung zeigt sich nicht nur im Außenauftritt, sondern zieht sich durch alle Prozesse und Schnittstellen«, bestätigt Eva Grieshuber, Managing Partner der Integrated Consulting Group (ICG). »Es gibt dann beispielsweise ein eigenes Budget für Reklamationen und die Mitarbeiter können bei Beschwerden von Kunden eigenmächtig über eine Kompensation entscheiden.«

Das Institut für Unternehmensführung der FHS St. Gallen identifizierte fünf Charakteristika für Unternehmen, die im »Zeitalter 2.0« erfolgreich bestehen wollen: auf Vertrauen basierende kooperative Zusammenarbeit, Vielfalt der MitarbeiterInnen, eine dynamische Organisationsstruktur, kontinuierliches Hinterfragen und Entwickeln der unternehmerischen Strategie, Kommunizieren des Leitbildes bzw. der Mission.

Unsteuerbare Welt

Bild oben: Eva Grieshuber, ICG: »Das mittlere Management durchlebt den stärksten Rollenwandel und ist wirklich gefordert.«

Strategie galt jahrzehntelang als die Königsdisziplin des Managements. Angesichts des verschärften Tempos im Business sind neue Herangehensweisen gefragt. Vorgefertigte Konzepte bringen wenig, denn nahezu jeder Prozess folgt seinen eigenen Regeln. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen scheuen sich, einer strukturieren Strategieentwicklung zu folgen. Die gegenwärtige Volatilität scheint ihnen recht zu geben.  

Trotzdem kein Grund, völlig planlos drauflos zu wirtschaften, meinen Strategieexperten unisono. »Natürlich hat ein Software-Unternehmen kürzere Entwicklungszeiträume als etwa ein Energieversorger, der große Infrastrukturinvestitionen tätigen muss. Dennoch folgen zukunftsfähige Unternehmen einem ›Big Picture‹, einer Vision, die den strategischen Scope immer wieder in Diskussion bringt«, erklärt ICG-Expertin Eva Grieshuber. »Innerhalb dieser Leitplanken ist Platz für kurzfristige Initiativen, die über wenige Wochen oder Monate laufen und in der Umsetzung konsequent einem Monitoring unterzogen werden. So bleibt das Unternehmen offen für Neues und kann strategische Möglichkeiten besser nutzen.«

Agilität heißt das in diesem Zusammenhang strapazierte Zauberwort. Zu diesem Thema gibt es inzwischen unzählige Methoden und Modelle, in deren Begrifflichkeiten sich schon so manches Unternehmen heillos verfangen hat. Für Scrum, Kanban & Co eigene Entwicklerteams einzusetzen, die den Transformationsprozess in Gang bringen, kann nur der Start für eine Umverteilung der Verantwortung sein. »Es geht gar nicht so sehr um das Einführen agiler Methoden, sondern um Haltung, um Unternehmenskultur. Daran entscheidet sich, ob es funktioniert oder nicht«, sagt Grieshuber, die sich als Beraterin auf agile Transformationsprozesse spezialisiert hat.

Was unbestritten ist: Es braucht unternehmerischen Mut und die Bereitschaft für Veränderungen. Gleichzeitig müssen aber auch die Unternehmensstruktur an die strategischen Ziele angepasst und fehlende Kompetenzen aufgebaut werden. Nur eine lern- und anpassungsfähige Organisation ist beweglich genug, um auf wechselnde Anforderungen des Marktumfeldes rasch reagieren zu können. Hier ist wieder reichlich Fingerspitzengefühl des Managements gefragt: Veränderungen in der Organisationsstruktur führen meist zu Verunsicherung der hier tätigen Menschen. Es liegt an den Führungskräften, diese Veränderungen klar und offen zu kommunizieren. Ungewissheit lähmt jede Organisation; eine erfolgreiche Umsetzung der Strategie wird so möglicherweise gehemmt.

Allzu oft landen ambitionierte Konzepte, mit denen die Weichen für die Zukunft gestellt werden sollen, in der Schublade. Mangelnde Konsequenz, unstimmige Ziele, fehlende Identifikation, zu wenig Zeit – es gibt viele Gründe, warum die Umsetzung letztlich scheitert. Vielleicht liegt es aber auch an einem grundlegenden Missverständnis: Strategische Arbeit ist ein kontinuierlicher Prozess, der nie zu Ende geht. Sich auf den Lorbeeren eines einmal erarbeiteten Konzeptes auszuruhen und abzuwarten, wie es sich bewährt, ist vertane Zeit.

Werte, die zählen

Eine Strategie geht immer mit Zielen einher. Die kooperative Unternehmensstruktur scheint mit der Einhaltung von messbaren Vorgaben und Zielen auf den ersten Blick nicht unbedingt kompatibel. Der Grat zwischen Überwachung und Steuerung ist recht schmal. Doch regelmäßige Meetings dienen auch den MitarbeiterInnen als Orientierung; Führungskräfte wiederum können, falls nötig, unterstützend eingreifen. Voraussetzung ist eine intensivere Kommunikation als das vielfach recht belanglose Mitarbeitergespräch zum Jahreswechsel.
Die Digitalisierung bringt es mit sich, dass viele Kennzahlen nunmehr in Echtzeit abrufbar sind und Wertschöpfungsketten detailliert nachverfolgt werden können. Führungskräfte sehen sich zunehmend gefordert, alle Schaltstellen im Auge zu behalten. Für Innovationen oder interne Weiterentwicklung bleibt schlichtweg keine Zeit. »So entsteht ein Dilemma«, meint Strukturexperte Hansjörg Zahradnik: »Entweder möchte ich all diese Geschäftsfälle, die ich freigeben muss, wirklich verstehen. Damit bremse ich aber oft die Workflows und damit die Mitarbeiter und Kunden. Oder ich gebe anstehende Geschäftsfälle wie am Fließband frei – mit dem Risiko, dass ich kritische Fälle so nicht entdecke.«

Wird Agilität tatsächlich gelebt, treten Führungskräfte einen Gutteil dieser Entscheidungsmacht ab. Sie sind nicht länger die einzigen Allwissenden im Unternehmen, sondern befähigen MitarbeiterInnen, bestimmte Aufgaben zu übernehmen. Das ist nicht zuletzt eine Frage des Vertrauens. »Das mittlere Management durchlebt den stärksten Rollenwandel und ist wirklich gefordert. Eine coachende Funktion ist ganz anders als eine kontrollierende«, sagt ICG-Partnerin Eva Grieshuber.

Die Herausforderung besteht darin, die Menschen während des Umbruchs im Fokus zu behalten. Vor Verunsicherung sind jedoch auch die Führungskräfte selbst nicht gefeit. »In einem Führungscoaching fragte mich eine erfahrene Managerin, was sie denn tun könne, um in der Übergangsphase von einer starren Organisationsform in eine beweglichere ihre MitarbeiterInnen nicht zu verunsichern. Sie selbst merke, dass sie sich step by step herantaste, Entscheidungen trifft, manche dann wieder ändert, anpasst«, berichtet Sichtart-Beraterin Elisabeth Sechser und gibt gleichzeitig Entwarnung: »Verunsicherung ist Teil des Überganges, Irritationen geben Hinweise über das In-Gang-Kommen von Bewegung. Spannung erzeugen, Spannung aushalten, ist nicht immer so einfach.«

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